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EU bleibt im Krisenmodus

Griechenland trotz Heraufstufung ein Problemfall. Spanien und Italien weiter gefährdet. Finanzminister bei Bankenfinanzierung zerstritten

Von Dieter Schubert *

Es gibt ausnahmsweise gute Nachrichten von der Euro-Krisenfront: Unmittelbar vor den wichtigen Wahlgängen am Wochenende in Frankreich und Griechenland ist letzteres bei einer der größten Ratingagenturen in der Gunst gestiegen. Nach erfolgter Umschuldung stuft Standard & Poor’s (S&P) das krisengeplagte Land nicht mehr als »teilweisen Zahlungsausfall« ein. (Das bedeutet, bei diesem Kreditnehmer ist der Teilverlust eines Darlehens sicher.) Athen bekomme nun die Note »CCC«, teilte S&P am Mittwoch mit. Und was vor allem überrascht: Der langfristige Ausblick sei stabil, ließ der Ratingriese wissen.

Die verbesserte Bonität ist Resultat des jüngsten Schuldenschnitts, bei dem private Gläubiger der hellenischen Republik rechnerisch mehr als 100 Milliarden Euro erlassen hatten. Dadurch reduzierten sich die Staatsverbindlichkeiten von ursprünglich rund 165 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Notorische Optimisten oder Schönfärber in den Entscheidungsgremien von EU und Euro-Zone glauben weiter, daß die Schuldenlast 2020 bei »nur« noch 120 Prozent des BIP liegen werde. Dieser Hoffnung schließt sich offenbar auch jene Ratingagentur an, die erst kürzlich Frankreich und sogar das »Heimatland« USA herabgestuft hatte.

Allerdings ist die Benotung mit »CCC« weiterhin grottenschlecht. Die drei Buchstaben stehen für ungenügende Bonität und die akute Gefahr eines Zahlungsverzuges. Zum Vergleich: »Dreifach A«, also die Bestbewertung, wie sie u.a. noch Deutschland oder die Finanzoase Luxemburg besitzen, liegt 17 Stufen über der aktuellen für Griechenland.

Es hat sich also nichts Grundlegendes in Euro-Land geändert. Athen dümpelt weiter in tiefer Rezession – sprich, die Wirtschaftsleistung sinkt. Jeder Rückgang des BIP hat den unangenehmen Nebeneffekt, daß er die Schuldenlast erhöht, ganz gleich wie sehr die Regierung auch Ausgaben kürzt. Und nicht wenige Experten sind überzeugt, daß die verordnete »Sparpolitik« deshalb eine Abwärtsspirale in Gang hält, aus der die Hellenen nicht herauskommen.

Allerdings hat die Währungsunion und deren politsche sowie monetäre Führungszirkel derzeit größere Sorgen als Athens Dauerschulden. Spanien durchlebt momentan ein ähnliches wirtschaftspolitisches Debakel wie die Hellenen, und auch Italien kommt trotz aller Vorschußlorbeeren für Premier Mario Monti ökonomisch nicht aus den Puschen. Beide Länder haben weiterhin ernsthafte Probleme, ihre Schuldenberge zu refinanzieren, weil einerseits die Wirtschaft schrumpft und zugleich internationale Finanzmarktakteure die Lage mit wilden Spekulationen verschärfen. Pleiteszenarien für die beiden Euro-Riesen – nach ihrem BIP sind sie die Nummern vier (Italien) und fünf in der Europäischen Union hinter BRD, Frankreich und Großbritannien – werden zugleich verschärft durch die weiterhin offenbar desolate Kapitalausstattung des Bankensektors.

Die miese Situation in der »dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt« wie sich die EU in besseren Zeiten selbst hoffnungsfroh definierte, zeigt sich vor allem bei der Beschäftigung. So ist trotz statistischer Tricks und diverser Manipulation die amtliche Arbeitslosigkeit weiter gestiegen. Im Euro-Klub erreichte sie im März durchschnittlich 10,9 Prozent, wie die Statistikbehörde Eurostat am Mittwoch mitteilte. Traurige Spitzenreiter sind auch hier Spanien und Griechenland. Mit der katastrophalen Spanien-Quote von 24,1 Prozent und nicht weniger desaströsen 21,7 Prozent für Griechenland wird hier der tatsächliche Kriseneffekt deutlich: die systematische Umverteilung des Reichtums zu Ungunsten großer Bevölkerungsgruppen.

Und es wird gewiß weiter umgeschichtet. Bei einem Notfalltreffen der EU-Finanzminister am Mittwoch in Brüssel stritten sich die Ressortchefs um Maßnahmen zur Bankenfinanzierung. Bei dem Gerangel ging es vor allem darum, wie die schärferen Eigenkapitalvorschriften (auch »Basel III« genannt) durchzusetzen sind. Diese waren grundsätzlich bereits vor drei Jahren von den G-20-Staaten verabredet worden, nicht zuletzt als Versuch einer Antwort auf die Finanzkrise. Demnach sollte die »harte« Kernkapitalquote der Banken bis 2019 von zwei auf sieben Prozent angehoben werden. Allerdings wollen einige Staaten ihren Finanzinstituten deutlich höhere Sätze von tatsächlich eigenen Mitteln im verhältnis zu Fremdgeldern vorschreiben.

Der britische Ressortchef George Osborne warnte in Brüssel laut Reuters vor »ernsten Problemen für die Glaubwürdigkeit der europäischen Wirtschaft«, sollte die EU ihre G-20-Verpflichtungen nicht fristgerecht Anfang des kommenden Jahres erfüllen. Wie Polen und Schweden verlangen die Briten, daß sie ihre Banken ohne Einmischung der EU-Kommission zu deutlich höheren Kapitalpuffern zwingen können. »Um die Steuerzahler vor neuen, teuren Rettungsaktionen zu schützen, brauchen wir besonders sichere Banken«, sagte der schwedische Finanzminister Anders Borg und forderte freie Hand für zusätzliche Kapitalpolster von fünf Prozent. Dagegen wehren sich Frankreich, aber auch Österreich, weil sie Nachteile für die heimischen Banken sowie ein Versiegen der Kreditflüsse fürchten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 3. Mai 2012


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