Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Alphamädchen-Falle

Mit dem "alten" Feminismus wurde auch die Forderung nach der Teilhabe aller abgewickelt

Von Sonja Vogel *

Früher war der Name Alice Schwarzer allein das Synonym für Feminismus. Heute dagegen meldet eine ganze Reihe von Gruppen ein Anrecht auf den Begriff an. Geblieben ist eine leere Worthülse. Strukturelle und gesellschaftliche Ursachen von Ungleichheiten hingegen bleiben im Dunkeln.

2008 erschien unter dem Label »neuer Feminismus« eine Reihe von Büchern, die begeistert angenommen wurden. Ganz vorne dabei Charlotte Roches »Feuchtgebiete«. Die Romanprotagonistin galt als neuer Typ der emanzipierten Frau – durch Schmuddeligkeit begehrte sie auf und fand dann doch Heilung im ödipalen Familiendreieck. Feministisch? Neu? Sicher nicht. Im Gegenteil. Literarische Vorgänger, deren Brisanz gerade darin bestand, die Machtverhältnisse des Sex offenzulegen, ohne sich in ihnen einzurichten, waren damit vom Tisch. In den Titeln »Neue deutsche Mädchen« oder »Wir Alphamädchen« wurde Nabelschau betrieben, frei nach dem Motto »Wir Alphamädchen wollen alles – und ein bisschen was bekommen wir auch!« Vom Feminismus blieb ein von Politik unbelecktes Lebenskonzept. Und so war am neuen Feminismus vor allem die Dreistigkeit neu, mit der politische Grundsätze des »alten Feminismus« als überholt verworfen wurden.

In der formelhaften Abgrenzung vom Spaßbremsen-Feminismus der 1980er Jahre lag dann auch der Schlüssel zum Erfolg der Bücher. Die wohlwollende Kritik negierte ja gerade die feministischen Debatten der letzten 30 Jahre. Nur auf diesem Weg konnte als neu verkauft werden, was längst überholt war. Und der Feminismus mit Beiwort wurde salonfähig. Sogar die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zog mit und nannte sich eine »konservative Feministin«. Dabei war ihr gerade nicht an gesellschaftlicher Teilhabe gelegen, sondern allein an der Mobilisierung weiblicher Arbeitskraft.

Einer kleinen Minderheit von Karrierefrauen und Alphamädchen, wie sie seit einiger Zeit im Spotlight der Medienöffentlichkeit stehen, gesteht man indes gerne Chancengleichheit zu. Die Beta- und Gamma-Mädchen finden sich dagegen abgehängt in der Unterschichten- und Migrantinnen-Debatte wieder – Thilo Sarrazins »Kopftuchmädchen«, Eva Hermans »Rabenmütter« und Kristina Schröders freiwillig Unterbezahlte (»Frauen studieren gerne Germanistik«). Strukturelle Ungleichheiten abseits des Aufsichtsrats? Uninteressant.

Feminismus findet heute wieder abseits der Öffentlichkeit statt. Somit haben jene, die den Feminismus zwar erneuert sehen, aber nicht über die Voraussetzungen der Unterdrückung reden wollten, eben dieser am Ende das Wort geredet.

* Aus: Neues Deutschland, 8. März 2011


Niedriglohn ist Frauensache

"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" bleibt zentrale Forderung zum Internationalen Frauentag

Von Haidy Damm **


Frauen verdienen durchschnittlich nur 76 Prozent des Gehalts ihrer männlichen Kollegen. Auch 100 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag ist der Kampf um Lohndiskriminierung nicht ausgefochten.

»Mehr Frauen in die Führungsetagen.« Angesichts des von der Wirtschaft befürchteten Fachkräftemangels soll die »am besten ausgebildete Frauengeneration«, wie von allen Seiten gerne betont wird, nicht am Herd verweilen.

Dem Großteil der Frauen nutzt es jedoch wenig, zu dieser gut ausgebildeten Generation zu gehören. Denn jede dritte Frau mit Vollzeitjob muss sich mit einem Niedriglohn begnügen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der LINKEN hervor, die dem Neuen Deutschland vorliegt. Demnach sind von den 7,3 Millionen weiblichen Vollzeitkräften 33 Prozent Geringverdienerinnen. Bei den Männern ist der Anteil mit 13 Prozent viel kleiner. Eine Folge ist, dass Frauen, obwohl sie die Minderheit der Beschäftigten ausmachen, die Mehrheit bei den sogenannten Hartz-IV-Aufstockern stellen.

Auch bei der atypischen Beschäftigung liegen die Frauen vorn: Von 6,7 Millionen atypisch Beschäftigten sind laut Bundesregierung 74 Prozent Frauen. Dazu gehören Minijobberinnen, Leiharbeiterinnen, Beschäftigte mit Teilzeitstellen oder befristeten Verträgen.

Besonders im Westen arbeiten viele Frauen nach wie vor in Teilzeit, weil die Betreuungsmöglichkeiten fehlen, sie aber für die Kinder zuständig sind. Unterstützt wird dieses Rollenmodell von der Steuerpolitik. Beispielsweise setzt das Ehegattensplitting einen starken Anreiz für Minijobs, der sich laut dem kürzlich vorgelegten Bericht der Sachverständigenkommission für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung später als »erwerbsbiografische Falle« herausstellt.

Um von Niedriglöhnen wegzukommen, müssten Minijobs in reguläre Stellen umgewandelt werden, sagt Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der LINKEN. Außerdem fordert sie »einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro, von dem vor allem Frauen profitieren«. Auch der Bericht der Sachverständigenkommission, den die Bundesregierung bis zum Sommer auf Eis gelegt hat, plädiert für einen gesetzlichen Mindestlohn, »der auch in anderen Ländern gezeigt hat, dass dieser zu einer Verbesserung der Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt geführt hat«, so Ute Klammer, Vorsitzende der Kommission.

Doch es sind nicht allein Teilzeit und Minijobs, die zur ungleichen Bezahlung führen. Frauen sind insgesamt häufiger in Branchen mit einer geringen Tarifbindung tätig, etwa im Gastgewerbe oder in der Gebäudereinigung, wie die Anfrage der LINKEN ergeben hat. Zudem werde Frauenarbeit oft geringer bewertet als Männerarbeit – auch in Tarifverträgen. So beträgt der tarifliche Mindestlohn in der Pflegebranche im Westen 8,50 Euro, im Baugewerbe liegt die Untergrenze bei 10,90 Euro. Zudem – so zeigt der Bericht der Sachverständigenkommission – wurde »die Entlohnung gerade im Dienstleistungsbranchen mit hohen Frauenanteilen in den letzten 15 Jahren zunehmend von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt«. In Tarifauseinandersetzungen wird diese Entwicklung allerdings selten zur zentralen Forderung der Gewerkschaften. Und auch Führungskräfte werden unterschiedlich bezahlt: Der Gehaltsunterschied zwischen Managerinnen und ihren männlichen Kollegen beträgt nach einer neuen Studie des WSI-Tarifarchivs der Hans-Böckler-Stiftung rund 22 Prozent, in Ostdeutschland 14 Prozent.

»Her mit dem ganzen Leben!« forderten Aktivistinnen vor 100 Jahren. »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« ist weiterhin ein zentrales Thema. Mit dem seit Jahren stagnierenden 23 Prozent Lohnunterschied bleibt Deutschland beinahe Schlusslicht in Europa – nur Estland, Österreich und die Tschechische Republik belegen schlechtere Plätze.

* Aus: Neues Deutschland, 8. März 2011


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