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Abschottungspolitik

Ein Band zur Flüchtlingsabwehr an den EU-Außengrenzen

Von Gerd Bedszent *

Der kürzlich vom Promedia-Verlag herausgegebene Band enthält elf Beiträge von acht Autorinnen und Autoren, die sich mit der Auslagerung des EU-Grenzregimes in die südlichen Nachbarländer beschäftigen. Ziel dieser Strategie der Externalisierung sei es, die Flüchtlingsabwehr an den europäischen Außengrenzen nichteuropäischen Staaten aufzubürden sowie die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen ebenfalls nach »außen« zu verlagern. Die Beiträge beruhen zu großen Teilen auf der Analyse von Strategiepapieren und Gesetzestexten, außerdem werden mehrere konkrete Fallbeispiele von Staaten untersucht, bei denen diese Strategie greift bzw. künftig greifen soll.

Wie im Buch mehrfach nachgewiesen wird, dienen den EU-Bürokraten zur Rechtfertigung der massiven Einmischung in die Belange afrikanischer Staaten unter anderem Fragen der inneren Sicherheit (Terrorismusabwehr) und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Drogenschmuggel und Menschenhandel). Die Installation prowestlicher Regime in den betreffenden Staaten soll dazu dienen, stabile politische Verhältnisse herzustellen und den Flüchtlingsstrom einzudämmen.

In einem Beitrag untersuchen Stefan Brocza und Martina Jäger die Zusammenarbeit der EU mit dem im Jahre 2011 gestürzten Ghaddafi-Regime in Libyen. Das Vorhaben, in der libyschen Wüste EU-finanzierte Internierungslager einzurichten, scheiterte im Jahre 2009 allerdings daran, dass sich die EU mit der damaligen libyschen Regierung nicht über die Höhe der finanziellen Zuwendungen einigen konnte. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Partnern wurde aber erst im Februar 2011 eingestellt. Leider bricht der Artikel an dieser Stelle ab; Aktivitäten der EU im libyschen Bürgerkriegschaos werden nicht thematisiert.

Ein weiterer Text von Claudia Grössing schildert unter anderem das massive finanzielle Engagement von EU-Institutionen in Ghana. Allein zwischen 2008 und 2013 flossen 145 Millionen Euro an staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen. Ziel dieser Kooperation sei die Anpassung der Wirtschaft des westafrikanischen Staates an die Bedürfnisse der EU, aber auch dessen Integration in die europäische Flüchtlingsabwehr.

Hochinteressant ist der Beitrag von Magdalene Grasse über Marokko. Die repressive nordafrikanische Monarchie befindet sich derzeit in einem Prozess der wirtschaftlichen Integration in die EU. Die Autorin vergleicht diesen Vorgang mit dem seinerzeit zwischen den USA, Kanada und Mexiko geschlossenen Freihandelsabkommen NAFTA und weist nach, dass als klar voraussehbare Folge große Teile der marokkanischen Wirtschaft zusammenbrechen werden. Die Eindämmung von Flüchtlingsströmen durch wirtschaftliche Kooperation sei somit eine Quadratur des Kreises, die Fluchtursachen würden durch eine EU-Integration eher verstärkt.

Herausgeber Stefan Brocza kritisiert in seinem abschließenden Beitrag die »Unterwerfung der Entwicklungspolitik unter das Primat der Außen-, Sicherungs- und Verteidigungspolitik« und nennt die EU einen »ziel- und zweckorientiert agierenden imperialistischen Akteur«.

Stefan Brocza (Hg.): Die Auslagerung des EU-Grenzregimes. Externalisierung und Exterritorialisierung, Promedia-Verlag, Wien 2015, 222 Seiten, 25 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 27. April 2015


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