Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ostpartnerschaft: Brücke zur EU und GUS-Ersatz

Von Sergej Markedonow, Moskau *

Am 7. Mai 2009 soll bei einem EU-Gipfel in Prag die neue Ostpartnerschaft aus der Taufe gehoben werden.

An diesem Gipfel beteiligen sich die EU-Staatschefs sowie die künftigen Teilnehmerstaaten des Programms, die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Moldawiwn und die Ukraine teil.

Am selben Tag werden die Präsidenten von Armenien und Aserbaidschan, Sersch Sargsjan und Ilcham Alijew, miteinander verhandeln. Die Urheber des Projekts setzen in dieses Treffen ebenfalls besondere Hoffnungen.

Der Aufbau der Ostpartnerschaft wurde im vergangenen Jahr von schwedischen und polnischen Diplomaten initiiert. In der Tat war es der erste ernstzunehmende öffentlich gemachte Anspruch des neuen Europas, die erste Geige im europäischen Konzert spielen zu wollen.

Damals griff Frankreich als künftiger EU-Vorsitzender die polnisch-schwedische Initiative auf. Deutschland und Großbritannien nahmen das neue Unterfangen zuerst ziemlich kühl auf.

Doch darauf folgte der Fünftagekrieg in Georgien, der in Europa Phobien über eine „Wiedergeburt des Imperiums“ und die Verstärkung des „exklusiven russischen Einflusses in Eurasien“ (was die EU wiederum als Voraussetzung für stärkeren Autoritarismus innerhalb Russlands sieht) hervorrief. v Natürlich drängten die baltischen Staaten und Warschau in dieser Frage besonders in den Vordergrund. Sie hatten zudem neue Argumente bekommen, als der Kreml die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien einseitig anerkannte. Wie dem auch sei, im Dezember des vergangenen Jahres entstand in Brüssel ein Dokument über die Grundlagen und Perspektiven der Ostpartnerschaft.

Im Entwurf der gemeinsamen Deklaration der Partner heißt es, dass dieses Programm auf Grundwerten wie Demokratie, Primat des Gesetzes, Menschenrechte, Völkerrecht und Marktwirtschaft beruhen soll. Das alles wird als Gegensatz zur „Realpolitik“ und „Diplomatie des 19. Jahrhunderts“ dargestellt.

Doch so heißt es auf dem Papier. Mit Hinblick auf die zahlreichen Hindernisse, die die Partner in der Realität umgehen müssen, wird das Unterfangen nichts anderes als ein „Europa-Vorbereitungskurs“.

Analytiker haben die Ostpartnerschaft bereits mit den Abkommen der EU mit Litauen und Polen vor der EU-Osterweiterung 2004 verglichen. Doch hier gibt es ernsthafte Nuancen und grundsätzliche Unterschiede.

Die ehemaligen Sowjetrepubliken werden nicht zum EU-Beitritt eingeladen, obwohl ihre Staatschefs sich bemühen, die Partnerschaft als sperrangelweit geöffnetes Tor nach Europa zu interpretieren. Dabei hatte EU-Komissarin Benita Ferrero-Waldner noch im Winter gesagt, dass die Ostpartnerschaft eine Aufnahme der postsowjetischen Staaten in die EU nicht vorsehe.

Die EU als Institution gibt sich Mühe, ihr Gesicht zu wahren. Sie kann die ehemaligen Sowjetrepubliken nicht direkt abweisen. Die politische Korrektheit und die eigene Propaganda verbieten das. Die EU-Erweiterung wird als alternativlose Entwicklung gesehen. Es lässt sich nur über das Tempo und die Zeiträume streiten.

Deswegen suggerieren viele neue EU-Mitglieder (deren Mitgliedschaft heute unter den Alteingesessenen sehr umstritten ist) den Partnern besonders aktiv überhöhte Erwartungen. Es geht nicht einmal um eine Finanzierung aus dem Ausland, die den russischen Möchtegern-Nationalisten Angst macht.

Gespräche über die schnelle Europäisierung sind ein Anzeichen von sowjetischer Denkart, die in Georgien, der Ukraine, Armenien oder Aserbaidschan ebenso tief verwurzelt ist wie in Russland. Bei dieser Denkart wird eine Idee zum absoluten Wert erhoben und verliert den Bezug zur Realität.

Eine Diskussion über die inhaltliche Seite der Idee ist in diesem Fall auch nicht mehr möglich. Das Ergebnis sind Mythen, überhöhte Erwartungen und praktische Fehler. Die ehemaligen Sowjetrepubliken haben den Kommunismus durch Europa-Bestrebungen mit deutlich antirussischem Einschlag ersetzt.

Tiflis wagte in seinem Glauben an die alternativlose euroatlantische Brüderschaft den Feldzug nach Zchinwal. Das Ergebnis: Russische Panzer stehen 30 Kilometer von der georgischen Hauptstadt entfernt, die Kontrolle über Achalgori und das Kodori-Tal ist verloren, die Chancen auf eine Rückkehr von Abchasien und Südossetien sind gleich Null.

Doch Georgien ist ein Extremfall. Die anderen Länder der Partnerschaft besprechen lediglich den Verzicht auf eine postsowjetische Integration und den Übergang zur Eurointegration.

Die GUS ist mit ihren nebulösen Aufgaben, Zwecken und Zukunftsvisionen zweifellos nicht die effizienteste Struktur. Doch diese Institution, die für eine anständige Scheidung sorgen sollte, gibt den „östlichen Partnern“ zwei spürbare Vorteile: Anerkennung der Hochschulabschlüsse und visafreien Reiseverkehr.

Ein Fachmann, der um das Jahr 1983 herum die Pädagogische Hochschule in Charkow oder die Universität Chisinau absolviert hat, hat im heutigen Russland alle Chancen auf einen Job. Und das ist ein reales Verdienst der GUS.

Es ist hingegen eine rhetorische Frage, wer in Rom, Mailand, Paris oder Frankfurt Diplome einer Medizinhochschule in Baku oder einer pädagogischen Hochschule in Jerewan, Chisinau, Odessa, Schitomir oder Minsk braucht. Das Letztere bedarf zudem noch einer Bescheinigung des Übergangs zur Demokratie.

Doch in der gegenwärtigen EU läuft alles wie zu Sowjetzeiten nach Plan ab. Am 7. Mai steigt der Gründungsgipfel. Danach sollen die Gipfel regelmäßig stattfinden, und das Projekt wechselt unter die Fittiche der Brüsseler Bürokratie, die es verwalten und koordinieren soll.

Wie bei den Nato-Gipfeln wird es Berichte über neue Fortschritte geben. Doch der Konflikt in Bergkarabach ist damit kaum beschwichtigt, Georgien kaum toleranter gegenüber den Motiven von Südossetien und Abchasien und Transnistrien kaum Teil eines „europäischen Moldawiens“.

Natürlich werden auch die Beziehungen der Partner zu Russland kaum besser, zumal viele unter ihnen (nicht unter den Europäern) den Abbau des russischen Einflusses in Eurasien und Europa als Ziel des Projektes ansehen. Doch andere Ergebnisse sind in einer Situation, wo Glaube und Ideologie über Wissen und reale Verhältnisse gestellt werden, kaum zu erwarten.

Zum Verfasser: Sergej Markedonow ist Abteilungsleiter am Institut für Politische und Militärische Analyse.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 5. Mai 2009



Zurück zur EU-Europa-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage