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Streitschrift für "schöpferische Zerstörung"

Rudolf Hickel macht Vorschläge, wie die nächste Krise verhindert werden kann

Von Hermannus Pfeiffer *

Rudolf Hickel sucht Streit. Dieses Mal will er den Banken an den Kragen, sie sollen zerschlagen und die Finanzmärkte »zivilisiert« werden. Das klingt zunächst nicht sonderlich originell, aber Hickel liebt die Überraschung. In seinem neuen Buch »Zerschlagt die Banken« knüpft er an den 1950 verstorbenen deutsch-österreichischen Ökonomen und Politiker Joseph Alois Schumpeter an, der 1939 die US-Staatsbürgerschaft annahm.

»Der Titel klingt martialisch«, gibt Rudolf Hickel zu. Gemeint sei die Zerstörung der Banken aber im Sinne Schumpeters als »schöpferische Zerstörung«, alte Strukturen sollten zerstört werden, um neue aufzubauen. Ein dem Kapitalismus innewohnender Prozess, den Hickel gleichsam auf links dreht. »Es ist höchste Zeit«, findet einer, der als profiliertester Kritiker der herrschenden neoliberalen Wirtschaftspolitik gilt. Der Weg dieser schöpferischen Zerschlagung, die eher als grundlegende Reform daherzukommen scheint, ist für den Bremer Wirtschaftswissenschaftler eindeutig: »Es geht um den Ausstieg aus hochriskanten Spekulationsgeschäften, die nicht nur die Kunden dieser Banken belasten, sondern die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft in den Abgrund reißen können.« Das Bankensystem müsse wieder auf seine »dienenden, genuinen Aufgaben« beschränkt werden. Hickel fordert ein »neues Paradigma«. So sollen die im Zweifel neoliberale Wirtschaftswissenschaft ebenso wie die Medien von den Köpfen wieder auf die Füße gedreht werden. Beide hätten Mitschuld an der Krise.

Hickel, der seit einem Jahrzehnt als Kolumnist für »nd« schreibt, zieht zwei fundamentale Lehren aus der Finanzmarktkrise. Da ist zum einen die weltweite Regulierung: Alle Finanzinstitutionen und Finanzmarktprodukte sollten nicht nur national, sondern auch international streng reguliert werden. Mittels dieser neuen Spielregeln soll das heutige Risikopotenzial auf den Finanzmärkten abgebaut werden. Um die Fluchtwege aus den regulierten Bereichen in Schattenbanken zu verschließen, müssten auch die derzeit noch »getarnten« Finanzinstitutionen den Spielregeln unterworfen werden.

Zum anderen steht bei Hickel die Zerschlagung des Investmentbankings auf dem Programm: Die Finanzmärkte müssten vor selbstzerstörerischen Geschäftspraktiken geschützt werden. Dazu sollten Großbanken die »Systemrelevanz genommen« und das hochgradig spekulative Investmentbanking zerschlagen werden. Hickel wünscht ein Verbot des Eigenhandels von Banken mit Zockerpapieren sowie des Handels außerhalb der regulierten Börsen; er fordert risikobezogene Eigenkapitalvorschriften - wie sie mit »Basel III« immerhin in Vorbereitung sind - und eine Beschränkung der Bilanzsumme im Verhältnis zum vorhandenen Eigenkapital. Schließlich sollten laut Hickel besonders aggressive Finanzmarktinstrumente, wie Leerverkäufe und Kreditausfallversicherungen, weitgehend verboten werden.

Einen originellen Ansatz wählt der Autor in seiner überaus aggressiven »Streitschrift« mit der Forderung nach einer Regionalisierung des Bankgeschäfts. So sollten die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken umfassend gestärkt werden. »Die abstrakte Forderung nach Verstaatlichung der Banken«, so Hickel in geradezu Marx'schem Duktus, »stößt damit auf eine bereits vorhandene und weiterzuentwickelnde Praxis.«

Rudolf Hickel: Zerschlagt die Banken, Zivilisiert die Finanzmärkte - Eine Streitschrift, Econ Verlag, Berlin 2012, 224 Seiten, 14,99 Euro.

* Aus: neues deutschland, 20. Februar 2012


Das ABC der Krise

isw-Publikation versucht, das Kauderwelsch verständlich zu machen Von Christian Klemm **

Die Schuldenkrise in der Europäischen Union bestimmt seit vielen Monaten die Nachrichten der bundesdeutschen Medien - und ein Ende ist nicht abzusehen. Der Zeitungsleser wie auch der Fernsehzuschauer blickt mitunter ziemlich rat- und hilflos auf das Geschehen, bekommt er doch ständig Fachbegriffe um die Ohren gehauen, die ihn überfordern: Credit Default Swaps, Derivat, Eurobonds, Haircut oder Private-Equity-Fonds, um nur einige zu nennen. Wer da noch durchsteigt, braucht entweder ein Universitätsdiplom in Wirtschaftswissenschaften oder muss ein Genie sein.

Das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) hat sich in seiner neuesten Broschüre daher die Aufgabe gestellt, dieses finanzpolitische Kauderwelsch zu übersetzen. In ihrem »ABC der Schulden- und Finanzkrise« erklären die Münchener Wissenschaftler die 70 meistgebräuchlichen Ausdrücke rund um die europäische Verschuldungskrise, und zwar für jedermann verständlich. So heißt es zum Beispiel unter dem Stichwort »Ratingagenturen«: »Die Aufgabe der Ratingagenturen (engl. Credit rating agency, CRA) besteht in der Bewertung der Kreditwürdigkeit (Bonität) von Unternehmen und Staaten (und deren Gebietskörperschaften). (...) Obwohl die Ratingagenturen hoheitliche Aufgaben erfüllen, handelt es sich um private, auf Profit orientierte Unternehmen. Die Perversion des internationalen Finanzsystems zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die angeblich ›neutralen‹ Bewerter der kreditsuchenden Akteure in Wahrheit eng verwoben sind mit den führenden Finanzinvestoren.«

Das isw bietet in dem vierzigseitigen Heft nicht nur ein gutes Nachschlagewerk an, sondern bemüht sich darin immer wieder auch um eine politische Einordnung der Ereignisse. Die EU-Krisenpolitik sei kontraproduktiv und verschärfe die Krise einiger Staaten in der Eurozone, so der Tenor. Anstatt die Masseneinkommen der Menschen zu erhöhen und die Steuern für Reiche und Unternehmen drastisch heraufzusetzen, wollen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy das »Vertrauen der Märkte« zurückgewinnen. Der Marsch in die Katastrophe sei damit vorgezeichnet, lautet das Fazit.

Das isw hat eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zum Thema herausgebracht. Das kompakte »ABC der Schulden- und Finanzkrise« gehört zu den besten.

»ABC der Schulden- und Finanzkrise«, isw-Reprt Nr. 87, 40 Seiten, 2011, 4 Euro, www.isw-muenchen.de.

** Aus: neues deutschland, 20. Februar 2012


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