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"Demokratische Kontrolle ist ungeklärt"

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat angesichts des Ukraine-Konflikts für eine europäische Armee geworben. Gespräch mit Bernhard Rinke *


Bernhard Rinke ist Mitglied des Zentrums für Demokratie- und Friedensforschung (ZeDF) an der Universität Osnabrück und wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Schwerpunkt »Internationale Beziehungen und Friedens- und Konfliktforschung«.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts plädiert EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seit März dafür, eine europäische Armee zu gründen. Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass er Europa so tatsächlich in ein gemeinsames militärisches Aufrüsten in noch größerem Umfang treiben könnte?

Innerhalb der Europäischen Union gibt es viele Widerstände, eine europäische Armee zu realisieren; vor allem aufgrund der damit verbundenen Beschränkung nationaler Souveränität der Mitgliedsstaaten. Insofern fehlt momentan der politische Wille, und sein Vorschlag wird vermutlich im Sande verlaufen; maximal wird es bei einer Kooperation im rüstungspolitischen Bereich bleiben.

Wie nehmen Vertreter der Berliner Regierungskoalition aus SPD und CDU/CSU Junckers Ansinnen auf?

Sein Vorstoß ist sowohl bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als auch bei deren Parteikollegen und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, auf positives Echo gestoßen. Selbst der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, verdeutlicht, »zu 100 Prozent bei Juncker« zu sein. Die Debatte ist aber nicht neu. In den vergangenen Jahren haben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) immer wieder eine europäische Armee befürwortet. Allerdings ist der Gedanke völlig abwegig, mit militärischer Macht zu provozieren und damit den Konfliktherd zu beeinflussen. Ich bin der Meinung, dass dies allen Beteiligten auf EU-Ebene klar ist.

Widerspricht eine solche Politik der Bundesregierung nicht dem Grundgesetz?

Verfassungswidrig ist eine europäische Armee nicht notwendigerweise, es gibt aber immense Hürden: Zum Beispiel ist nicht geklärt, wie diese durch die Parlamente zu kontrollieren wäre. Dahinter steht die Idee eines föderativen Bundesstaates Europa, der alle Kompetenzen für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach Brüssel abgeben würde. Seit dem Streitkräfteurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 ist aber bekannt, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedürfen: Bislang ist also ungeklärt, was aus dieser demokratischen Kontrolle würde, wenn sie in einer europäischen Armee aufginge. Mit ihrem Urteil zum Vertrag von Lissabon haben die Karlsruher Richter eine weitere Hürde für den Eintritt Deutschlands in einen europäischen Bundesstaat – mit einer integrierten Armee – errichtet: Dieser Schritt sei »allein dem unmittelbar erklärten Willen des deutschen Volkes vorbehalten«. Dass letzteres in absehbarer Zukunft dazu bereit sein könnte, darf bezweifelt werden.

Ist die deutsche Bundesregierung mit Ihrer Zustimmung zur europäischen Armee in der EU isoliert?

Ja, in der Tat gibt es keine breite Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten, vor allem Großbritannien ist entschieden dagegen. Die deutsche Regierungskoalition äußert sich widersprüchlich. Sie hat eine europäische Armee schon in der Vergangenheit befürwortet, zugleich aber eine militärische Lösung im Ukraine-Konflikt ausgeschlossen.

Welche Wirkung könnte allein eine solche Rhetorik, die auf militärische Lösungen setzt, auf Russland haben?

Der Juncker-Vorstoß ist zu kritisieren, weil er in die Irre führt. Würde die EU fortwährend mit der Gründung einer europäischen Armee drohen, hätte dies zweifellos eskalierende Folgen. Der Konflikt in der Ukraine ist unter dem Stichwort »hybrider Krieg« zu betrachten: Ein Staat unterstützt in einem anderen Aufständische; gemeint ist die Unterstützung der Separatisten durch Russland. Zu fragen ist also, wie ist damit umzugehen? Dieses Problem kann nicht durch eine europäische Armee gelöst werden. Ich appelliere, die Konfliktursachen politisch zu bearbeiten nicht an Symptomen herumzudoktern oder mit Rückzug auf das Militärische zu drohen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Mai 2015


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