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Diktat der Multis

Hintergrund. Teile und herrsche: Die Handelspolitik der Europäischen Union steht im Dienste von Konzerninteressen

Von Udo Hörster *

Die Europäische Union schließt fleißig Handelsabkommen ab. Die Verträge mit Kolumbien, Peru und Südkorea sind schon unterschrieben, ein Abschluß mit Indien steht bevor. Unternehmensverbände haben die Agenda der EU entscheidend mitbestimmt. Entsprechend profitieren Konzerne von den Ergebnissen. Strengere Patentregeln, freiere Marktzugänge, mehr Investitionsschutz, Gleichbehandlung mit inländischen Unternehmen und verbesserter Zugriff auf Rohstoffe – fast kein Wunsch blieb unerfüllt. Die ärmeren Länder hingegen müssen mit höheren Preisen für lebenswichtige Güter wie Arzneien, einer Schwächung ihres Agrarsektors und weiterem Ungemach rechnen.

Um die ganz großen Globalisierungsvorhaben steht es indes nicht gut. Das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) landete Ende der 1990er Jahre auf dem Müllhaufen der Geschichte, und die Liberalisierungsbestrebungen der Welthandelsorganisation WTO im Rahmen der Doha-Runde kommen wegen der Vetos der Entwicklungsländer ebenfalls nicht voran, was in Brüssel für einigen Unmut sorgte. »Die WTO ist eine mittelalterliche Organisation. Man kann Diskussionen zwischen 146 Mitgliedsstaaten nicht so strukturieren und steuern, daß sie zum Konsens führen«, klagte der damalige EU-Handelskommissar Pascal Lamy 2003 nach der ergebnislosen Ministerkonferenz von Cancún.

Als Konsequenz daraus treibt die Europäische Union allerdings nun bilaterale Handelsabkommen mit einzelnen Nationen oder Staatengruppen voran. Mit Kolumbien, Peru, Südkorea und dem zentralamerikanischen Bund (dem Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama angehören) hat sie bereits Verträge abgeschlossen – nur das EU-Parlament muß noch seine Zustimmung geben. Verhandlungen mit Singapur, Kanada, der Ukraine und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay laufen zur Zeit. Mit den 79 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten, die sich zu dem Verband AKP zusammengeschlossen haben, kam es hingegen nicht zu der Unterzeichnung eines Dokuments, weshalb die EU jetzt Einzelgespräche führt und sich mit zahlreichen Nationen bereits auf Abkommen geeinigt hat.

Die USA, China und andere mächtige Staaten handeln ähnlich. Die Globalisierung unter dem Diktat des Neoliberalismus schreitet also weiterhin unaufhörlich voran, nur fehlen ihr die erkennbaren Wegmarken und zentralen Projekte wie einst das MAI. Darum spielen sich die Geschehnisse oftmals unter der Wahrnehmungsschwelle ab und reizen nicht mehr zu großen Gegenmobilisierungen. Dabei wären diese nötiger denn je, da die bilateralen Verträge oftmals sogar noch über die Liberalisierungen der WTO hinausgehen. Diskussionen mit Einzelstaaten und kleineren Allianzen kann man eben leichter »so strukturieren und steuern, daß sie zum Konsens führen«. Teile und herrsche heißt die Erfolgsformel.

»Politik der offenen Tür«

»Gewährleisten, daß wettbewerbsfähige europäische Unternehmen (…) Zugang zu den Weltmärkten erhalten und auf ihnen sicher operieren können, das ist unsere Agenda«, so umschrieb 2006 der damalige EU-Handelskommissar Peter Mandelson die »Global Europe«-Strategie. Das mündete in Verhandlungszielen wie Absenkung von Zollgrenzen, strenger Patentschutz, verbesserter Zugriff auf Rohstoffe, Gleichbehandlung von in- und ausländischen Unternehmen und mehr Investitionsschutz. Große europäische Konzerne haben nicht nur an der Erstellung dieser Liste einen maßgeblichen Anteil gehabt, sie bestimmten die ganze neue Außenhandelspolitik Brüssels mit. UNICE, der EU-Lobbyverband der Multis, drängte die Union nach dem Abbruch der Cancún-Gespräche, einen Beschluß von 1999 zu verändern und sich bilateralen Handelsabkommen nicht länger zu verschließen. Und die Nachfolgeorganisation BusinessEurope mahnte ein ausgearbeitetes Programm an, das die Kommission mit »Global Europe – competing in the World« (Globales Europa – konkurrieren in der Welt) schließlich auch vorlegte.

