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EU will Staatshaushalte kontrollieren

Westerwelle pocht auf nationales Recht / Erster 5,5-Milliarden-Hilfskredit für Griechenland

Mit strengen Regeln und harten Strafen will die EU-Kommission die Euro-Länder zum Sparen zwingen. Damit zieht Brüssel Konsequenzen aus der beispiellosen Krise des Euro.

Mit ihrem Vorschlag hat die EU-Kommission prompt einen Keil in die schwarz-gelbe Bundesregierung getrieben. Während Bundeskanzlerin Angel Merkel (CDU) gelassen auf die Brüsseler Vorschläge reagierte, sieht Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die Souveränität der Länder in Gefahr. »Nicht die Europäische Kommission beschließt die Haushalte, sondern der Deutsche Bundestag, die nationalen Parlamente«, sagte Westerwelle. Merkel meinte hingegen: »Das muss man ja nicht gleich so interpretieren.« Aus ihrer Sicht sind die vorgeschlagenen Kontrollen »nicht schlecht«.

Schon von 2011 an will die EU-Kommission in die nationale Etatplanung eingreifen und strenger gegen übermäßig verschuldete Staaten vorgehen. Konkret müssten die Regierungen der Euro-Länder dann ihre Budgetentwürfe in Brüssel vorlegen, bevor die nationalen Parlamente darüber abstimmen. Sieht die Kommission darin Risiken für die Euro-Zone, will sie einschreiten. Wenn ein Mitgliedsland die Schuldenlimits überschreitet, droht ihm ein Entzug von EU-Geldern aus dem Brüsseler Haushalt.

Mit diesen Maßnahmen will die Kommission den Euro-Stabilitätspakt verschärfen. »Der Pakt ist ein robustes Regelwerk, aber er leidet unter dem chronischen Versagen der Staaten, sich an die Regeln zu halten«, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn. Derzeit laufen gegen 20 von 27 EU-Mitgliedsstaaten Verfahren wegen übermäßiger Haushaltsdefizite - darunter ist auch Deutschland.

Wegen der Schuldenkrise kürzt die spanische Regierung zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte des Landes die Gehälter von Ministern und Beamten. 2011 werden auch die Renten eingefroren. Portugal kündigte am Donnerstag überraschend Steuererhöhungen an, die Lissabon vor kurzem noch ausgeschlossen hatte. Das hoch verschuldete Griechenland hat unterdessen vom Internationalen Währungsfonds 5,5 Milliarden Euro als ersten Hilfskredit erhalten.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2010


Wetteifern um das Beste für alle

Von Christa Luft **

Bei der politischen Suche nach Wegen aus der Krise steht die Zügelung der Finanzmärkte im Zentrum. Das ist angesichts von Spekulationsblasen und Attacken gegen den Euro zwingend, aber nicht hinreichend. Regulierungsmaßnahmen in der Finanzbranche verpuffen, wenn es nicht gelingt, auch den Verwerfungen in der Realwirtschaft beizukommen.

Dazu gehören Handelsungleichgewichte als eine Quelle krisenauslösender Überakkumulation. Ein Exportüberschuss führt in der Regel zum positiven Leistungsbilanzsaldo. Der bedeutet Vermögenszuwachs des Lieferlandes gegenüber den Zielländern. Letztere müssen sich verschulden, wenn sie die Rechnung nicht mit eigenen Waren oder Leistungen begleichen können. Der Mechanismus funktioniert so lange, wie die Schuldner sich zu bezahlbaren Konditionen Kredit beschaffen können. Dauerhafte Exportüberschüsse einzelner Staaten bringen Importländer an die Belastbarkeitsgrenze.

Aber auch für die Ausfuhrländer haben sie parasitäre Effekte. Deutschland etwa verzeichnet seit Jahren durch grenzüberschreitenden Handel einen Vermögenszugewinn, doch davon profitieren nur einzelne Gruppen. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt dagegen unter dem mancher europäischer Länder mit geringerer Außenhandelsintensität. Das soll nicht gegen Exporterfolge sprechen. Aber sie heben nicht automatisch das Lebensniveau der gesamten Bevölkerung, wenn sie - was Praxis ist - durch Lohndruck, Unterlaufen sozialer Mindeststandards oder Rücksichtslosigkeit gegenüber der Umwelt zustandekommen.

