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Europäische Verfassung und Friedenspolitik

Von Gerald Mader, Stadtschlaining (Österreich)

Wenn Europa sich eine neue Verfassung geben will, sollten wir darüber nachdenken, wohin die Reise geht. Es ist das erklärte Ziel des Konventionsentwurfs (Artikel 3, Absatz 1), den Frieden zu fördern, wozu gemäß Absatz 4 die strikte Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere die Wahrung der Grundrechte der Charta der Vereinten Nationen gehören. Aber wird der Inhalt des Verfassungsentwurfs dieser abstrakten Zielsetzung gerecht? Inwieweit entspricht der Konvententwurf auch einer friedenspolitischen Orientierung, ist er mit der österreichischen Neutralität vereinbar? Oder atmet er mehr den Geist der Militarisierung? Frieden das Ziel - Militarisierung der Weg?

Zu der schwierigen Ausgangssituation des Verfassungsentwurfs gehört, dass die großen Mitgliedsländer unterschiedliche Auffassungen über die sogenannte Finalität der EU haben, also welche Staatsform die EU haben soll, ob ihre Außen- und Sicherheitspolitik integriert oder intergovernmental organisiert werden soll. Davon ist auch die Machtbalance der EU betroffen. Kleine gegen Große, Alte gegen Neue, Schnelle gegen Langsame. Großbritannien hätte am liebsten eine erweiterte Freihandelszone, Frankreich denkt noch immer in der Kategorie des Europas der Vaterländer und Deutschland schwebt ein föderaler Bundesstaat vor. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht möglich, einen kohärenten Entwurf aus einem Guss zu schaffen, da sich die unterschiedlichen Zielsetzungen zwangsläufig in widersprechenden Ansätzen niederschlagen. In der politischen Praxis bedeutet dies, dass es in absehbarer Zeit eine Integration der Außen- und Sicherheitspolitik nicht geben wird, da diese den nationalen Interessen der großen Mitgliedsländer widerspricht. Daran wird sich auch dann nichts ändern, wenn die EU einen eigenen Führungsstab für EU-Militäreinsätze bekommt und die alte Idee eines Kerneuropas (CDU) durch Frankreich und Deutschland im Wege einer strukturellen Zusammenarbeit neu belebt wird. Eine partielle Beistandspflicht? Auch die vom Europäischen Rat in Helsinki vorgesehenen Einsatzkräfte bleiben nationale Kontingente, über welche die Mitgliedsländer verfügen.

Die fehlende Integration der Außen- und Sicherheitspolitik stellt zweifellos ein beträchtliches Handicap bei der Umsetzung der militärischen Sicherheitspolitik der EU dar. Gleichzeitig bietet sie die Chance, Initiativen zu einer europäischen Friedenspolitik als Alternative zu einer europäischen Militärpolitik zu entwickeln, solange die Frage der Finalität der EU noch nicht endgültig entschieden ist.

Es stellt sich daher die Frage, was heißt Friedenspolitik, welche sicherheitspolitische Optionen hat die EU, wie ist der Konventionsentwurf friedenspolitisch zu beurteilen, welche Funktion hat die österreichische Neutralität und wie realistisch ist eine europäische Friedenspolitik?

1. Friedenspolitik - eine Politik mit friedlichen Mitteln

Die Weltpolitik der Bush-Administration ist deshalb in eine weltweite Kritik geraten, weil die USA nicht mehr als "gütiger Hegemon", sondern als imperialer Herrscher wahrgenommen werden. Das Imperium Americanum hat die Pax Americana abgelöst, wie dies Ernst-Otto Czempiel formuliert hat. Der Hegemon legitimiert sich durch Zustimmung, Konsens, Kooperation und Macht, das imperiale System beruht auf Zwang und Gewalt, stützt sich auf militärische Überlegenheit. So nützlich diese Unterscheidung zwischen hegemonialer und imperialer Herrschaft ist, so betreiben auch der Hegemon, die militärischen Großmächte Russland und China und viele anderen Staaten keine Friedenspolitik. Denn nur ein Staat, der wie die neutralen Staaten freiwillig auf den Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher und geopolitischer Interessen verzichtet, betreibt Friedenspolitik.