Die Mitwirkung der Konzerne bei der praktischen Umsetzung war dann nur noch Formsache. So fanden etwa vor Beginn der Verhandlungen mit Indien regelmäßig Treffen der EU-Generaldirektion Handel mit BusinessEurope sowie den Branchenverbänden der Chemie- und Pharmaindustrie statt. Die Direktion schickte der Organisation sogar einen Fragebogen zu, um auch ja alle Wünsche der Multis zu berücksichtigen. Zudem erhielten die Global Player Zugang zu den Indien-Dokumenten der EU. Eine »Politik der offenen Tür« nannte das der damalige Direktionschef David O’Sullivan. Ganz weit offen hielt die Tür dabei der Handelsdirektor Thomas Heynisch, was nicht weiter verwundert, denn er stand früher im Dienst der Lobbyorganisation Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Aber auch die Europäische Kommis­sion selber zeigte sich ehrerbietig. »Wir machen das für euch«, versicherte Peter Mandelson den Unternehmen, weshalb die »European Business Group« frohlockte: »Wir können die Kommis­sion als unser Sprachrohr benutzen«.

Pharmaunternehmen profitieren

In dieser Funktion hat die Kommission besonders der Pharmaindustrie viele Dienste erwiesen. So dürfen sich die Firmen über Patentregelungen freuen, die weit über die 1994 im Rahmen der Welthandelsrunde in Uruguay beschlossenen TRIPS-Vereinbarungen hinausgehen. Galt in diesen Verträgen ein 20jähriger Schutz des geistigen Eigentums, so können die Pillenriesen nun in Peru und Kolumbien bedeutend länger Monopolprofite einstreichen. Die Bearbeitungsdauer der Zulassungsanträge für die Arzneien müssen die beiden Länder nämlich jetzt noch draufrechnen. Auch Zugang zu den Testdaten der Pillen dürfen sie erst nach fünf Jahren gewähren, weshalb sich die Produktion von Nachahmerpräparaten verzögert, denn die meisten Generikafirmen haben nicht das Geld für eigene klinische Prüfungen. Zudem haben die südamerikanischen Staaten sich verpflichtet, Patentverstöße strenger zu verfolgen und zu bestrafen. Bayer, Novartis & Co steht es jetzt frei, die Behörden schon bei einem bloßen Verdacht zu einer Beschlagnahme von angeblich widerrechtlich produzierten Arzneien zu veranlassen. Selbst wenn die Medikamente Peru oder Kolumbien nur als Durchgangsstation nutzen und weder im Herkunfts- noch im Bestimmungsland einem Patentschutz unterliegen, hat der Zoll das Recht zuzuschlagen. Innerhalb ihrer eigenen Grenzen praktiziert dies die EU schon lange und macht dabei eine reiche Beute. Und zu allem Übel gelten diese Regeln nicht nur für Pillen, sondern in ähnlicher Form auch für Pestizide und Saatgut; sie finden sich in allen bisher unterzeichneten Freihandelsabkommen wieder.

Bessere Geschäfte mit diesen Gütern garantieren die vereinbarten Senkungen der Einfuhrzölle. Der »Bundesverband der deutschen Industrie« und der europäische Chemieverband CEFIC hatten zwar eine Nullösung gefordert, aber die Reduzierung der Tarife um durchschnittlich 80 Prozent dürfte auch für bedeutend mehr Absatz sorgen. Das »Handelshemmnis« Ausfuhrsteuern tragen die Vereinbarungen ebenfalls ein gutes Stück weit ab, was den Firmen ermöglicht, billiger an Rohstoffe heranzukommen. Sogar ein bißchen MAI hat mit den Vertragsabschlüssen Einzug gehalten; der Investitionsschutz wird nur nicht mehr auf multinationaler Ebene, sondern bloß noch auf der bilateralen gewährt. Aber der Effekt ist derselbe: Die Verträge gewähren den Multis eine Gleichbehandlung mit einheimischen Unternehmen und ermöglichen einen ungehemmten Kapitalfluß sowie einen regen Handel zwischen Mutter- und Tochterunternehmen.

