"und bauet der Freiheit ein Haus"
Eine kritische Bilanz zu Frieden, Abrüstung und Militarisierung in Hessen
Von Ursula Schumm-Garling *
Ende Oktober letzten Jahres erlebte die Bevölkerung von Wiesbaden und Hessen das makabere
Schauspiel eines großen Zapfenstreiches anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Hessischen
Verfassung. Das Gelände wurde weiträumig abgeschirmt. Der Bevölkerung blieb es erspart, an
dem Ereignis teilzunehmen. Das war auch gut so, denn diese Form des Gedenkens war
unangemessen. Die Hessische Verfassung ist in ihrem ganzen Tenor antifaschistisch, demokratisch,
sozial und antimilitaristisch.
Bei der Lektüre der Hessischen Verfassung ist auch heute ein Hauch der Aufbruchstimmung zu
spüren, der die Verfasserinnen und Verfasser in den ersten Nachkriegsjahren bewegt hat.
Nach dem Ende des Faschismus hat am 29. Oktober 1946 ein breites demokratisches Bündnis unter
Einschluss der KPD, allerdings unter Verweigerung der Liberalen (der LDP), diesen
Verfassungskompromiss angenommen und der hessischen Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt
und gleichzeitig zur Wahl des 1. Hessischen Landtags aufgerufen. Die Aufbruchstimmung bezog
sich vor allem auf die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft einschließlich ihrer
wirtschaftspolitischen Grundlagen. Der Rechtsstaat sollte demokratisch und sozial sein. Großes
Gewicht wurde auf die Veränderung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gelegt, weil in ihr eine
wesentliche Ursache für die Machtergreifung 1933 gesehen wurde. Der Gerechtigkeits- und der
Demokratieanspruch schienen nur durch eine fundamentale ökonomische, soziale und politische
Transformation einlösbar.
Zur Wiederkehr der vor 60 Jahren verabschiedeten Verfassung werden Würdigungen verbunden mit
arroganten Hinweisen, die Verfassung sei überholt. Über die Antiquiertheit der Verfassung sollte
eine öffentliche Diskussion geführt werden mit der Frage, ob es nicht heutzutage wünschenswert
wäre, die Realität der Verfassung anzupassen und nicht die Verfassung der Realität; dies betrifft die
wirtschafts- und sozialpolitische Vorstellungen ebenso wie die Bildungspolitik oder den
Antifaschismus.
Für die in der Hessischen Verfassung verankerte Friedenspolitik gilt in besonderem Maße, dass sie
in den vergangenen 60 Jahren nicht ernst genommen, und in eklatanter Weise gegen sie verstoßen
wurde.
Für das Thema Frieden und Abrüstung in Hessen ist in erster Linie der Artikel 69 relevant:
„1.Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet.
2.Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“
In dem Entwurf waren darüber hinaus Formulierungen enthalten, die der Friedenssicherung nach
innen und außen dienen sollten. Dazu gehören die Artikel 41, 42 und 56.
Die Überführung der Grundindustrien, Banken und Versicherungen in Gemeineigentum und die
Zerschlagung des Großgrundbesitzes, der „nach geschichtlicher Erfahrung die Gefahr politischen
Missbrauchs oder der Begünstigung militaristischer Bestrebungen in sich trägt“
Der verabschiedete Artikel 56 Absatz 5 lautet:
„Der Geschichtsunterricht muss auf getreue, unverfälschte Darstellung der Vergangenheit gerichtet sein. Dabei sind in den Vordergrund zu stellen die großen Wohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft, Zivilisation und Kultur, nicht aber Feldherren, Kriege und Schlachten. Nicht zu dulden sind Auffassungen, welche die Grundlagen des demokratischen Staates gefährden.“
Bald danach setzte der kalte Krieg in voller Stärke ein. Folge war, so dass viele Artikel der
Verfassung nur bedrucktes Papier blieben.
Nach wie vor gilt jedoch die Maxime Wolfgang Abendroths, den demokratischen und sozialen
Rechtsstaat als politischen Auftrag zu betrachten und Verfassungspositionen zu besetzen.