Tatsächlich gehen nicht nur die USA, sondern die meisten Staaten von einer traditionellen Sicherheitspolitik aus, die Sicherheit durch Vorbereitung auf den Krieg, durch militärische Stärke und Überlegenheit erreichen will, womit permanentes Wettrüsten verbunden ist. Nicht nur eine postnationale, sondern auch eine posttraditionelle Sicherheitspolitik ist gefragt. Solange die Realpolitik nicht bereit ist, diese alte Sicherheitspolitik aufzugeben und einen Paradigmawechsel der Sicherheitspolitik zu vollziehen, wird es keinen Frieden geben. Die Militärs verwenden als Gegenstrategie die Begriffe umfassende Sicherheitspolitik und einen erweiterten Sicherheitsbegriff, womit sie sich einerseits für nichtmilitärische Bedrohungen zu legitimieren und andererseits militärische Interventionen out of area zu rechtfertigen versuchen. Diese militärische Strategie sollte kein Hindernis sein, der Logik der Gewalt abzuschwören und eine neue Sicherheitsstrategie der kontrollierten Abrüstung zu kreieren, die den Frieden durch eine nichtmilitärische Sicherheitspolitik sichern will. In diesem Sinne versteht sich Friedenspolitik als eine Politik mit friedlichen Mitteln, in der die zivilen Mittel den Vorrang vor den militärischen Mitteln erhalten. Friedenspolitik bedeutet Verzicht auf Angriffskrieg, aber nicht Verzicht auf Verteidigung des eigenen Territoriums und Mitwirkung bei UNO mandatierten Friedenseinsätzen. Friedenspolitik bedeutet Verzicht auf Gewalt, nicht auf Macht, daher kann ein Staat, der auf Gewaltanwendung verzichtet, dennoch eine weltpolitische Rolle spielen, die allerdings in soft power und nicht in einer machiavellistischen Macht- und Interessenpolitik besteht.

2. Sicherheitspolitische Optionen der EU

Die EU hat drei Möglichkeiten, wie sie ihre Außen- und Sicherheitspolitik gestalten kann.
  • Sie hält am Atlantischen Bündnis fest, beteiligt sich am Krieg der USA gegen den Terror und hofft auf bessere Zeiten unter einer demokratischen Regierung (Beibehaltung des Vasallenstatus).
  • Die EU versucht, sich von den USA sicherheitspolitisch zu emanzipieren und die EU zu einer Militärmacht auszubauen, die allein oder mit den USA (NATO) militärische Weltmachtpolitik betreibt (zweite militärische Weltmacht).
  • Die EU strebt eine Sicherheitspolitik an, die freiwillig auf die Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung von wirtschaftlichen oder geopolitischen Interessen verzichtet und sich auf militärische Fähigkeiten beschränkt, die zur echten Verteidigung und zur Mitwirkung bei UNO-Friedenseinsätzen notwendig sind (friedenspolitisches Modell).
3. Friedenspolitische Kritik am Konventionsentwurf

Es ist richtig, dass Friedenspolitik eine Maxime nicht nur für die Außen- und Sicherheitspolitik ist, da Frieden ohne ein Minimum an Freiheit und Gerechtigkeit nicht möglich ist. Friede durch Freiheit und Gerechtigkeit ist ein historischer Prozess, der die ganze Menschheit durchzieht. Im Folgenden soll jedoch der Verfassungsentwurf nur im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einer friedenspolitischen Beurteilung unterzogen werden.

