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Frauen ohne Chance? Bundeswehr weiterhin eine Männerbastion

Ein Beitrag von Julia Weigelt in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderator):
Die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat schon zu Beginn ihrer Amtszeit deutlich gemacht, dass sie die Bundeswehr familienfreundlicher machen will. Nur so könne die Armee ein attraktiver Arbeitgeber werden - auch für Frauen. Das hat ihr viel Spott eingetragen. Da wurde über die Krabbelgruppe in Afghanistan gewitzelt oder über den Kindergarten in der Panzerhalle. Aber all diese Anstrengungen sind vergeblich, wenn sich nicht grundsätzlich etwas ändert – am Frauenbild der Bundeswehr. Doch danach sieht es bislang nicht aus. Julia Weigelt hat recherchiert.


Manuskript Julia Weigelt

Sabine Schmidt ist seit mehr als zehn Jahren bei der Bundeswehr. Die 30-Jährige ist Offizier und hat es bis zum Hauptmann gebracht. Seit 2001 stehen Frauen alle Bereiche der Streitkräfte offen. Zuvor durften sie sich nur für das Musikkorps oder den Sanitätsdienst bewerben. Doch heute, 13 Jahre später, liegt die Frauenquote erst bei zehn Prozent. Das ist selbst nach den wenig ambitionierten Zielen des Verteidigungsministeriums nicht ausreichend. Die Planer streben dort bereits seit zehn Jahren einen Frauenanteil von 15 Prozent an – und sind selbst davon noch weit entfernt. Das hat auch mit dem Klima in den Streitkräften zu tun.

Frau Hauptmann Sabine Schmidt weiß, wie es ist, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem es noch nicht mal weibliche Funktionsbezeichnungen gibt. Die Bundeswehr kennt nur Gefreite, Feldwebel oder Offiziere, keine Offizierin oder Hauptfrau. Sabine Schmidt heißt in Wirklichkeit anders. Sie möchte ihren richtigen Namen nicht nennen, weil sie Klartext reden will und Nachteile befürchtet. Deshalb wurden ihre Aussagen nachgesprochen.

Dass in der Armee ein rauer Ton herrschen würde, damit hatte Sabine Schmidt beim Einstieg in die Bundeswehr gerechnet. Eine Einschätzung, die sich im Kasernenalltag schnell bestätigte. Schmidt wusste sich allerdings zu wehren:

O-Ton Sabine Schmidt (von Sprecherin)
„Beim Sport gibt’s dann schon mal blöde Sprüche wie ,Jetzt mach halt mal ein Tor, du blödes Mädchen´, aber das macht mir nichts aus. Und wenn es zu weit geht, dann spreche ich die Kameraden drauf an und sage: ,So sprichst du nicht mit mir.´“

Kameraden, die bei der Soldatin Grenzen ausloten wollen – das hat die 30-Jährige auch im Auslandseinsatz erlebt:

O-Ton Sabine Schmidt (von Sprecherin)
„Als ich zum Beispiel in Afghanistan ankam, haben mich wildfremde Typen direkt mit meinem Vornamen angesprochen.“

Etwas, dass in der Bundeswehr genauso wie in zivilen Unternehmen nur nach längerem Kennen üblich ist. Diese Distanzlosigkeit lässt Hauptmann Sabine Schmidt nicht durchgehen. Und auch die vor ihr wahrgenommene sexuell aufgeladene Grundstimmung im deutschen Bundeswehrlager passt nicht mit der professionellen Berufsauffassung der Soldatin zusammen.