Ein kurzer Rückblick möge genügen, um deutlich zu machen, dass gegen das Gebot der
Friedenssicherung auch in früheren Phasen der hessischen Landespolitik laufend verstoßen worden
ist.
Von Beginn an gab es eine Synchronisierung der US-amerikanischen und der deutschen
Militärpolitik, die im Verlaufe der 60ger, 70ger und 80ger Jahre intensiviert wurde. Höhepunkt war
die Stationierung der Cruise Missiles und der PershingII Raketen.
Traurige Berühmtheit erlangte das „Fulda Gap“. Im osthessischen Raum ragte das Gebiet der DDR
am weitesten in den Westen hinein. Unter Präsident Ronald Reagan entwickelte die NATO
allgemeine Verteidigungspläne für die BRD und Westeuropa. (General Defense Plan 31001) für
den Fall einer Invasion der Streitkräfte des Warschauer Paktes. Als wahrscheinlicher Angriffspunkt
der Roten Armee wurde das Gebiet östlich von Fulda angenommen. Es wurde davon ausgegangen,
dass die Armeen des Warschauer Paktes im Westen Thüringens (Thüringer Balkon)
aufmarschieren, die Grenze in Richtung Fulda durchbrechen und durch das vergleichsweise flache
Gelände und die kurze Strecke zwischen den Mittelgebirgen binnen zwei Tagen bis zum Rhein
-Main Gebiet vorstoßen können. Die Bundesrepublik wäre dann in zwei Teile geteilt. Die Rhein-
Main Airbase, der wichtigste NATO Luftwaffenstützpunkt in Europa, wäre ausgeschaltet worden.
Im Rahmen des General Defense Plan wurden massiv US-amerikanische Truppenverbände (z.B.
das 11th Amored Cavalry Regiment) in der Umgebung von Fulda konzentriert. Zu diesem Zweck
wurde sogar der Einsatz taktischer Atomwaffen in Erwägung gezogen.
Die in Hessen stationierten Atomwaffen wie beispielsweise die in Frankfurt/Main-Hausen oder in
Bad Homburg wurden später abgezogen und nach Rheinland-Pfalz verlegt.
Die in jüngster Zeit realisierten Abzugspläne der US-Streitkräfte sind allerdings nicht dem Verweis
auf die Hessische Verfassung geschuldet, sondern tragen ausschließlich einer Transformation der
US-Streitkräfte in Europa Rechnung. Mit einer Rede vor Veteranen in Cinncinati hat US Präsident
Bush am 16.8.2004 einen weitreichenden und weltweiten Umbau der US Streitkräfte angekündigt.
60-70 000 Soldaten, die heute noch in Europa und Südkorea stationiert sind, sollen in den
kommenden Jahren in die USA zurück verlegt werden. Mit ihnen werden rund 100 000
Zivilangestellte und Familienangehörige in die USA zurückkehren. Zugleich will die Regierung
Bush weltweit neue kleinere Standorte aufbauen, um die militärische Schlagkraft und die
Flexibilität bei Interventionen rund um den Globus verbessern.
„Wir werden die Vorteile nutzen,
die uns die Militärtechnik des 21. Jahrhunderts bietet, um wachsende Kampfkraft schnell zu
stationieren. Der neue Plan wird uns helfen, die Kriege des 21. Jahrhunderts zu führen und zu
gewinnen,“ so Präsident Bush. Zwischen 35 000 und 45 000 Soldaten, die heute noch in Europa
stationiert sind, sollen im Rahmen dieser Planung abgezogen werden, bis zu 10 000 Soldaten sollen
neu stationiert werden. In den Hochzeiten des kalten Krieges waren es bis zu 300 000 US Soldaten
in Deutschland stationiert; dazu kamen deren Familien und die Zivilangestellten.
2004 waren nach der offiziellen Statistik des Pentagon noch 75.603 des aktiven Militärpersonal der
US Streitkräfte in Deutschland stationiert.
