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Geschlossene Gesellschaft

EU bricht Versprechen: Innenminister verweigern Bulgarien und Rumänien den Schengen-Beitritt. Deutschland blockiert Lockerung von EU-Asylregelungen

Von Ulla Jelpke *

Osteuropäer müssen vorerst draußen bleiben: Die rechtspopulistisch beeinflußten Regierungen der Niederlande und Dänemarks haben beim Treffen der EU-Innenminister in Brüssel am Donnerstag (22. Sept.) den Beitritt von Rumänien und Bulgarien zum Schengen-Raum blockiert. Die polnische Regierung, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sprach von einer schweren Vertrauenskrise innerhalb der EU.

Bei ihrem EU-Beitritt war den beiden osteuropäischen Staaten 2007 auch die Aufnahme in das Schengen-System zugesagt worden. Dem gehören derzeit 25 Staaten an. Als Gegenleistung für den Verzicht auf Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raumes müssen diejenigen Staaten, die an einer Außengrenze der EU liegen, diese umso dichter abschotten. Die Niederlande und Dänemark wollen sich nun an den vereinbarten Fahrplan nicht mehr halten. Der niederländische Einwanderungsminister Gerd Leers beschwor das Bild einer Tür, die mit den besten Schlössern der Welt gesichert sei – »aber vor der Tür steht jemand, der jeden reinläßt, dann haben wir ein Problem«. Dabei bescheinigte selbst Leer den beiden Anwärtern, sie hätten die Kontrollen ihrer Außengrenzen zur Ukraine, zu Moldawien und zur Türkei technisch »auf unser Niveau« gebracht. Als Grund für die Aufnahmeverweigerung nannten er und sein dänischer Kollege die mangelhafte Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Dagegen können zwar auch Grenzkontrollen nicht viel bewirken, aber offenbar wird die Schengen-Frage zum Instrument für ganz andere politische Interessen. So räumte auch die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ein, die technischen Kriterien an der bulgarischen und rumänischen Grenze seien erfüllt, aber man müsse »auch das Sicherheitsgefühl unserer Bevölkerung« berücksichtigen.

Weil die Neuaufnahme in den sogenannten Schengen-Raum nur unisono erfolgen kann, wurde am Donnerstag gar nicht erst abgestimmt. Der rumänische Europaminister Leonard Oben reagierte empört: Man habe schon »mehr als eine Milliarde Euro« in die Grenzsicherung gesteckt. Der Aufschub geschehe »nach absolut willkürlichen Kriterien«. Der polnische Innenminister und derzeitige Ratspräsident Jerzy Miller erklärte dazu: »Heute ist das Versprechen im Beitrittsvertrag Rumäniens und Bulgariens gebrochen worden.« Die EU nutze »gerne ihre Arbeit«, sei aber »nicht bereit, ihnen entgegenzukommen«. Deutschland und Frankreich hatten in letzter Minute einen Kompromißvorschlag vorgelegt. Danach könnten in einer ersten Stufe die Kontrollen bei Luft- und Schiffsreisen entfallen. Im Sommer kommenden Jahres soll dann erneut über die Landgrenzen diskutiert werden. Der deutsche Innenstaatssekretär Ole Schröder (CDU) hofft auf ein Einlenken der Niederlande auf dem bevorstehenden EU-Gipfel Mitte Oktober in Brüssel. Minister Leers betonte jedoch: »Wenn es keine neuen Fakten gibt, ist es sinnlos, darüber zu diskutieren.«

Scharfe Kritik an dieser Haltung äußerte der CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber, der die EU mahnte, sie dürfe sich nicht »von den Rechtspopulisten in zwei Mitgliedsstaaten in Geiselhaft nehmen lassen«.

Eine glatte Abfuhr holte sich am Donnerstag (22. Sept.) auch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. Sie hatte vorgeschlagen, das Recht der Schengen-Länder zur vorübergehenden Wiederaufnahme von Grenzkontrollen massiv einzuschränken und im wesentlichen von der Zustimmung der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten abhängig zu machen (vgl. jW vom 21.9.). Das sei für ihn »nicht akzeptabel«, sagte Ole Schröder im Namen der Bundesregierung in Brüssel. Andere Ländervertreter schlossen sich ihm an. Abgelehnt wurde auch eine Initiative zur Lockerung des Dublin-Systems, nach dem Asylsuchende im Erstankunftsland in der EU ihr Asylverfahren betreiben müssen. Die EU-Kommission wollte eine Notfallklausel zur Aussetzung dieses Systems schaffen, scheiterte aber auch hier am Widerstand Deutschlands und anderer Mitglieder.

* Aus: junge Welt, 24. September 2011


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