O-Ton Sabine Schmidt (von Sprecherin)
„Es gibt viele Männer und auch einige Frauen, die im Einsatz gezielt nach einer Affäre suchen. Für mich war das nichts. Ich bin dann abends einfach immer zum Sport gegangen und danach gleich ins Bett. Und diese ständige Sauferei war mir auch einfach zu krass.“

Angst vor sexueller Belästigung hatte Hauptmann Schmidt nicht – sie hat nie einen Übergriff erlebt. Die resolute Frau kann sich gut behaupten, doch sie würde ihre Energie lieber in ihren Job stecken als in Diskussionen mit frustrierten Soldaten. Besonders krass war es für sie vor ein paar Jahren, als sie als Zugführerin eingesetzt war. Ihr damaliger Stellvertreter hatte sich einfach geweigert, mit ihr, einer jungen Frau, zusammenzuarbeiten.

O-Ton Sabine Schmidt (von Sprecherin)
„Der hat sich einfach stumpf ins Büro gesetzt und den ganzen Tag BILD-Zeitung gelesen.“

... berichtet die Soldatin . Eine echte Herausforderung, die sie letztlich bewältigen konnte. Sabine Schmidt wurde schließlich als Vorgesetzte akzeptiert.

O-Ton Sabine Schmidt (von Sprecherin)
„Ich habe dann halt seinen Job mitgemacht und zwei Übungen auf Truppenübungsplätzen allein organisiert. Als er gesehen hat, dass ich was kann, hat er mehr kooperiert.“

Die heute 30-Jährige überzeugte durch ihre Leistungen, so wie viele ihrer Kameradinnen über Jahre hinweg. Da sollte die Akzeptanz der Kameraden eigentlich kontinuierlich steigen, so die Annahme – doch das Gegenteil ist der Fall, wie die jüngste Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zeigt. Im Vergleich zu 2005 ist die Zahl der Soldaten, die ein Problem mit Frauen in den Streitkräften haben, in vielen Bereichen sogar noch gestiegen. Dass sich die Bundeswehr mit der Öffnung für Frauen zum Schlechteren entwickelt hat, glauben mittlerweile 57 Prozent der befragten männlichen Soldaten, vorher waren es 52 Prozent.

Die im Rahmen der Studie interviewten Soldaten glauben vermehrt, dass man mit Frauen schlecht zusammenarbeiten kann. Sie seien schlechte Vorgesetzte und würden zu positiv bewertet. Offenbar einer der Gründe, warum die bereits vor einiger Zeit abgeschlossene Studie vom Verteidigungsministerium lange unter Verschluss gehalten wurde. Jana Puglierin, Verteidigungsexpertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, haben diese Ergebnisse herb überrascht.

O-Ton Jana Puglierin
„Ich war schockiert, ich hätte das nicht erwartet. Weil ja nun mehr Männer persönliche Erfahrungen mit Frauen gemacht haben, sei es, als Untergebene oder mit Frauen in Führungspositionen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Männer die Frauen in der Bundeswehr so kritisch sehen. Ich hätte eigentlich gedacht, dass das jetzt weiter voranschreitet in eine positive Richtung. Ich finde das auch eine sehr ernüchternde Studie, weil es für die Frauen nochmal schwieriger ist sich zu bewerben, wenn sie das Gefühl haben, dass sie von den Männern in der Bundeswehr gar nicht gewollt werden.“

Frauen in der Bundeswehr - von einem überwiegenden Teil der Männer also unerwünscht? Jana Puglierin hält es trotzdem für wichtig, dass mehr Frauen in den Streitkräften dienen. Sie glaubt, dass sich so einerseits die Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft erhöht, und andererseits sich auf diese Weise in der Organisation Bundeswehr, die Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung besser widerspiegelt. Das tue auch den Streitkräften gut. Doch wie können Frauen für den Dienst geworben werden? Familienfreundlichkeit sei dabei durchaus ein wichtiger Aspekt, sagt die Verteidigungsexpertin. Theoretisch sei dies zwar ein Thema für Männer und Frauen, doch der Alltag sehe anders aus – vor allem, was regelmäßige Versetzungen quer durch die Republik angehe.

