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Plätschern im Mittelmeer

Vom exklusiven Projekt einer Regionalgemeinschaft blieb wenig übrig

Von Uwe Sattler *

Die Mittelmeerunion sollte eines der französischen Vorzeigeprojekte werden. Dass es nicht so kommen wird, setzte die EU durch. Der Region wurde damit kein Gefallen getan.

Eine der schillerndsten Figuren wird fehlen. Muammar al Gaddafi wird sein übliches Zelt nicht zur Gründungsfeier der Mittelmeerunion in Paris aufschlagen. Was der libysche Staatschef von dem Projekt hält, hatte er auf einem arabischen Gipfel Anfang Juni klar gemacht: »Wir sind weder ausgehungert noch Hunde, dass sie uns Knochen hinwerfen«, erklärte Gadaffi seinen Amtskollegen.

Im Auge hatte Libyens starker Mann dabei allerdings die abgespeckte Version der Mittelmeerunion. Die EU habe den Vorschlag seines »lieben Freundes« Nicolas Sarkozy »mit Nachdruck« abgelehnt, so Gadaffi. Tatsächlich gingen die Ideen des französischen Präsidenten weit über das hinaus, was nun in Paris beschlossen werden soll. Der Teilnehmerkreis sollte ursprünglich auf die tatsächlichen Anrainer des Mittelmeers beschränkt bleiben; Sarkozy selbst wollte sich für zwei Jahre als Ko-Präsident – neben einem Vertreter aus den Nicht-EU-Staaten – wählen lassen. Nach dem im Frühjahr von Brüssel vorgelegten Vorschlag kann er jedoch nur bis Ende 2008 amtieren. Noch mehr dürfte Monsieur le Président die Öffnung des exklusiven Kreises wurmen. Die Mittelmeerunion soll nun alle 27 EU-Staaten und 17 Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens zusammenbringen. Auch beim Namen des Vorhabens musste Paris Zugeständnisse machen: »Barcelona-Prozess: Union für das Mittelmeer« ist nun der amtliche Titel.

Dass die Vorschläge zurecht gestutzt wurden, hat weniger mit der Geringschätzung der Region oder dem offenen Geheimnis zu tun, dass der Barcelona-Prozess in Agonie liegt. Die 1995 in der katalanischen Metropole begründete Europa-Mittelmeer-Partnerschaft hatte sich das Ziel gestellt, einen politischen Dialog einzuleiten, Konflikte zu verhüten bzw. beizulegen, Kontakte zwischen den Staaten auszubauen sowie sowie »größeren Wohlstand« zu erlangen – insbesondere durch eine Freihandelszone. Funktioniert hat allerdings nur das finanztechnische Anhängsel: Allein zwischen den Jahren 2000 bis 2007 flossen nach Angaben eines Brüsseler Arbeitspapiers 5,9 Milliarden in die Nicht-EU-Länder am Mittelmeer. Mit der Zusammenarbeit dieser zehn Staaten untereinander sieht es allerdings noch schlechter aus als mit der Kooperation Richtung Norden. »Es gibt zwischen den Maghreb-Staaten keinen konstruktiven Dialog, dafür aber geschlossene Grenzen«, konstatierte Frank Baasner vom deutsch-französischen Institut Ludwigsburg nüchtern.

Daran wird auch das neue Bündnis nicht so schnell etwas ändern. Zumal das Interesse der EU-Länder an Nord- und Ostsee an der Mittelmeerregion – trotz der dort konzentrierten Konfliktherde – nicht unbedingt hoch ist. Polen brachte inzwischen schon die Schaffung einer Ost-West-Union ins Gespräch. Dass die ebenfalls für alle EU-Staaten geöffnet werden soll, sagte Warschau nicht.

Ohnehin war es nie das Anliegen der insbesondere von Deutschland durchgesetzten Öffnung, der Zusammenarbeit mehr Effizienz zu verleihen. Es ging vor allem darum, Einfluss und Alleingänge des hyperaktiven Sarkozy zu begrenzen. Der Franzose hatte mit seiner Außenpolitik in Nordafrika die EU-Partner aufgeschreckt und mit seiner Kritik an der Europäischen Zentralbank wie seinem offenen Schmusekurs gegenüber den USA demonstriert, dass er auf gemeinschaftliche Regelungen ebenso pfeift wie auf die Abstimmung mit anderen EU-Staaten. Das aber ist die übliche Vorgehensweise Sarkozys, der nahezu ausschließlich unter Druck eigene Positionen ändert und nur ungern andere Meinungen zu Kenntnis nimmt. Eine Ausnahme gibt es vielleicht: den lieben Freund Gaddafi, dem Paris auch mal Atomkraftwerke verkauft.

44 Staaten an einem Tisch

Die Mittelmeerunion soll die 27 EU-Staaten und 17 Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens zusammenbringen. Das Vorhaben soll die 1995 in Barcelona eingeleitete Annäherung von EU und Mittelmeeranrainern intensivieren.

Neu ist, dass die Mittelmeerpolitik auf das politische Spitzenniveau gehoben wird. Es wird alle zwei Jahre Gipfeltreffen und jährliche Treffen der Außenminister geben. Diplomaten versprechen sich davon mehr Erfolg in der politisch ausgesprochen schwierigen und explosiven Region.

Die Mittelmeer-Partnerschaft soll regionale Projekte, beispielsweise Verkehrswege, fördern. Sie soll für die praktische Arbeit von jeweils einem Generalsekretär beider Seiten geleitet werden. Daneben gibt es auf der höchsten politischen Ebene zwei Ko-Vorsitzende von beiden Seiten. Der Vorsitz soll rotieren, damit alle Länder berücksichtigt werden. Da der Lissabon-Reformvertrag der EU nicht wie erwartet am 1. Januar 2009 in Kraft treten wird, ist noch nicht völlig klar, wie die EU-Seite auf Dauer an der Spitze der Mittelmeerunion vertreten sein wird.

Ein Sekretariat wird die Projekte der Mittelmeerunion auswählen, prüfen und später verwirklichen. Wo es sitzen soll, ist noch offen. Die politische Leitung soll bei einem Ständigen Ausschuss liegen, in dem alle Teilnehmerregierungen vertreten sind.

Die Finanzierung der Mittelmeerunion erfolgt mit dem Geld, das im EU-Haushalt für den Barcelona-Prozess zur Verfügung steht. Allerdings soll das Sekretariat auch Finanzierungen über Banken und private Investoren auf die Beine stellen.

Die Mittelmeerunion beruht auf einer Initiative des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, die im Frühjahr auf Druck von Kanzlerin Angela Merkel »EU-gerecht« gemacht wurde. (ND/dpa)



* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2008


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