Für Deutschland steht sowohl ein Truppenabzug wie ein Truppenumzug zur Debatte. In Hessen
sind davon u.a. Hanau, Darmstadt, Friedberg, Gießen oder Wiesbaden und viele andere Orte
betroffen.
Für die Städte und Regionen, in denen US Militärpersonal abgezogen wird ergeben sich erhebliche
Auswirkungen auf die regionale und kommunale Wirtschaftskraft und vor allem Auswirkungen auf
die Zahl der Arbeitsplätze. Inwieweit diese Probleme durch die Errichtung von neuen Standorten
der Bundeswehr aufgefangen werden bleibt unklar, zumal auch die Bundeswehr im Zuge von
Transformationsprozessen schon Standorte geschlossen hat bzw. dies beabsichtigt. Das ist im
Grundsatz zu begrüßen, denn Abrüstung und die Einsparung von Rüstungskosten ist eine zentrale
Forderung der Friedensbewegung. Den verantwortlichen Politikern ist allerdings der Vorwurf nicht
zu ersparen, dass ihre Politik sehr kurzsichtig war und offensichtlich auf der Annahme beruhte, der
Besatzungsstatus würde endlos fortgesetzt. Schon frühzeitig hätten Konzepte entwickelt werden
müssen, in denen Alternativen für den Fall des Abzugs der Streitkräfte für die Zivilbeschäftigten
und die betroffenen Regionen aufgezeigt werden. Dies und die Neubelebung der Debatte um die
Rüstungskonversion, die vor allem in der IG-Metall in den 80ger Jahren geführt wurde, bleiben
Aufgaben für die Zukunft.
Wiesbaden
Anders verhält es sich in Wiesbaden. Während die amerikanischen Streitkräfte nahezu alle Standorte in Hessen aufgeben, investiert das
Pentagon weiterhin im großen Stil in Wiesbaden. Es wird vermutet, dass der Ausbau von
Einrichtungen für die US Streitkräfte in der Landeshauptstadt dazu führen wird, das Hauptquartier
der US Streitkräfte in Europa von Heidelberg nach Wiesbaden zu verlegen. Dafür sprechen der
Ausbau der Sporthallen in Erbenheim für 19,5 Milionen Dollar, der Aufbau eines Child
Development Center für Kinder ab der 6. Woche für 6 Millionen Dollar und der Bau eines 164-
Zimmer Hotels für 34 Millionen Dollar, das im Januar 2009 fertiggestellt werden soll. Alles deutet
daraufhin, dass die US Streitkräfte beabsichtigen noch lange in Wiesbaden zu bleiben.
Heute sind auf dem Flughafen Erbenheim verschiedene Heereseinheiten stationiert, darunter das
Hauptquartier der 1. US-Panzerdivision, die 205. Brigade des militärischen Geheimdienstes, das 58.
Heeresfliegerregiment sowie zahlreiche Unterstützungseinheiten. Die Hessische Landesregierung
begrüßt ausdrücklich die Verlegung des Hauptquartiers der US-Landstreitkräfte nach Wiesbaden.
„Dieses ist eine Entscheidung von hohem symbolischen Stellenwert und eine enorme Aufwertung
Wiesbadens und Hessens – die vielen Gespräche, die Ministerpräsident Roland Koch mit den
amerikanischen Regierungsvertretern und Militärs in Deutschland und in den USA geführt hat,
haben sich ausgezahlt,“ erklärte der Sprecher der hessischen Landesregierung, Staatssekretär Dirk
Metz, heute in Wiesbaden.(Pressemitteilung vom 12.04.2005)
Mitnutzung des Rhein-Main Flughafens
Die militärische Nutzung des Rhein-Main Flughafens wurde Ende 2005 aufgegeben und nach
Ramstein verlegt.
Seit 1945 war die Airbase Rhein-Main Stützpunkt der US Streitkräfte. Im Juli 1956 starteten von
der Airbase aus Aufklärungsflüge in die Sowjetunion, der US Geheimdienst CIA leitete die von
einem U-2 Flugzeug durchgeführten Beobachtungsmissionen zu Raketen- und Radarstützpunkten in
Litauen, Weißrussland und auf der Krim. Bis 1959 war die Rhein-Main- Airbase der wichtigste
europäische Standort für den Lufttransport der US Luftwaffe. Im selben Jahr zog sie sich aus dem
nördlichen Teil des Areals zurück, um dort den zivilen Betrieb des Frankfurter Flughafens zu
ermöglichen.