O-Ton Jana Puglierin
„Ich glaube aber, dass es in der Realität tatsächlich Frauen sehr viel schwerer fällt, voranzuschreiten und von dem Mann zu erwarten, dass er beruflich zurücksteckt oder die Kinder immer aus der Schule nimmt. Ich glaube, dass das in der Realität tatsächlich ein Frauenthema ist, obwohl es keins sein sollte.“

Von den 186.000 Soldaten der Bundeswehr sind derzeit knapp 19.000 Frauen. Besonders wenige von ihnen dienen im Heer: Dort liegt der Frauenanteil bei lediglich fünf Prozent. Glaubt man dem Verteidigungsministerium, dann zeichnet sich inzwischen allerdings eine Trendwende ab. Bei den Neueinstellungen werde die Zielvorgabe von 15 Prozent Frauen im Truppendienst und 50 Prozent im Sanitätsdienst inzwischen erreicht, heißt es. Im Sinne eines Mindestanteils von Frauen will das Verteidigungsministerium die Quote allerdings nicht verstanden wissen. Es gehe eher darum, wann nicht mehr von einer Unterrepräsentanz von Frauen gesprochen werden könne. Sollte der Frauenanteil also auf 16 Prozent steigen, sind Frauen in der Bundeswehr aus Sicht des Ministeriums nicht mehr unterrepräsentiert – eine abenteuerliche Definition.

Hoffnungen setzen manche Experten auf die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Um die Bundeswehr insgesamt attraktiver zu machen, hat die Ministerin nach Angaben eines Sprechers im vergangenen Monat eine Projektorganisation eingerichtet. Das Ziel sei, für Soldaten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umzusetzen - durch ein dafür ausreichendes Einkommen genauso wie durch eine transparente und planbare Karriere. Seit 2005 gilt außerdem das Gleichstellungsgesetz von Soldatinnen und Soldaten, das Diskriminierung verhindern soll. Weiterhin zählt ein knapp 80 Seiten dickes Handbuch auf, wie Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung oder Freistellung zu gestalten sind. Alles das ist aber nicht grundsätzlich neu. Das gilt auch für die Ankündigung, die Personalplaner der Bundeswehr sollen gezielt Frauen fördern – unter der Maßgabe der Bestenauslese.

Die erschütternden Studienergebnisse zur Akzeptanz von Soldatinnen nehme die Bundeswehr sehr ernst, heißt es aus dem Ministerium. So sei zeitnah ein Symposium geplant, auf dem interne und externe Experten die Ergebnisse auswerten und Handlungsempfehlungen erarbeiten sollen.

Verteidigungsexpertin Jana Puglierin kann dafür bereits eine Idee beisteuern. Sie findet es wichtig, Soldatinnen mit Hilfe von weiblichen Funktionsbezeichnungen auch eine sprachliche Heimat in den Streitkräften zu geben:

O-Ton Jana Puglierin
„Ich finde, als Frau – Frau Oberst oder Frau General – das kommt einem ja komisch vor. Das kommt einem nie natürlich vor oder als ganz normaler Bestandteil der Bundeswehr, sondern immer fremdartig. Und ich finde, da könnte man durchaus, auch wenn es am Anfang vielleicht künstlich wirkt, dran arbeiten und etwas verändern, damit die Frauen auch einen ganz normalen Platz in der Sprache der Bundeswehr bekommen.“

Ob Frau Hauptmann Sabine Schmidt das in ihrer aktiven Zeit noch erleben wird, ist allerdings fraglich. Die engagierte Soldatin hätte gerne mehr Kameradinnen – schon allein, um als Frau nicht weiterhin ständig im Fokus zu stehen. Ihr Wunsch an die neue Ministerin:

O-Ton Sabine Schmidt (von Sprecherin)
„Die Bundeswehr ist einfach in der Summe aller Teile zu unattraktiv als Arbeitgeber. Wenn es Frau von der Leyen schafft, das grundsätzlich zu verbessern, kommen auch mehr Frauen.“

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 8. März 2014; www.ndr.de/info


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