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Erfassungswahn

Von Ulla Jelpke *

Datenschützer wissen: Jede Datenbank, egal für welchen Zweck sie einerichtet wurde, wird irgendwann die Begehrlichkeiten der Sicherheitsbehörden wecken. Sicherheitspolitiker der »bürgerlichen Mitte« sind redlich bemüht, immer wieder den Wahrheitsgehalt dieses Leitsatzes zu unterstreichen. Erinnert sei nur an die Öffnung der Lkw-Mautdatenbanken für die Polizei.

Dieses Spiel hat auch in Brüssel Freunde. Dort kündigte der für die Innen- und Rechtspolitik zuständige Kommissar Jaques Barrot an, die EURODAC-Datenbank für die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten und das Europäische Polizeiamt Europol zu öffnen. EURODAC speichert die Fingerabdrücke aller Asylbewerber, die älter als 14 Jahre sind. Die Datei wurde in den 90er Jahren eingeführt, um das sogenannte »one-chance-only«-Prinzip durchzusetzen: Alle Flüchtlinge müssen in dem Land ihren Asylantrag stellen, in dem sie zuerst in die EU eingereist sind. Ein Asylbewerber, der zum Beispiel in Griechenland erfasst worden ist, aber in einem anderen EU-Staat einen Antrag stellt, kann nach Griechenland zurückgeschoben werden.

Allein das ist schon Gegenstand scharfer Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Denn insbesondere Länder an den EU-Außengrenzen, wie Griechenland und Italien, untergraben zu Abschreckungszwecken die Rechte von Flüchtlingen massiv. Der Zugriff der Polizei auf die Asyldatenbank wird Flüchtlinge weiter stigmatisieren und diskriminieren. Der Vorschlag, EURODAC jetzt der Polizei zu öffnen, verstößt gegen jeden datenschutzrechtlichen Grundsatz. Die Zweckbindung der gespeicherten Daten wird aufgehoben. Daten von Asylbewerbern werden zum Material für polizeiliche Rasterfahndungen, als ob in dieser Bevölkerungsgruppe strafbares Handeln besonders ausgeprägt wäre.

Neben EURODAC gibt es noch weitere europäische Datenbanken, die eigens zur Erfassung von Ausländern eingerichtet wurden oder werden sollen. Einschlägig bekannt ist insbesondere das »Schengener Informationssystem«, in dem vor allem zur Einreiseverweigerung ausgeschriebene Ausländer erfasst sind. Auch dabei handelt es sich zum Großteil um Asylsuchende, die nach Ablehnung ihres Gesuches ausgewiesen wurden. Im Aufbau befindet sich zudem das »Visa-Informationssystem« zur Speicherung aller Antragsteller für ein Schengen-Visum (zunächst in der Region Nordafrika). Die EU befindet sich so auf dem Weg, die größte Datenbank mit Fingerabdruckdaten von Menschen aus aller Welt aufzubauen.

In der Diskussion ist zudem die Einführung einer elektronischen Identitätskarte für alle Ausländer in der EU, deren Fingerabdrücke ebenfalls erfasst werden sollen. Für 2012 plant die EU-Kommission darüber hinaus die Einführung eines »entry/exit«-Systems: Dieses soll automatisiert eine Warnung ausgeben, wenn ein Aufenthaltstitel abgelaufen ist und die betreffende Person noch nicht als »ausgereist« erfasst wurde.

Machen wir uns nichts vor: Flüchtlinge als eine ohnehin weitgehend rechtlose Menschengruppe ohne Lobby sind nur das Versuchskaninchen für die neuen Überwachungstechnologien. Im nächsten Schritt werden diese Systeme auf andere Gruppen ausgeweitet. Hier muss gewarnt werden: Wehret den Anfängen! Stoppt den Datenerfassungswahn! Denn wir wollen ein Europa, das auch offen ist nach Süden und Osten. Wir wollen ein Europa der internationalen Freizügigkeit – für Menschen und nicht nur für ihre Daten.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2009


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