Schon bestehende Militarisierung

Ansätze zu einer Militarisierung der EU finden sich bereits und vor allem im Vertrag von Amsterdam (1997), mit welchem die sogenannten "Petersberger Aufgaben" (humane Einsätze bis zu Kampfeinsätzen) Teil der EU werden, die in Artikel 23 f von der Österreichischen Bundesverfassung übernommen wurden. Danach ist bekanntlich der österreichische Bundeskanzler und die österreichische Außenministerin berechtigt, österreichische Soldaten in EU-Kriegseinsätzen ohne Befassung des Parlaments zu entsenden. Im EU-Gipfel von Helsinki (Dezember 1999) wurde die konkrete Umsetzung, die Aufstellung von EU-Streitkräften für militärische Interventionen grundsätzlich beschlossen und beim EU-Gipfel in Brüssel (November 2000) die "planende Größe" festgelegt. Zu dieser schon bestehenden Militarisierung der EU ist zu bemerken: Der Aufbau von Verteidigungs- und Interventionskapazitäten der EU wäre friedenspolitisch dann zu bejahen, wenn hierdurch keine dreifachen Strukturen (nationale Militärstruktur, NATO, EU-Streitkräfte) entstehen, Aufgaben und Einsatzgebiete klar und nachvollziehbar beschrieben werden und der Einsatz militärischer Streitkräfte ausdrücklich an ein Mandat der UNO gebunden wird. Da diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist die fehlende Integration der Außen- und Sicherheitspolitik, welche ein gewisses Hemmnis für den Aufbau einer offensiven europäischen Militärpolitik darstellt, positiv zu beurteilen.

Neue Militarisierung

Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) fällt gemäß Artikel 15 in die ausschließliche Zuständigkeit der EU. Aus Artikel 40, Abs. 2 und Abs. 4 ergibt sich, dass die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bzw. alle Maßnahmen zur Einleitung von operativen Maßnahmen der Einstimmigkeit des Europäischen Rates bzw. des Ministerrates bedürfen. Ebenso die Veränderung der Zuständigkeit in Richtung einer Integration der Außen- und Sicherheitspolitik. Das Erfordernis der Einstimmigkeit ist friedenspolitisch positiv zu bewerten, jedoch stellt es ein demokratisches Defizit dar, dass das Europäische Parlament bei gewichtigen Weichenstellungen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemäß Artikel 40, Abs. 8 nur zu "hören" ist.

Negativ ist anzumerken, dass der Artikel 40 einen Blankoscheck zur Kriegsführung an den Ministerrat enthält, da dieser ohne entsprechenden Kriterien (inhaltliche und geographische) weltweit militärische Interventionen anordnen kann. Mit Recht wird kritisiert, dass die enge Zusammenarbeit mit der NATO bei Missionen in Drittländern der Vision eines kooperativen und defensiven Europas widerspricht. Jeder Neutrale kann aber jede militärische Intervention der EU verhindern, die nicht der echten Verteidigung dient. Auf die skandinavischen Staaten ist hier sicher Verlass.

Einen gewichtigen Schritt in Richtung einer weiteren Militarisierung der EU stellt jedoch der Artikel 40 Absatz 3 dar, der die Mitgliedsländer verpflichtet, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern, womit die Aufrüstung umschrieben wird. In Verbindung damit wird ein "Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" eingerichtet. Eine solche Aufrüstungsverpflichtung der Mitgliedsländer eines neuen staatlichen Gebildes dürfte einmalig in der internationalen Verfassungsgeschichte sein. Hier hat sich die Militär- und Rüstungslobby durchgesetzt, die seit Jahren stereotyp die Behauptung aufstellt, dass die militärischen Fähigkeiten der EU und ihrer Mitgliedsländer zu gering sind. Dies trifft aber nur dann zu, wenn man die EU zu einer militärischen Weltmacht ausbauen will. Der bekannte Militärexperte Lutz Unterseher hat den Militärhaushalt für ein stabilitätsorientiertes Sicherheitssystem der EU mit 1 % des Bruttoinlandsproduktes angesetzt. Es ist jedenfalls bedauerlich, dass sich auf den ersten Seiten der österreichischen Presse die Marmeladediskussion findet, während die Aufrüstungsverpflichtung nicht oder nur am Rande erwähnt wird.

Solanas Kampfansage an USA und Friedenspolitik

Friedenspolitisch gefährlich ist die im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel in Thessaloniki entworfene EU-Militärstrategie des ehemaligen NATO-Generalsekretärs Javier Solanas und heutigen Verantwortlichen für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik, die im Dezember als neue Sicherheitsstrategie der EU in Brüssel beschlossen werden soll. Das Solana Papier fordert die Aufstockung der militärischen Mittel, den Aufbau von flexiblen und mobilen Einsatzkräften, eine strategische Kultur, welche es der EU ermöglicht, militärische Operationen gleichzeitig an verschiedenen Stellen und weltweit durchzuführen. Das Papier bekennt sich zu einer Politik mit militärischen Mitteln, tritt für frühe, rasche und robuste Interventionen ein, wobei "vorbeugendes Engagement", also Präventivkriege unter Berufung auf die neuen Bedrohungen für zulässig erklärt werden. Das Strategiepapier wendet sich gegen den Unilateralismus der USA, setzt auf sicherheitspolitische Emanzipation der EU, aber unterscheidet sich in den Zielvorstellungen nicht von der National Security Strategy der USA. Das Solana Papier ist daher eine Kampfansage sowohl an die unilaterale Weltordnung der USA als auch an die Friedenspolitik. Denn friedenspolitisch macht es keinen Unterschied, ob völkerrechtswidrige Angriffskriege im Namen der USA oder der EU geführt werden.

An der geopolitischen Zielsetzung des Solana Papiers ändert auch der Umstand nichts, dass die neue Sicherheitsstrategie nicht mit "Schurkenstaaten", sondern mit der Existenz von "Failed States" begründet wird. Diese gibt es und es wäre lobenswert, wenn sich die EU um die Befriedung dieser Staaten kümmert. Dazu wäre eine grundsätzliche Analyse der Kriegsursachen bzw. des dort herrschenden Chaos notwendig, wie dies im Fall Kongo nun vom Internationalen Gerichtshof versucht wird, der davon ausgeht, dass die Geschäftsinteressen nationaler Konzerne an der Fortführung des Krieges interessiert waren und daher für die Kriegsentwicklung zumindest mitverantwortlich sind. Daneben kann auch der militärische Einsatz mit militärischen Mitteln mit Zustimmung der UNO sinnvoll sein. Das legitimiert aber nicht den Aufbau einer obszönen Hochrüstung und von überdimensionalen europäischen Streitkräften, welche in geopolitisch interessante Regionen zum Einsatz kommen sollen.

Zusammenfassung: Frankreich und Deutschland haben anlässlich des Irak-Krieges ein friedenspolitisches Signal gesetzt. Die Aufrüstungsverpflichtung und das Solana Papier in der vorliegenden Fassung stehen damit im Widerspruch. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung, die Budgetkriterien des Maastricht Vertrages, der Abbau des Sozialstaates und die zunehmenden Aktivitäten der Globalisierungsverlierer und -kritiker werden aber dafür sorgen, dass die Träume von einer europäischen Weltmacht nicht Realität werden.

4. Österreichische Neutralität - ein friedenspolitischer Beitrag

Das Kernelement der österreichischen Neutralität ist mit aktiver Friedenspolitik weitgehendst ident. Keine Teilnahme an fremden Kriegen und Militärbündnissen. Verteidigung ja, aber keine offensive Verteidigung außerhalb des eigenen Territoriums ohne UNO-Mandat. Abrüstung und Forcierung der zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung. Österreichs Ziel sollte daher eine europäische Friedenspolitik sein, welche die defensiven Strukturen der Neutralität übernimmt, auf Angriffs- und Präventivkriege verzichtet und sich verstärkt auf zivile Friedensmissionen und nichtmilitärische Maßnahmen konzentriert. Es gibt genügend Hunger, ökologische und medizinische Katastrophen in der Welt! Die Neutralen bräuchten daher keine neue Sicherheitspolitik erfinden, sondern nur die Grundsätze ihrer Sicherheitspolitik auf eine höhere Ebene zu übertragen, wenn sie sich für eine europäische Friedenspolitik einsetzen wollen. Es ist bedenklich, dass Teile der österreichischen Eliten diese Zusammenhänge nicht erkennen wollen und eine aktive Neutralitäts- und Friedenspolitik zu einem Relikt der Vergangenheit erklären. Natürlich ist die österreichische Neutralität überflüssig, wenn es zu einer integrierten Außen- und Sicherheitspolitik der EU kommt. Solange dies aber nicht der Fall ist, macht es Sinn, die österreichische Neutralität zu bewahren. Umso mehr als sie auch die Möglichkeit bietet, bei nicht auszuschließenden völkerrechtswidrigen Interventionen der EU die Teilnahme zu verweigern, sodass die österreichische Neutralität sowohl ein Beitrag zu einer europäischen Friedenspolitik ist, als auch die Funktion einer friedenspolitischen Rückversicherung hat.