Während des 2. Golfkrieges diente die Rhein-Main Airbase als europäisches Drehkreuz für den
militärischen Lufttransport aus den USA in die Golfregion und zurück. Da über die Airbase auch
die Ein- und Ausreise aller in Europa stationierten US Soldaten abgewickelt wurde, erhielt sie den
Namen Gateway to Europe. Im Juni 2005 verlegte die US Luftwaffe ihr Drehkreuz für die
Versorgung der Streitkräfte im Irak von Rhein-Main nach Incirlik (Türkei).
Maßgebend waren ausschließlich militärische Gesichtspunkte der US Luftwaffe.
Weißbuch der Bundesregierung
Nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde von der Bundesregierung das neue Weißbuch
der Bundeswehr dem Bundestag vorgelegt, in dem die Verteidigungspolitik der nächsten Jahre
festgeschrieben wird. (25.10.2006) Franz Josef Jung ist seit einem Jahr Verteidigungsminister und
ein enger Vertrauter von Roland Koch. Zuerst wurde ihm Offenheit entgegengebracht. „Doch dann
sei Jung mit seiner Hessen-Gang im Bendler-Block einmarschiert.“ (Stern 46/2006, S.52) Diese
„Clique“ sei ein merkwürdiger Club aus Unerfahrenen und streng Parteiloyalen.
Zentraler Inhalt des Weißbuchs ist die Transformation der Bundeswehr zu einer weltweit und
flexibel einsetzbaren Interventionsarmee. Es erscheint wie Hohn, wenn Angela Merkel im Vorwort
hofft und wünscht, „dass das vorliegende Weißbuch einen Impuls für eine breite gesellschaftliche
Debatte darüber geben wird, wie Deutschland seine Sicherheit und Freiheit auch unter den
bestehenden Bedingungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich schützen kann.“(Weißbuch,S.3)
Unter Werten, Interessen und Ziele deutscher Sicherheitspolitik wird im Weißbuch formuliert „den
freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und dabei die
Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen überwinden zu helfen.“ (S.28)
Das Weißbuch stellt den legitimatorischen Rahmen für die prinzipiell unbegrenzte militärische
Intervention in allen Teilen der Welt dar. Angestrebt wird die Ausweitung nach Innen gegen
„drohende Terroranschläge“ oder weltweit zur Bekämpfung von Terror, Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen oder Drogenhandel. Der außenpolitische „Schulterschluss“ mit
Frankreich, der noch den Tenor im Weißbuch von 1994 ausmachte, wird ersetzt durch eine noch
engere Bindung an die globale Führungsmacht, den USA. Zentraler Inhalt des Weißbuchs ist die
Umrüstung zu weltweiter Kriegsführungsfähigkeit. Die Bundeswehr soll technologisch über die
Schaffung einer „vernetzten Operationsführung“ mit den USA verkoppelt werden. (Weißbuch,
S.82f)
„Deutsche Außenpolitik wird auf Sicherheitspolitik und Sicherheitspolitik ausschließlich auf
Militärpolitik reduziert.“ (Strutynski, vom 25.Okt.2006, S.4) Die deutsche Außenpolitik „mündet
heute in eine stinknormale imperiale, militärisch gestützte Außenpolitik, die mehr Ähnlichkeit mit
der Großmachtpolitik des deutschen Kaiserreichs als mit einer friedensorientierten und zivilen
Präventionspolitik eines demokratischen Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts hat.“ (Strutynski, S.4)
Konventionelle und atomare Abrüstung bleiben ein Lippenbekenntnis (Weißbuch, S.60).
Insbesondere die „nukleare Teilhabe“ der NATO und die Stationierung von Atomwaffen in
Deutschland wird nicht problematisiert. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik beispielsweise
in Nordkorea oder Iran wird so beschädigt.
