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Neue Chancen für die OSZE?

In Athen beginnt die jährliche Ministerkonferenz der Organisation

Von Hans Voß *

Am Dienstag und Mittwoch (1. und. 2. Dez.) findet in Athen die Ministerkonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) statt. Es treffen sich die Außenminister fast aller Mitgliedstaaten. Guido Westerwelle lässt sich vertreten.

Die OSZE trat in den vergangenen Jahren oft auf der Stelle. Dies auch wegen immer neuer Kontroversen: Insbesondere Russland beklagte die einseitige Ausrichtung der Debatten, wenn es um Demokratie und Menschenrechte ging.

In diesem Jahr könnte neuer Schwung in das Wirken des gesamteuropäischen Staatenforums kommen. Ernsthaft wird beispielsweise über die Zukunft des zwischen Armenien und Aserbaidshan strittigen Gebiets Berg-Karabach gesprochen. Auch die Ratifizierung des überarbeiteten Vertrages über konventionelle Streitkräfte und Rüstungen in Europa (KSE) wird innerhalb der NATO nunmehr in Erwägung gezogen. Neues Leben könnte der OSZE aber vor allem eingehaucht werden, wenn sie zum Zentrum einer Aussprache über die sicherheitspolitische Zukunft des Kontinents würde.

Anlass für diese Aussprache ist der Vorstoß des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew, das sicherheitspolitische Ungleichgewicht in Europa durch den Abschluss eines neuen europäischen Sicherheitsvertrages zu beenden. Die OSZE sollte die erforderlichen Schritte unternehmen.

Auf der Ratstagung der OSZE vor einem Jahr in Helsinki gab es bereits einen ersten Meinungsaustausch über die russischen Vorstellungen. NATO-Staaten hatten lange gezögert, ob sie auf den Vorstoß eingehen sollten, doch der Präsidentenwechsel in Washington lockerte die Stimmung auf. Russlands Außenminister Sergej Lawrow erläuterte die Beweggründe seiner Regierung und Griechenland, das den Vorsitz in der OSZE innehat, kündigte an, ein Sondertreffen »auf hoher Ebene« einzuberufen, um die Diskussion fortzusetzen. Ende Juni fand denn auch ein informelles Treffen der OSZE-Außenminister auf die Insel Korfu statt. Zwar wurden keine Entscheidungen getroffen, doch wurde eine Verhandlungsebene begründet, die Griechenland stolz als »Korfu-Prozess« deklarierte. Zudem erklärte die griechische Seite, dass bis zum heutigen Außenministertreffen eine »strukturierte Debatte« eröffnen wolle, die jetzt in Athen eine erste Bewertung erfahren soll.

Allerdings sollten an die Athener Konferenz nicht zu hohe Erwartungen geknüpft werden. Unter den NATO-Staaten ist nach wie vor Skepsis gegenüber den russischen Absichten weit verbreitet. Vielerorts wird vermutet, Moskau gehe es nur um eine Schwächung der NATO. Beklagt wird auch, dass im Augenblick eine Art Funkstille zum möglichen Beitritt weiterer osteuropäischer Staaten in die NATO herrsche.

Zudem wird argumentiert, dass man die Verabschiedung einer neuen strategischen Konzeption der NATO abwarten müsse. Bevor nicht über die Zukunft der Allianz entschieden ist, hätten Überlegungen über neue Sicherheitsstrukturen in Europa wenig Sinn. Die neue Konzeption der NATO wird aber erst im Frühsommer 2010 vorliegen, und sie hängt entscheidend davon ab, ob es bis dahin gelingt, eine gemeinsame Strategie der NATO in Afghanistan festzulegen und zu befolgen.

So ist mit spürbaren Fortschritten bei der Neugestaltung der europäischen Sicherheitsstrukturen vorerst nicht zu rechnen. Bestenfalls wird man übereinkommen, den Korfu-Prozess fortzusetzen, was russische Hoffnungen nähren könnte, früher oder später doch noch zu einem veränderten Mitein-ander der OSZE-Staaten zu kommen. Die russische Führung jedenfalls hat ihren Beitrag geleistet, um die Tür für einen solchen Weg zu öffnen. Präsident Dmitri Medwedjew hat den Entwurf eines Sicherheitsvertrags vorgelegt, der Gegenstand weiterer Überlegungen sein könnte. Der OSZE könnte die Chance eingeräumt werden, dauerhaft eine gewichtige Rolle im europäischen Sicherheitsdialog zu spielen.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Dezember 2009


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