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Der "Stresstest" steht noch bevor

Schwacher Euro und marode Alt-Parteien verhelfen Rechtspopulisten in EU zum Aufschwung

Von Steffen Klatt *

Europas Rechtspopulisten spüren kräftigen Rückenwind. Sie profitieren von den unübersehbaren Kosten der Eurokrise, der geschürten Angst vor den Folgen illegaler Einwanderung und der Schwäche etablierter Parteien. Erfolgreich sind sie ausgerechnet in wirtschaftlich stärkeren Ländern.

Das politische Europa schaut derzeit auf Timo Soini. An diesem bulligen Mann im äußersten Nordosten der Eurozone hängt das Schicksal eines Landes im äußersten Südwesten des gemeinsamen Währungsraums – und vielleicht die Zukunft des Euro. Soini hat vor knapp zwei Wochen bei den Wahlen in Finnland mit dem Versprechen gepunktet, dass das Steuergeld der »fleißigen Finnen« nicht mehr die Schulden von sonneverwöhnten Südeuropäern finanzieren soll. Am 16. Mai müssen die Finanzminister der Eurozone über ein Hilfspaket für Portugal entscheiden, einstimmig. Kommt es nicht zustande, rutscht das erste Euro-Land in die Zahlungsunfähigkeit. Unwahrscheinlich, dass es das letzte bliebe.

Doch am Veto Finnlands wird das Paket wohl nicht scheitern. In Helsinki stehen die anderen großen Parteien hinter der Eurohilfe. Soini wird sie nicht aufhalten können und vielleicht auch nicht wollen. Darauf deutet jedenfalls das Verhalten anderer Rechtspopulisten, die in der Eurozone indirekt oder sogar direkt mitregieren und mit ähnlichen Forderungen wie Soini in den Wahlkampf gezogen waren. So hat Geert Wilders in den Niederlanden mit seiner Freiheitspartei die Wahlen gewonnen, indem er gegen – vor allem islamische – Ausländer gewettert hat. Und gegen Europa. Seit den Wahlen stützt er die Regierung aus Rechtsliberalen und Christdemokraten. Doch die Niederlande verhindern die Eurohilfe nicht. Dabei sind sie in der gleichen Situation wie Finnland: Ihr Staatshaushalt ist gesund, sie haben die beste Bewertung der Ratingagenturen. Trotzdem müssen viele Niederländer den Euro zweimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Damit wäre Platz für Anti-Euro-Populismus. Aber: Wilders schimpft, will die Zahlungen jedoch nicht verhindern.

In Rom regieren die Rechtspopulisten sogar mit. Finanzminister Giulio Tremonti war sich früher für markige Sprüche nicht zu schade. Lega-Nord-Chef Umberto Bossi hat sie heute noch drauf. Aber wenn Stimmung gemacht wird, dann gegen illegale Einwanderer. Stimmung gegen den Euro? Das wäre ein Spiel mit dem Feuer. Denn Italien könnte mit seiner Rekordverschuldung – nur in Griechenland sieht diese Zahl noch schlechter aus – als nächstes Land auf Unterstützung angewiesen sein. Und eine Rückkehr zur Lira will niemand.

Zumindest das politische Europa muss also vorerst keine Angst vor den Rechtspopulisten haben. Noch scheuen diese zurück, die europaskeptische Stimmung voll für sich zu nutzen. Doch es ist keinesfalls sicher, dass es dabei bleibt. Wenn sich die Krise verschärft, wenn die Milliarden fließen – während zu Hause die Sparanstrengungen der Regierungen fühlbar werden – steht der eigentliche Stresstest an. Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste charismatische Rechtspopulist das Thema für einen europaweiten Frontalangriff aufgreift. Genug Potenzial hätte er: Das Vertrauen in die Fähigkeit der EU-Institutionen, die Euro-Krise zu bewältigen, ist nahezu überall bis weit in die Mittelschichten gering.

Einstweilen freilich nähren sich die Rechtspopulisten vom einheimischen Unbehagen. So konnte Soini mit dem Anprangern der Korruption in den etablierten Parteien punkten. In Belgien profitierte Bart de Wever, Parteichef der flämischen Nationaldemokraten, vom Unbehagen vieler Flamen gegenüber dem Finanztransfer nach Wallonien und machte seine Partei zur stärksten des Königreichs. Die andauernde Unfähigkeit der Alt-Parteien, eine Regierung zu bilden, stärkt de Wever: In Umfragen ist seine N-VA noch stärker als bei den Wahlen im vergangenen Juni.

Auch in Frankreich wenden sich die Rechtspopulisten zumindest verbal von harten Positionen ab. Marine Le Pen hat von ihrem Vater Jean-Marie die Führung der Front National übernommen und auf die extremen Töne verzichtet. Prompt gewinnt sie in den Umfragen so sehr, dass Präsident Nicolas Sarkozy fürchten muss, bei den Präsidentschaftswahlen nach der Rechtsextremen und Sozialisten-Chefin Martine Aubry auf Platz drei zu rutschen. Die Ironie: Marine Le Pen kann sich auf die Vorarbeit Jacques Chiracs und Sarkozys stützen. Diese haben mit der UMP (ursprünglicher Name: Union für eine präsidentielle Mehrheit) eine bürgerliche Einheitspartei geschaffen, die auf den Spitzenmann ausgerichtet ist. Aus der gegenwärtigen Schwäche des Präsidenten wird damit eine Schwäche des bürgerlichen Lagers insgesamt.

Ähnlich das Bild in Österreich: Die beiden Dauerregierungsparteien SPÖ und ÖVP (sozialdemokratisch und konservativ) haben an Schwung verloren. Gleichzeitig übertünchen die Rechtspopulisten ihren braunen Anstrich. Prompt steht die FPÖ von Heinz-Christian Strache in den Umfragen an der Spitze. Aus den Fehlern des verunglückten Jörg Haider hat Strache gelernt; er verzichtet auf erratische Positionswechsel und Führergehabe.

Ob Soini, Wilders, de Wever, Le Pen oder Strache – Europas Rechtspopulisten fischen auch im Teich der Linken. Soini sieht sich als Anwalt der armen Finnen. Wilders kämpft gegen Rentenkürzungen. Im fernen Südosten der EU hat diese Mischung bereits den Kampf um die Macht gewonnen: Der Ex-Boxer, Rechtspolitiker und erklärte Antikommunist Bojko Borissow ist mit dem Ruf des Saubermanns und Anwalts der kleinen Leute Ministerpräsident Bulgariens geworden. Rechter Nationalismus im alten Stil lässt sich nur noch in einem Land beobachten, dafür aber richtig: Viktor Orban orientiert sich in seiner Neuordnung Ungarns am Autoritarismus der Zwischenkriegszeit. Die modernen Rechtspopulisten brauchen das nicht mehr. Die Schwäche der etablierten Parteien und die Krise der EU öffnen ihnen den Weg.

* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2011


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