Der Einsatz der Bundeswehr im Innern und damit die Aufgabe des rechtsstaatlichen Prinzips der
Aufgabenteilung von Polizei und Militär ist noch keineswegs vom Tisch. Statt das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006 zu akzeptieren soll
nun das Grundgesetz geändert werden.
In dem Kapitel über strategische Rahmenbedingungen - Globale Herausforderungen, Chancen, Risiken und Gefährdungen wird ein Horrorkatalog entwickelt (siehe Weißbuch, S.23 ff.).
Die Sicherheitspolitik sei komplexer geworden: sie stehe vor neuen Herausforderungen. Grenzüberschreitende sowie inner- wie zwischenstaatliche Konflikte bedrohten die Sicherheit Deutschlands. Hier wird unterschwellig die Grenze zwischen äußerer und innerer Bedrohung aufgelöst, um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ideologisch vorzubereiten.
„Angesichts von
Gefahren wie der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und den internationalen Terrorismus haben die Überschneidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zugenommen. Streitkräfte müssen darauf eingestellt sein, auch im Inland ihre Fähigkeiten unterstützend für die Sicherheit und den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen“ (Weißbuch,
S. 23).
Noch deutlicher wird die Argumentation unter dem Stichwort „Globalisierung“. Deutschland habe ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an
einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen, zumal der wirtschaftliche Wohlstand
vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhänge. Wer sich diesen Vorstellungen in den Weg
stelle muss damit rechnen, dass die Bundeswehr eingreift. Zum Feind werden alle die erklärt, die
sich Wissen illegal aneignen bzw. sensibles Wissen – gemeint sind neue Technologien und neue
Fähigkeiten – missbrauchen. Infrage kommen Staaten ebenso wie nichtstaatliche Akteure,
internationale Terroristen oder die organisierte Kriminalität.
Konkretisiert werden diese allgemein gehaltenen Feindbilder, indem auf Entwicklungshemmnisse
und fragile Staatlichkeit verwiesen wird. Versorgungs- wie Verteilungsprobleme als auch
Klimaveränderungen können die Ursache für politische Spannungen und Gefährdungen der
internationalen Sicherheit darstellen. Dazu gehören auch die Gefahren, die durch Migration und
damit verbunden durch Seuchen und Pandemien entstehen. Nach diesem Konzept wird Deutschland
zu einer Festung ausgebaut, in die alles Nützliche ungehindert integriert und jede Störung
militärisch abgewehrt wird.
Besonders aufschlussreich ist der Abschnitt über den illegalen Waffenhandel (Weißbuch, S.26f.).
„Unkontrollierte Exporte konventioneller Waffen und der illegale internationale Waffenhandel
haben in den vergangenen Jahren weiter zugenommen. Die leichte Verfügbarkeit und der Missbrauch insbesondere von Kleinwaffen und leichten Waffen verlängert und verschärft Konflikte
und trägt zur gesellschaftlichen und staatlichen Destabilisierung bei.“ Nicht nur, dass hier der
unbegrenzten militärischen Intervention das Wort geredet wird, sondern es wird deutlich, dass eine
„leistungsfähige, zukunftsfähige und rüstungswirtschaftliche Basis“ hergestellt werden muss. Das
Problem der demokratischen Kontrolle und der Legalität von Waffenhandel muss nach Meinung der
Autoren des Weißbuches durch strategische Partnerschaften gelöst werden.
„Nur Nationen mit einer
leistungsfähigen Rüstungsindustrie haben ein entsprechendes Gewicht bei Bündnisentscheidungen.“
Kein Wunder, dass kein Interesse der Bundesregierung an einer öffentlichen Diskussion vorhanden
ist.
Konferenz der EU- Verteidigungsminister in Wiesbaden
Am 1. und 2. März 2007 trafen sich in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden die EUVerteidigungsminister.
