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Gegen EU-Kriege

Ein Sammelband der "Solidar-Werkstatt Österreich" liefert Analysen und Daten zur Militarisierung der Europäischen Union

Von Simon Loidl *

Die »Solidar-Werkstatt Österreich«, eine aus der Friedensbewegung entstandene Organisation, ist bereits seit Jahren Garant für solide recherchierte Analysen zu Militarisierungstendenzen der Europäi­schen Union. In ihren Publikationen und Periodika kritisiert die »Solidar-Werkstatt« die militaristische Entwicklung der EU. Die Aktivisten der Organisation sehen es als ihre Aufgabe an, entgegen der konsensualen Haltung der politischen Eliten Österreichs zur EU eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und Informationen jenseits des medialen Mainstreams zu verbreiten.

Aggressive Militärmacht

In dem vorliegenden Band »Denn der Menschheit drohen Kriege« werden nun einmal mehr die in jahrelanger akribischer Arbeit zusammengetragenen Fakten zum »EU-Großmachtwahn« in kompakter Form präsentiert. Das Büchlein gliedert sich in drei Abschnitte, deren erster und ausführlichster die von Gerald Oberansmayr verfaßte Analyse über ein »neues Zeitalter der Imperien« ist, in dem sich die EU-Eliten eine zentrale Rolle zuschreiben. Der Autor skizziert die wichtigsten politischen Weichenstellungen, die dazu geführt haben, daß sich die von ihren Ideologen immer noch als »Friedensprojekt« titulierte EU zu einer aggressiven und potentiell weltweit agierenden Militärmacht entwickelte. Von europäischen Staaten angeführte Einsätze und Kriege während der vergangenen Jahre verfolgten stets sogenannte EU-Interessen und dienten dazu, neue Formen der militärischen Zusammenarbeit zu erproben. Der Autor nennt etwa die EU-Mission in Bosnien und Militäreinsätze in der Demokratischen Republik Kongo, Tschad, die »Atalanta«-Operation vor Somalia und die von Frankreich angeführten Kriege gegen Côte d’Ivoire, Libyen, Mali.

Die jährlich länger werdende Liste beginnt mit dem NATO-Angriff auf Jugoslawien, der maßgeblich von der Bundesrepublik forciert worden war. Gleichzeitig nutzten europäische Politiker die Gunst des Augenblicks: »Es fielen noch Bomben auf Belgrad und Pristina, als Anfang Juni 1999 beim EU-Gipfel die Grundlage für eine eigenständige EU-Militärmacht gelegt wurde«, schreibt Oberansmayr. Im Abschlußdokument des Gipfels steht, daß die Union »die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf ein glaubwürdiges Militärpotential« erhalten müsse, um auch jenseits der NATO-Strukturen »auf internationale Krisensituationen« reagieren zu können. Anhand öffentlich zugänglicher Dokumente, die jedoch in der medialen Debatte über die EU kaum eine Rolle spielen, zeichnet der Autor den Weg zur Entstehung eines europäischen Militärisch-industriellen Komplexes nach.

Alternativen

Schließlich arbeitet der Autor heraus, daß bei der Etablierung der neuen Großmacht Militarisierung und Sozialabbau in den strategischen Orientierungen der EU-»Eliten« zwei Seiten derselben Medaille sind: »Die neoliberale Konstruktion der EU wird nicht nur gnadenlos genutzt, um eine neue politische Hierarchie zu etablieren, sondern auch, um den Sozialstaat zu entsorgen.« Gleichzeitig präsentiert Oberansmayr mögliche Alternativen zu dieser Entwicklung, für die die Friedensbewegung eintreten müsse: Internationalismus, Solidarstaat und Neutralität sind die Schlagworte, die der Autor gegen »Euro-Chauvinismus und Konkurrenzregime« in die politische Debatte einbringt.

Der zweite Teil der Publikation enthält zahlreiche für die Diskussion um Militarisierung und Aufrüstung nützliche Statistiken etwa zu Militärausgaben, Waffenexporten, zur Entwicklung der Rüstungsindustrie sowie Grafiken zu militärischen Interventionen der EU während der vergangenen Jahre.

Im letzten Teil des Buches zeigt die »Solidar-Werkstatt« schließlich, daß es nicht bei der Veröffentlichung von Daten, Fakten und Analysen bleiben muß und dokumentiert zahlreiche Interventionen der Organisation in Form von offenen Briefen, Stellungnahmen und Aktionen. Die Organisation setzt sich dabei für den Erhalt und den Ausbau der österreichischen Neutralität als strategische Orientierung gegen EU-Militarisierung und gegen die Teilnahme Österreichs an europäischen Kriegen ein.

Solidar-Werkstatt Österreich (Hg.): »Denn der Menschheit drohen Kriege …«. Neutralität contra EU-Großmachtswahn. Guernica Verlag, Linz 2013, 120 Seiten, 7,50 Euro. ISBN 978-3-9503578-0-6
Bezug: Solidar-Werkstatt, Waltherstr. 15, A-4020 Linz; Tel.: 0043/732/771094, Fax: 0043/732/797391; E-Mail: office@solidarwerkstatt.at. Im Internet: www.solidarwerkstatt.at

* Aus: junge Welt, Montag, 23. September 2013


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