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Gysi: Kein Europa der Eliten

Bundestag beriet über das neue Paket zum EU-Begleitgesetz

Von Uwe Kalbe *

Der Bundestag hat am Mittwoch (26. Aug.) in Erster Lesung über die Entwürfe zum neuen EU-Begleitgesetz beraten. Dabei hielt sich die sachliche Erörterung in den engen Grenzen, die die Übermacht der Großen Koalition sowie der Wahlkampf dieser Tage erlauben.

Die Vertreter der LINKEN hatten Mühe, ihren Anteil am Zustandekommen dieser Sitzung in Erinnerung zu rufen. Und das, obwohl die Parlamentarier aller Fraktionen nicht müde wurden, das Bundesverfassungsgericht zu loben, das mit seinem Urteil zu einer Beschwerde der LINKEN eine Überarbeitung des EU-Begleitgesetzes nötig gemacht hatte.

Der LINKEN sei es nicht um eine Stärkung der Parlamentsrechte gegangen, sondern darum, den Vertrag von Lissabon zu kippen, meinte etwa der Grünen-Innenpolitiker Jerzy Montag. Und damit sei sie gescheitert, denn der Lissabon-Vertrag wurde nicht in Frage gestellt. »Sie verdanken die Debatte nicht nur Karlsruhe, sondern vor allem der LINKEN«, rief Fraktionschef Gregor Gysi hartnäckig in das Hohnlachen der Kollegen.

Diese honorierten auch Gysis Bekenntnis zur europäischen Integration mit lautem Spott, und so ging auch dessen Ergänzung im Lärm unter: Diese Integration dürfe nur mit Zustimmung und Unterstützung der Bürger erfolgen. Die LINKE wolle kein Europa der Eliten wie die Fraktionen der Großen Koalition - das sei der Unterschied zwischen beiden Seiten.

Dass ein Europa der Eliten sich von einem der Bürger auch darin unterscheidet, welche Rechte das Parlament gegenüber der Exekutive hat, das liegt für Gysi auf der Hand. Und wohl auch für Thomas Oppermann, der für die SPD das Urteil von Karlsruhe wie auch die vier vorliegenden Anträge der Großen Koalition lobte. »Punkt für Punkt« seien darin die neuen Rechte des Bundestages geregelt. Norbert Röttgen versicherte namens seiner Fraktion, die CDU werde »keine Entparlamentarisierung bei der Globalisierung« zulassen. Die im alten Gesetz festgeschriebene Einschränkung der Rechte des Parlaments räumte Oppermann eher verschwiemelt ein. Und auch, dass die nun vorliegenden Entwürfe wiederum Einschränkungen vorsehen. Die Bundesregierung, so führte er aus, könne »aus integrationspolitischen Gründen eine vom Parlamentswillen abweichende Entscheidung auf EU-Ebene treffen - »allerdings mit anschließender Rechenschaftspflicht«. Rainder Steenblock von den Grünen stimmte mit den Worten zu, die Grünen seien gegen ein imperatives Mandat des Parlaments, denn das habe »nichts mit der Realität zu tun«.

Immerhin stimmte Steenblock in die Kritik der LINKEN ein, die ein vermindertes Einspracherecht des Bundestages in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik kritisiert. Die Große Koalition lässt jedoch keinen Zweifel: Ein Vorbehalt, mit dem die Bundesrepublik ihre Zustimmung zum EU-Vertrag relativieren könnte, wird ebenso abgelehnt wie Volksabstimmungen. Oppermann unterstellte den Befürwortern von Plebisziten, diese dienten ihnen lediglich zur Mobilisierung europapolitischer Ressentiments.

Diether Dehm, Europapolitiker der Linksfraktion, wandte sich vehement dagegen, wie prominente Völkerrechtler oder auch der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) auf das Urteil von Karlsruhe mit dem Wunsch einer Einschränkung der Rechte des Bundesverfassungsgerichts zu reagieren. »Was ist denn das für ein Verfassungsverständnis«, so Dehm.

Der Bundestag will das Gesetzespaket am 8. September endgültig verabschieden. Im Bundesrat ist dies am 18. September geplant.

* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2009

Die Gesetzesentwürfe/Anträge

Beraten werden folgende Anträge:
  • Entwurf eines Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (BT-DS 16/13923), eingebracxht von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; im Internet: 16/13923 (pdf-Datei)
  • Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon (BT-DS 16/13924), von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; im Internet: 16/13924 (pdf-Datei)
  • Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (BT-DS 16/13925), von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; im Internet: 16/13925 (pdf-Datei)
  • Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BT-DS 16/13926), von CDU/CSU, SPD und FDP; im Internet: 16/13926 (pdf-Datei)
  • Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) (BT-DS 16/13928), eingebracht von der Fraktion DIE LINKE; im Internet: 16/13928 (pdf-Datei)
(Alle Links auf die Gesetzentwürfe sind externe Links)



Bekenntnis zu Nationalstaat und Europa **

Das Verhältnis von Nationalstaat und Europäischer Union haben mehrere Abgeordnete am 26. August 2009 in den Mittelpunkt ihrer Redebeiträge zu den geplanten Begleitgesetzen zum EU-Grundlagenvertrag von Lissabon gestellt. Die Fraktionen hatten zur ersten Lesung fünf Gesetzentwürfe eingebracht, über die der Bundestag am 8. September abstimmen will. (...)

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte, die EU sei die beste Voraussetzung dafür, dass Krieg und Nationalismus in Europa dauerhaft überwunden werden. "Wir brauchen Europa, wenn wir deutsche Interessen in der Welt glaubhaft vertreten wollen", sagte Oppermann. Das Grundgesetz wolle das vereinte, demokratische und soziale Europa. Bundestag und Bundesrat müssten künftig in EU-Angelegenheiten befragt werden, und zwar "nicht nur im Nachhinein". Die Bundesregierung müsse Stellungnahmen des Bundestages bei ihren Verhandlungen in Brüssel zugrunde legen. Nach außen bleibe die Bundesregierung unbeschränkt verhandlungsfähig, nach innen sei sie dem Bundestag voll rechenschaftspflichtig, unterstrich der SPD-Politiker.

"Wir wollen Europa verbessern"

Jörg van Essen (FDP) betonte: "Wir wollen Europa verbessern. Wir haben gesehen, dass einige Kräfte im Land Europa offensichtlich nicht wollen." Der Bundestag erhalte nun zusätzliche Möglichkeiten, aber auch Pflichten. Zu viele Ausschüsse im Bundestag beschäftigten sich bisher zu wenig mit dem, was in Brüssel passiert. Die Länder seien in der Pflicht, auch ihre Landtage bei der Mitwirkung in EU-Angelegenheiten einzubinden. Ungeklärt ist nach Darstellung van Essens das Verhältnis des Europäischen Gerichtshofs zum Bundesverfassungsgericht: "Dieses Verhältnis muss geklärt werden."

Für Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) hängen Nationalstaat und Europa existenziell voneinander ab. Auf viele Fragen gebe es keine nationalen Antworten mehr: die Ordnung der Kapitalmärkte sei international, ebenso der Terrorismus, der Klimaschutz, die Handelspolitik. Die europäische Integration, so Röttgen, sei die Möglichkeit, nationale Interessen zu vertreten: "Der Nationalstaat braucht Europa, Europa braucht den Nationalstaat." Ein Europa ohne die Mitgliedstaaten und deren kulturelle Identität sei nicht denkbar. "Wir müssen europäische Gesetzgebung, europäische Politik als Innenpolitik verstehen. Die demokratische und humane Gestaltung der Globalisierung dürfe nicht zu einer Entparlamentarisierung führen.

"Wir wollen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger"

Dr. Gregor Gysi (Die Linke) wies darauf hin, dass erste die Klagen unter anderem der Linken vor dem Bundesverfassungsgericht zu dieser Debatte geführt hätten. Die Linke hatte sich an den Gesetzentwürfen der anderen vier Fraktionen nicht beteiligt, sondern einen eigenen Gesetzentwurf zu Änderungen des Grundgesetzes (16/13928) vorgelegt. "Vier Fraktionen wollen ein Europa der Eliten, wir wollen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger", betonte der Fraktionsvorsitzende. Wenn der Bundestag eine Stellungnahme abgebe, dann müsse diese auch für die Bundesregierung verbindlich sein, forderte Gysi.

Rainder Steenblock (Bündnis 90/Die Grünen) nannte den Karlsruher Richterspruch einen "Tritt ans Schienbein" des Bundestages, denn: "Das hätten wir alles schon vorher allein regeln können." Auch nach Meinung Steenblocks braucht es die Nationalstaaten und die europäischen Strukturen. Im Verhältnis von Parlament und Regierung sei es zu einem "schleichenden Prozess der Exekutivdemokratie" gekommen. Das Urteil sei daher auch eine Chance, "unser Selbstbewusstsein und unsere Identität als Parlamentarier wahrzunehmen". Steenblock sprach sich gegen ein imperatives Mandat des Parlaments aus, weil dies mit der politischen Wirklichkeit "nicht viel zu tun" habe. (...)

** Auszüge aus: Website des Deutschen Bundestags, 26. August 2009; www.bundestag.de


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