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"Widerstand braucht einen langen Atem"

Brüsseler Proteste gegen Handelsabkommen TTIP: Vertrag würde nur Konzernen nützen. Ein Gespräch mit Roland Süß *


Roland Süß ist Experte für internationalen Handel im ATTAC-Koordinierungskreis und aktiv bei den Protesten gegen das Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership).


Rund 300 Aktivisten der europäischen Blockupy-Bewegung haben vergangenen Donnerstag in Brüssel gegen die Geheimverhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen USA und Europäischer Union protestiert. Welche Kritik wurde laut?

Würde das Abkommen in Kraft gesetzt, würde es gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten massiv einschränken. Es wäre ein radikaler Angriff auf soziale, ökologische, rechtliche und demokratische Standards – in der EU und den USA. Kanadische Aktivisten haben ebenso das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, kritisiert, das parallel verhandelt wird. Es hat eine ähnliche Zielrichtung wie TTIP und sieht ebenso eine fast vollständige Öffnung der Märkte vor: Macht und Einflußmöglichkeiten von Konzernen und Investoren würden drastisch ausgeweitet. So ist ein Sonderklagerecht für Unternehmen geplant: Sie können Staaten verklagen, falls neue Gesetze ihre Gewinnerwartungen schmälern. Geplant ist auch, einen »regulatorischen Kooperationrat« einzusetzen. Dieser würde Konzernen ermöglichen, bei neuen Gesetzesinitiativen Einfluß zu nehmen – lange bevor Parlamente die Vorschläge zu sehen bekommen. Er würde prüfen, ob deren Entwürfe mit TTIP konform sind.

Wie haben die Aktivisten unter anderem aus Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, Deutschland, aus den USA und Kanada ihren Protest dagegen verdeutlicht?

Wir hatten eine Aktion direkt vor der Tür der EU-Kommission im Vorfeld angemeldet – was uns am Mittwoch untersagt wurde, aber am Donnerstag doch gelang. Wir hatten den EU-Handelskommissar Karel de Gucht aufgefordert, zu uns nach draußen zu kommen, um unsere Kritik anzuhören und nicht nur die Interessen der Konzernbosse zu berücksichtigen. Das hat er abgelehnt, uns aber angeboten, eine Delegation von uns im Gebäude zu empfangen. Hinterzimmergespräche wollten wir aber nicht führen. Deshalb sind wir darauf nicht eingegangen.

Sie haben dann den Eingang blockiert …

Ja. Die Polizei war nur mit wenigen Kräften vor Ort und hat kurzzeitig versucht, uns den Weg zu versperren. Als sie gemerkt haben, daß das nicht funktioniert, haben sie sich zurückgezogen. Es war nicht so ein konfrontatives Auftreten, wie wir es bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt am Main im vergangenen Sommer erlebt haben.

Außerdem haben Aktivisten einige Eimer Milch gegen die Eingangstür des Gebäudes der Handelskommission geschleudert, um zu verdeutlichen: Die Kleinbauern werden leiden, wenn durch das Abkommen die Konkurrenz noch schärfer wird. Es bedeutet Nachteile für die Bevölkerung, einzig Konzerne profitieren. Mittlerweile gibt es ein breites Bündnis; in viele gesellschaftliche Schichten ist unser Protest durchgedrungen. Industrievertreter behaupten, das Abkommen werde Arbeitsplätze bringen. Daran glaubt sonst niemand mehr.

Was wurde beim internationalen Strategietreffen der TTIP-Kritiker in Brüssel diskutiert, das vergangene Woche ebenfalls in Brüssel stattfand?

Amerikanische Aktivisten berichteten über Erfahrungen mit dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Es existiert seit 20 Jahren. Seinerzeit hieß es, es würde Wohlstand und Arbeit für alle bringen; Kleinbauern in Mexiko würden profitieren, es werde weniger Fluchtbewegungen geben. Tatsächlich aber wurden nur Zäune höher gebaut. Rund 700000 Arbeitsplätze gingen allein in den USA verloren.

Erwarten Sie, daß die Unterhändler der EU und der USA ihre Gespräche zu TTIP unterbrechen, um das Thema aus den Wahlen zum Europaparlament am 25. Mai herauszuhalten?

Das wird ihnen nicht gelingen. Dazu ist die öffentliche Kritik am Freihandelsabkommen schon zu stark, auch dank unserer Informationsarbeit. Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Vertrag ist, müssen Parteien, die es unterstützen, mit Stimmverlusten rechnen. Im Moment spricht sich kaum ein Politiker offen für TTIP aus, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht. Das dürfte aber reine Wahltaktik sein. Wir sollten uns nicht beirren lassen. Unser Widerstand braucht einen langen Atem.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Montag, 17. März 2014


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