Eingeladen hatte der Bundesverteidigungsminister Jung. Bei diesem Treffen
ging es darum, weitere Verabredungen für weltweite Kriegseinsätze und eine weitere Aufrüstung
und Militarisierung Europas zu treffen. Konkret wurde die Balkanpolitik sowie die
Bündnisaufgaben innerhalb der NATO verhandelt, die Battlegroups sollen gestärkt und vor allem
ein zivil-militärisches Krisenmanagement ausgebaut werden. Die Mehrheit der EU-Bevölkerung ist
gegen eine Ausweitung der militärischen Kompetenzen der Europäischen Union, deshalb sollen
Argumentationen und Bedrohungsszenarien entwickelt werden, die die Notwendigkeit verstärkter
Rüstungsanstrengungen plausibel machen. Diese Absichten der europäischen Verteidigungsminister
wurden auf einer Gegenkonferenz zurückgewiesen, die zur gleichen Zeit in Wiesbaden stattfand.
Im Mittelpunkt der Konferenz gegen die EU-Militarisierung standen Fragen nach dem
Zusammenhang von EU-Verfassung und der Durchsetzung von Kapitalinteressen mit militärischen
Mitteln; der Abschottung gegen Flüchtlinge und deren Ausgrenzung sowie die Verhinderung
weiterer Angriffskriege und militärischer Interventionen.
Die Mehrheit der Völker Europas hält an der Gründungsidee einer demokratischen, sozialen und
friedlichen Vereinigung der europäischen Länder fest. Nach Jahrhunderten der kriegerischen Auseinandersetzungen sollen in Europa Kriege verhindert und soziale Gerechtigkeit gesichert
werden. Dieses Bild von Europa gilt es verteidigen.
In dem Verfassungsentwurf, der von den Franzosen und Französinnen sowie den NiederländerInnen
abgelehnt wurde, steht dagegen in Art.I-41(3) „die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre
militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ und im Art.I-80(8) wird festgehalten, dass das
Europäische Parlament über wichtige Aspekte und grundlegende Weichenstellungen der
Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nur informiert wird, also keine Entscheidungs- und
Kontrollkompetenzen hat. Dies bedeutet die Entmündigung des Parlaments.
Diskutiert wurde, dass in einem wesentlichen Punkt des Verfassungsentwurfes ein zentraler
Widerspruch zwischen dem neoliberalen Grundtenor des Verfassungsentwurfes und der Schaffung
einer neuen Bürokratie – der Europäischen Verfassungsagentur - besteht. Im Teil III des
Verfassungsentwurfes wird eine „Europäische Verfassungsagentur“ institutionalisiert. Neben der
schon erwähnten Verbesserung der militärischen Fähigkeiten sei es Aufgabe dieser
Verteidigungsagentur, „...den operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung
zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen
Basis des Verteidigungssektors beizutragen und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzuführen,
sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung zu
beteiligen...“ (Art.-I41(3)). Während im Wirtschafts- und Sozialbereich das Hohelied des
Staatsabbaus und der Entbürokratisierung gesungen wird, wird im Bereich von Hochrüstung nur
dem Staat, d.h. hier der Europäischen Union, Handlungs- und Steuerungsfähigkeit zugestanden.
(Vergl. Berndt, Ruf, Strutynski: 2007, S.4)
Der Einsatz der 13 Battlegroups dient der militärischen Absicherung und Intervention der in der
ESS (Europäische Sicherheitsstrategie) 2003 festgelegten Ziele. Diese bestehen darin, durch
völkerrechtswidriges präventives Engagement schwierige Probleme in Nachbarländern in Zukunft
schon von vorne herein zu vermeiden. Das Europäische Parlament wird auch in diese
Entscheidungsprozesse nicht einbezogen.
Wenn die im Verfassungsentwurf formulierten Absichten alle in die Praxis umgesetzt werden, gilt
nur noch das Recht des militärisch Stärkeren – also das technisch hochgerüstete und perfektionierte
Faustrecht; auch die Definition legitim und illegitim bzw. von Recht und Unrecht unterliegt dem
Recht des Stärkeren. Sicherheitspolitik wird zur Bedrohungs- und Abschreckungspolitik für alle,
die nicht im Einzugsbereich hegemonialer Mächte leben. Eine Spirale der Gewalt, wie jetzt schon
im Irak sichtbar ist, wird globale Dimensionen erreichen. Auf Grund denkbarer Eskalationen wäre
jedoch die Sicherheit in den hochgerüsteten Ländern der westlichen Hemisphäre auf Dauer
ebenfalls nicht sichergestellt.