Nicht alles, was aus Unternehmenssicht an weltweitem Handel profitabel ist, ist aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive gesund. Marktlogik ersetzt kein Gesellschaftsdenken. Der positive Außenbeitrag zum Bruttoinlandsprodukt muss im Zusammenhang mit den im Innern der Volkswirtschaft zu Buche schlagenden Kosten bzw. Verlusten bewertet werden: etwa mit Sozialausgaben für jene, die wegen Produktionsverlagerung ins Ausland oder Rationalisierung aus dem Job gedrängt werden oder mit Aufwendungen für die Behebung von Umwelt- und Straßenschäden durch lange Transportwege.

Solche sozialen und ökologischen Kosten tragen nicht die privaten Verursacher, sondern die öffentliche Hand. Um gesellschaftliche Fehlentwicklungen abzuwenden, müsste dies national und auf EU-Ebene in die Gestaltung von Rahmenbedingungen für den internationalen Austausch Eingang finden. Die Krise ist ein Signal, in Nord wie Süd Globalisierung und Regionalisierung in eine gesellschaftsverträgliche Balance zu bringen. Grenzüberschreitender Handel ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck besserer und sicherer Lebensbedingungen.

An diesem Ziel müssen sich Liberalisierung von Handel und Investitionstätigkeit ausrichten und dabei die ökologischen Folgen beherrschbar halten. Solchem Anliegen wird ein freier Austausch wissensintensiver sowie spezialisierter Güter und Leistungen in der Regel gerecht. Demgegenüber gehören lokale und regionale Wirtschaftsstrukturen, von denen die meisten Menschen abhängen, vor ruinöser Konkurrenz geschützt. Nicht eine »grenzenlose Billigökonomie« ist erstrebenswert, sondern Wettbewerb um das Beste und Sicherste. Das ist kein Protektionismus, sondern ein Wall gegen nationalistische Tendenzen, die hier und dort in der EU schon hörbar sind.

Das Primat der Politik über die Märkte wiederherzustellen heißt, ganzheitliche Interessen über die von Gruppen zu stellen. Das aber verlangt die Abkehr vom Neoliberalismus.

** Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2010


Fatale Logik

Von Dieter Janke ***

In der Krise liegt die Chance. Aus dem Munde von Bundeskanzlerin Merkel klingt jene dialektische Weisheit indes freilich eher fade - so als hätte sie die Krise um den Euro wie auch die Zukunft der europäischen Einigung herbeigesehnt. Mit ihrer Beschreibung der Lage im Falle des Auseinanderbrechens der Währungsunion liegt die Kanzlerin im Grunde richtig - auch wenn nicht die europäische Idee selbst daran scheitern würde, wie Merkel suggeriert. Gescheitert ist vielmehr die bisherige Form - jene Form, auf die man sich 1992 in Maastricht verständigt hatte: Ohne Konzepte für ein reales Zusammenwachsen der Europartner bei wirtschaftlichen und sozialen Standards sollte damals der Kontinent vor allem durch die gemeinsame monetäre Klammer und rigide Vorgaben für nationale Finanzpolitiken zusammengeschweißt werden. Jener Plan ist in der Tat gescheitert. Verantwortung trägt dafür nicht zuletzt auch das Land, dessen Volkswirtschaft von jenem Irrweg am meisten profitiert hat: die Bundesrepublik.

In Brüssel scheint man indes nicht mehr Fantasie zu haben, als die vermeintlichen Defizitsünder durch die Androhung des Mittelentzugs zu mehr fiskalischer Disziplin zu zwingen. Das aber ist nichts anderes als die Verschärfung jener Logik, die in die jetzige Krise des Euro geführt hat. Frau Merkel findet jene Ideen »nicht schlecht«. Deren deflatorische Folgen sind jedoch fatal für die Konjunktur in Europa und für die europäische Idee.

*** Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2010 (Kommentar)


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