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Ausverkauf von Gemeingütern

Geplantes Freihandelsabkommen zwischen EU und USA gefährdet auch öffentliche Daseinsvorsorge. Zukünftige politische Änderungen werden »so teuer und schwer wie möglich« gemacht

Von Jan Greve *

Als US-Präsident Barack Obama am Mittwoch seine Hände symbolträchtig um die von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Ratschef Herman van Rompuy legte, wurde die inszenierte Harmonie greifbar. Daß EU und USA nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine neue Einigkeit demonstrieren, könnte unter Umständen auch für ein weiteres gemeinsames Projekt von Bedeutung sein: dem geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (»Transatlantic Trade and Investment Partnership«).

Seit Monaten schon reihen sich geheime Verhandlungsrunden sowie Wachstums- und Wohlstandsverheißungen aneinander, tatsächlich regt sich gleichzeitig auch der Protest gegen das Vorhaben von USA und EU (jW berichtete). Die Kritik reicht von Ängsten vor »Chlorhühnchen« über begründetes Unbehagen vor einem Klagerecht von Investoren gegenüber Staaten, falls diese sicher geglaubte Profite gefährden. Was für weitreichende Folgen dieses Freihandelsabkommen haben könnte, wird mit Blick auf ein anderes Thema deutlich. Die öffentliche Daseinsvorsorge und die damit zusammenhängenden Dienstleistungen sind ebenfalls Verhandlungsmasse innerhalb des TTIP. Dies erklärte Oliver Prausmüller von der Arbeiterkammer (AK) Wien, der Interessensvertretung der östereichischen Arbeitnehmer, am Mittwoch in Berlin.

Im Rahmen der ver.di-Veranstaltungsreihe »sichtweisen« referierte der handelspolitische Experte der AK Wien über die Effekte von Freihandelsabkommen und ihre weitreichenden Konsequenzen. Das Ziel einer solchen Übereinkunft sei schlicht zusammenzufassen. »So lange nicht privatisiert wird, wird auch nicht verhandelt« so Prausmüller. Da der Abbau von Zöllen, ein klassisches Ziel von Freihandel, zwischen den USA und der EU kaum noch eine Rolle spiele, gehe es aktuell um die Reduktion »nichttarifärer Handelshemmnisse«. Konkret bedeute dies, daß ausländische Unternehmen sich berechtige Hoffnung machen dürfen, in den Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge mitmischen zu können. Ob und inwiefern bestimmte Bereiche wie Energie, Wasser oder Gesundheit außerhalb von Märkten organisiert wird, könnte damit schon bald keine Entscheidung mehr von demokratisch legitimierten Akteuren sein.

»Damit geht es nicht mehr um die Frage ›Privatisierung – ja oder nein?‹, sondern generell um die Möglichkeit von nationaler und lokaler Seite, solche Entscheidungen überhaupt zu treffen«, stellte Prausmüller klar. Aktuelle Regulierungsstandards würden durch ein an Investoreninteressen ausgerichtetes Freihandelsabkommen zementiert und zukünftige politische Änderungen damit so teuer und schwer wie möglich gemacht, so die Befürchtung. Auf schwammig formulierte Paragraphen, die vorgeblich den Schutz öffentlicher Dienstleistungen garantieren, sei kein Verlaß.

Die mangelnde Transparenz, die sich als roter Faden durch alle bisherigen Verhandlungsrunden ziehe, stelle laut Prausmüller dabei eine zusätzliche Hürde dar, gegen solche Bestrebungen vorgehen zu können. Mit Blick auf die im Mai anstehenden Wahlen zum Europaparlament sei die Sorge der Verhandlungsführer vor einer öffentlichen Debatte um die Zukunft öffentlicher Güter umso größer. Genau diese Sorge könnte allerdings auch Anlaß sein, innerhalb der nächsten Wochen und Monate Druck auf die Verantwortlichen auszuüben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. März 2013


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