Suche nach Europas Sicherheitsarchitektur
OSZE soll Rahmen für euro-atlantischen Dialog über russische Vorschläge bilden
Von Hans Voß *
Gegen Jahresende tagen traditionell die in der europäischen Sicherheitslandschaft agierenden
internationalen Organisationen wie NATO und OSZE – in diesem Jahr allerdings unter besonderen
Vorzeichen. Der Wechsel von George W. Bush zu Barack Obama in den USA ist noch nicht
vollzogen. Positionsbestimmungen des neuen Präsidenten in Sicherheitsfragen stehen noch aus.
Sie sind aber unerlässlich.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – ihre Ministertagung beginnt
morgen in Helsinki – befand sich zuletzt in einer ernsthaften Krise. Die OSZE ist mehr und mehr in
ein Instrument westlicher Einflussnahme auf Russland und andere Staaten des »postsowjetischen«
Raums verwandelt worden. Moskau drängt daher darauf, zu den Ursprüngen des Forums
zurückzukehren, zur allseitigen, gleichberechtigten Zusammenarbeit. Anderenfalls könnte ein
Verzicht auf die OSZE ratsam sein.
Bei der fast zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Herbsttagung der NATO-Außenminister ging es
unter anderem um die künftige Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens in der Allianz, die natürlich
Moskaus Interessen stark berührt. Vorerst scheiterten die USA mit dem Versuch, das vereinbarte
Verfahren für einen Beitritt zu beschleunigen. Wie der Nordatlantikpakt in seinem Abschlusskommuniqué
gestern bekräftigte, wolle man den nach der Kaukasuskrise ausgesetzten Dialog mit
Russland schrittweise wieder aufnehmen. Zugleich forderte die NATO mit Blick auf Georgien und die
USA-Raketenabwehr aber auch »Mäßigung« von Moskau. Überdies erklärte die Allianz ihre »tiefe
Besorgnis« angesichts der einseitigen russischen Suspendierung des Vertrags über konventionelle
Streitkräfte in Europa (KSE) und rief Moskau zur Kooperation auf.
Das Moratorium, das Russland dem KSE-Vertrag verordnete, weil die NATO-Staaten dem neu
gestalteten Abkommen seit vielen Jahren die Ratifizierung verweigern, endet Mitte Dezember. Es
wird zu klären sein, was mit dem Prozess der konventionellen Abrüstung geschieht, wenn das
Bündnis seine Verweigerungshaltung nicht aufgibt. Noch ist Bush im Amt und verfügt über
Möglichkeiten, schwer zu revidierende antirussische Akzente zu setzen. Die NATO-Osterweiterung
und die Stationierung von Raketen in Polen und Tschechien gehören dazu. Keine Zuspitzung in
diesen Fragen muss man da wohl schon als Erfolg bewerten.
Russland verlangt seit geraumer Zeit eine Neubestimmung des europäischen Sicherheitsgefüges.
Es schlägt vor, einen neuen Grundsatzvertrag abzuschließen, in dem die Prinzipien der
Zusammenarbeit fixiert werden. Zu ihnen soll die Verpflichtung der Staaten gehören, keinerlei
Maßnahmen zu ergreifen, die ein anderer Staat als Bedrohung auffassen könnte. Zugleich soll eine
Neufassung des KSE-Vertrages angestrebt werden, da das überarbeitete Abkommen (obwohl noch
nicht in Kraft) bereits wieder überholt sei. Mit einer Gipfelbegegnung könnte der gesamte Prozess
der Neubestimmung in Gang gesetzt werden.
Die NATO-Staaten reagierten zunächst auf das Moskauer Drängen verhalten. Russland gehe es
doch bei seinem Vorstoß hauptsächlich darum, seine eigene Position als wiedererstarkte Großmacht
bestätigt zu erhalten. Es war die Bundesregierung, die als erste Interesse an den russischen
Vorstellungen bekundete und zusätzliche Präzisierungen erbat. Sie bot sich damit faktisch als eine
Art Vermittler an. Später schwang sich auch Frankreichs Präsident Sarkozy ins Vermittlungsboot. In
seiner Eigenschaft als EU-Präsident begrüßte er die russische Initiative ausdrücklich.
Nunmehr wird ins Auge gefasst, den von Moskau gewünschten Gipfel auf den Sommer nächsten
Jahres zu legen – nach dem Jubiläumsgipfel zum 60. Jahrestag der NATO, auf dem das Signal für
eine neue NATO-Strategie gegeben werden soll. Den Rahmen soll die OSZE bilden, da in ihr alle
interessierten Staaten vereinigt sind. Gestern hat sich die Allianz auch offiziell zu Gesprächen über
die Vorschläge Dmitri Medwedjews für eine neue euro-atlantische Sicherheitsarchitektur bereit
erklärt. Letztlich aber wird alles auf die Frage hinauslaufen, welche Bedeutung der neue USAPräsident
dem Verhältnis zu Russland beimessen wird. Die europäischen Staaten könnten durch
kluge und vermittelnde Schritte diesen Klärungsprozess positiv beeinflussen.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008
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