Die globalen Zusammenhänge und die vielfältigen
Konfliktkonstellationen erlauben als Perspektive ausschließlich die verstärkte Forderung nach
ziviler Konfliktbearbeitung. Ein erster konkreter Schritt wäre in Hessen gemacht, wenn auf der
Basis der Verfassung in allen Schulen eine Friedenserziehung eingeführt würde.
Politisches Handeln das sich in der Friedenspolitik der Aufklärung verpflichtet fühlt, sollte sich
Wolfgang Abendroths Mahnung, Verfassungspositionen zu besetzen, erinnern und diese nicht der
technokratischen Interpretation politisch Herrschender überlassen. Dazu bietet die Hessische
Verfassung viele Möglichkeiten. Das herrschende Vorgehen, Sicherheitspolitik als Bedrohungsund
Abschreckungspolitik zu formulieren, wie im Weißbuch dargelegt bzw. auch in der
Sicherheitspolitik der Europäischen Union angestrebt, führt zur Eskalation von Gewalt. Um die
Spirale von Rüstung und Gewalt zu durchbrechen ist die zivile Konfliktbearbeitung in politische
Praxis umzusetzen und Widerstand gegen eine solche Politik zu organisieren. Die Hessische
Verfassung bietet dafür eine hervorragende Grundlage.
Anlässlich seines 70. Geburtstages hielt Thomas Mann am 6. Juni 1945 in der Library of Congress
in Washington eine Rede, in der er auf die Freiheit eingeht, die missbraucht werden kann. Einem zivil-militärischen Krisenmanagement sollte die Erinnerung an Thomas Manns Worte entgegenstellt werden.
„Lassen Sie uns einen Augenblick von der Freiheit reden: die eigentümliche
Verkehrung, die dieser Begriff unter einem so bedeutenden Volk wie dem deutschen gefunden hat
und bis zum heutigen Tag findet, gibt allen Grund zum Nachdenken....Ein vertrotzter
Individualismus nach außen, im Verhältnis zur Welt, zu Europa, zur Zivilisation, vertrug sich im
Innern mit einem befremdenden Maß von Unfreiheit, Unmündigkeit, dumpfer Untertänigkeit. Er
war militanter Knechtsinn, und der Nationalsozialismus nun gar übersteigerte dies Missverhältnis
von äußerem und innerem Freiheitsbedürfnis zu dem Gedanken der Weltversklavung durch ein
Volk, das zu Hause so unfrei war wie das deutsche.“ (Hamburg 1992, S.22/23)
Literaturhinweise
Abendroth, Wolfgang, 1975: Arbeiterklasse, Staat und Verfassung. Materialien zur
Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik. Herausgegen und eingeleitet von Joachim Perels, Frankfurt am Main – Köln
Berndt, Michael, Ruf, Werner, Strutynski, Peter, 2007: Mehr Demokratie – weniger Militär. Plädoyer für eine zivile Gemeinsame Außenpolitik. Unveröffentlichtes Manuskript.
Mann, Thomas, 1991: Deutschland und die Deutschen, mit einem Essay von Hans Mayer. Hrsg. Von Sabine Groenewold, Hamburg
Strutynski, Peter, 2006: Friedensbewegung zum „Weißbuch der Bundesregierung“. (Manuskript)
Weißbuch, 2006: Zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr. Hrsg. Vom Bundesministerium für Verteidigung. Berlin
* Aus: Marco Geis, Steffen Niese, Christian Schröder (Hrsg.): Hessen Hinten! - Sieben Jahre hessische CDU an der Macht - Eine kritische Bilanz, Marburg: BdWi-Verlag 2007 (im Erscheinen)
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