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Europa – eine Seemacht bis in den Pazifik?

EU-Kommission arbeitet an einer "Maritimen Sicherheitsstrategie", die weit über die eigenen Küsten hinausreicht

Von Hermannus Pfeiffer *

Die EU-Kommission verfasst eine maritime Sicherheitsstrategie – die soll bis in den Pazifischen Ozean reichen.

Das 21. Jahrhundert könnte ein maritimes werden. Der Start eines Jets auf Chinas erstem Flugzeugträger im November steht für den Trend zu Marinen, die fern heimischer Küsten operieren. Gleichzeitig verschieben sich durch die ökonomische Globalisierung geostrategische Gewichte. Davon zeugt die derzeitige Militärdoktrin der Vereinigten Staaten. Maritim aufgerüstet wird insbesondere im pazifischen Raum, von Japan bis Australien, von Südkorea bis Indien.

Jetzt zieht die Europäische Union zumindest programmatisch nach. In Brüssel arbeitet die EU-Kommission an einer »Europäischen Maritimen Sicherheitsstrategie«, die voraussichtlich im Februar veröffentlicht wird.

Eine breite Diskussion über die maritime Sicherheit Europas ist nicht allein wegen der internationalen Flottenaufrüstung überfällig: 70 Prozent der Erde sind mit Wasser bedeckt, nur 30 Prozent sind Land. Der Großteil des internationalen Handels läuft über die blaue Straße. Für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung sind Fischfang und Aquakulturen unersetzlich. Die Gewinnung von Erdöl und Energie aus dem Meer wird immer wichtiger. Zudem »bevölkern« sich die Ozeane, weil der Tourismus auf hoher See rasant wächst. Selbst die Förderung seltener Rohstoffe aus der Tiefsee dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein. All dies wirft verteidigungspolitische Fragen auf, die von der militärischen Macht bis zu Piraterie und Terrorismus reichen.

Die EU fängt maritim nicht bei null an. 2006 hatte die Kommission ein Grünbuch zur Meerespolitik vorgelegt, in dem auch linke Experten gravierende Fortschritte sehen. Darauf basiert die »Integrierte Meerespolitik der EU« (IMP). Mit ihr wurden von der Kommission in Brüssel maritime Interessen für den EU-Raum abgesteckt: vom Erhalt von Seefahrt und Häfen über attraktivere Küstenregionen als Wohnort bis zur nachhaltigen Fischerei und Werftindustrie. Es folgten Programme zur Förderung maritimer Wirtschaft sowie zum Schutz der Meeresumwelt.

Was die EU bislang ausspart, sind militärische Strategien. Europa müsse endlich definieren, worin seine Interessen auf hoher See bestehen und wie sie geschützt werden könnten, fordert Markus Harder von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin im Gespräch mit »nd«. Das einflussreiche Institut berät unter anderen die Bundesregierung. Der Knackpunkt für Harder: »Wofür interessieren wir uns eigentlich? Was sind die Gefahren?«

Weltweite Gefahren sehen der frühere Marineinspekteur Lutz Feldt und Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität München. In einem Strategiepapier beklagen sie »Seeblindheit« der Politik. Den Autoren geht es um eine Bündelung der Marinekräfte, damit Europa international schlagkräftiger werde. Großbritannien und Frankreich fällt es immer schwerer, die finanziellen Lasten ihrer Flugzeugträger zu tragen. Ein europäischer Trägerverband könnte helfen, den »Abstieg zu maritimen Mächten zweiter Klasse« abzuwenden.

Der Seemacht-Komplex, zu dem auch Marine, Politiker in Bund und Ländern, ThyssenKrupp mit seinen Rüstungswerften oder das »Deutsche Maritime Kompetenz Netz« zählen, fordert eine territoriale Ausweitung über die EU-Küsten hinaus. Schließlich sei die deutsche Containerflotte die größte der Welt und etwa 80 Prozent des EU-Außenhandels würden auf dem Seeweg abgewickelt.

Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember wurde erstmals seit Jahren über grundlegende Fragen der Verteidigungspolitik beraten. Hinter verschlossenen Türen. Die Straße von Malakka – das Nadelöhr auf dem Weg zum Pazifik, durch das Europas Handel mit China hindurch muss – könnte bald näher als der Hindukusch liegen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 10. Januar 2014


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