Die EU-Verträge haben den Neutralen eine besondere Sicherheitspolitik zuerkannt. Daran hat sich auch im Konvententwurf nichts geändert (Artikel 40, Abs. 2). Die Neutralen können daher an ihrer eigenen Sicherheitspolitik festhalten. Es obliegt den jeweiligen Regierungen zu entscheiden, ob und inwieweit sie ihre besondere Sicherheitspolitik und den Artikel 40, Abs. 2 in die Praxis umsetzen. In der neuen Sicherheitsdoktrin der Bundesregierung kommt die österreichische Neutralität nicht mehr vor. Im Krisenfall (z.B. Irak) ruft die Bundesregierung aber sehr wohl den Neutralitätsfall aus.

5. Wie realistisch ist eine europäische Friedenspolitik?

Wer angesichts der immer komplexer werdenden Welt und angesichts der Entwicklung in Afghanistan und Irak glaubt, den Terrorismus, die Profileration von Massenvernichtungswaffen und das Chaos in den Failed States mit primär militärischen Mitteln und mit immer obszöner werdenden neuen Waffensystemen erfolgreich bekämpfen und mehr Sicherheit schaffen zu können, geht nicht von der politischen Realität, sondern von Wunschvorstellungen aus. Eine Weltordnung lässt sich nicht mit Gewalt, sondern nur mit der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, friedlicher Konfliktbearbeitung und Versöhnung aufbauen. Nur mit einer glaubwürdigen Politik gegenüber der sogenannten Dritten Welt und gegenüber der nicht-fundamentalistisch-islamischen Bevölkerung und durch zivile Hilfsmaßnahmen wird es gelingen, die Terroristen von den Sympathisanten zu trennen, ihnen die Basis entziehen. Dennoch halten die meisten politischen Eliten an einer Sicherheitspolitik der Stärke sowie der permanenten und asymmetrischen Kriegsführung fest, da sie darin trotz aller Verluste die einzige Strategie sehen, den Terror beseitigen zu können. Die Vorstellung, Frieden durch eine friedenspolitische Selbstbeschränkung und eine nichtmilitärische weltpolitische Rolle zu sichern, halten sie für naiv, blauäugig und illusionär. Illusionär ist es jedoch zu glauben, die USA in militärischer Hinsicht einholen zu können und eine zweite militärische Weltmacht zu werden.

Friedenspolitik ist die Realpolitik der Zukunft, aber sie wird von den politischen Eliten bestenfalls als Vision, aber nicht als Realpolitik wahrgenommen. Friedenspolitik erfordert daher einen Bewusstseinswandel der politischen Eliten, zu dem die Einstellung der europäischen Bevölkerung beitragen kann, die den Krieg ablehnt, ohne deshalb auf den militärischen Schutz ihrer westlichen Privilegien verzichten zu wollen. Im Zusammenhang mit den USA gilt es bewusst zu machen, dass Europa eine eigene Identität weder durch einen Antiamerikanismus, noch durch den Aufstieg zur militärischen Weltmacht begründen kann. Wir brauchen vielmehr eine politische Alternative, welche auf Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen verzichtet und welche Geopolitik durch Geokultur ersetzt. Nicht die Gegenmacht zur USA, sondern die politische Alternative ist das Ziel.

Die Bewusstseinsänderung der politischen Eliten ist ein Prozess, der sich nicht über Nacht einstellen wird. Aber die Zeit ist reif für eine Friedenspolitik, wenn wir nicht wollen, dass sich die Welt zerfleischt, die Infrastruktur zerstört und Teile der Welt in eine atomare Wüste verwandelt werden. Heute verabscheuen wir Sklaverei und Kannibalismus. Es wird Zeit, dass wir auch Terror und Krieg als Mittel der Politik in gleicher Weise verabscheuen.

(Abgabe des Manuskripts: 23. November 2003)

Aus: Friedensforum, Zeitschrift der ÖSFK-Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung, Dezember 2003/7-8, S. 11-14


* Dr. Gerald MADER, Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung-ÖSFK, Begründer des Studienzentrums auf Burg Stadtschlaining im Burgenland (Österreich).


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