Entsprechend negative Auswirkungen haben die Freihandelsabkommen für die ärmeren Nationen. Allein unter den EU-Staaten haben sie nicht mehr die Verhandlungsmacht, die sie zum Leidwesen Pascal Lamys noch in den Welthandelsrunden besaßen. Was dort dank des Drucks der Entwicklungsländer von der Agenda verschwand – die sogenannten Singapur-Themen, Investitions- und Wettbewerbsregeln, öffentliche Auftragsvergabe sowie Handelserleichterungen – kam bilateral sofort wieder aufs Tapet und, im Sinne der Konzerne ausgestaltet, auch in die Verträge. Deshalb konnte der jetzige EU-Handelskommissar Karel de Gucht nach der Einigung mit Kolumbien und Peru jubilieren, die Ergebnisse würden in Sachen »Marktzugang« und »Handelsregeln« die WTO-Bestimmungen weit in den Schatten stellen.

Bevölkerung zahlt die Zeche

In den Entwicklungs- und Schwellenländern profitiert nur eine Gruppe wirtschaftlicher Akteure von den Abschlüssen: die einheimischen Multis. Wie schon bei den Verhandlungen auf multilateraler Ebene gibt auch bei den Verhandlungen auf bilateraler Ebene die »Internationale des Kapitals« den Takt vor. So steht BusinessEurope derzeit Seite an Seite mit der Confederation of Indian Industry (CII), um das Freihandelsabkommen mit Indien im Sinne des Big Busineß zu gestalten.

Der Großteil der Bevölkerung hat hingegen das Nachsehen. Besonders gravierend wirken sich die Handelsvereinbarungen auf die Gesundheitsversorgung aus, denn die verschärften Patentregeln verteuern Medikamente drastisch. Hätte die EU all ihre Forderungen gegenüber Peru durchgesetzt, so hätte das die Arzneimittelaufwendungen in dem Land um 459 Millionen Dollar erhöht, wie die Initiative Health Action International ausgerechnet hat. Aber selbst der erreichte Kompromiß dürfte den Andenstaat Hunderte Millionen Dollar kosten. Das bevölkerungsreiche Indien wird mit dieser Summe nicht auskommen. Patentbestimmungen wie in Peru und Kolumbien hätten aber nicht nur schlimme Folgen für die einheimische Bevölkerung, sondern für alle Länder des Südens. Indien ist nämlich die »Apotheke der Dritten Welt«; die hier produzierten Nachahmerpräparate gehen in den ganzen Trikont. Allein die Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« bezieht 80 Prozent seiner AIDS-Medikamente preiswert aus dem südasiatischen Staat und versorgt damit 160000 Patienten. Darum warnt die Organisation: »Das Abkommen würde dazu führen, daß wichtige Nachahmermedikamente in Indien nicht mehr hergestellt werden dürfen.«

Die Verträge schreiben jedoch auch in anderen Bereichen einen strengeren Patentschutz fest. Das von Agrokonzernen reklamierte geistige Eigentum auf Saatgut nimmt den Landwirten das Recht, einen Teil ihrer Erträge aufzusparen und für eine Wiederaussaat zu verwenden. Für diese seit Generationen übliche Praxis können die Multis nun eine Lizenzgebühr verlangen. Bolivien hatte sich entschieden gegen diesen Punkt gewehrt. »Das Leben ist etwas Heiliges, was nicht mit der Europäischen Union verhandelt werden kann«, erklärte Präsident Evo Morales und forderte, die Interessen transnationaler Unternehmen nicht länger über die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Umwelt zu stellen. Deshalb befand der damalige bundesdeutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Morales »störe« den Verhandlungsprozeß und war froh, ihn schließlich nicht mehr dabeizuhaben. Die indischen Farmer teilen dagegen den Standpunkt des bolivianischen Staatsoberhauptes. »Die Patentforderungen der EU werden das fundamentale Recht der Landwirte beschneiden, Saatgut zu sammeln und zu tauschen und damit zu einem Verlust von Pflanzenarten und traditionellem agrikulturellen Wissen beitragen«, kritisierte ihr Koordinationskomitee in einem offenen Brief an den indischen Premierminister Manmohan Singh.

Die Patentansprüche auf Pestizide stärken die Freihandelsabkommen ebenfalls. Wie die Testdaten von Arzneien belegen sie auch Patente von Ackergiften mit einer Sperrfrist, was die Produktion von billigeren Nachahmerpräparaten erschwert. Die indische Regierung zeigte sich schon im Vorfeld entgegenkommend und bereitete eine Dreijahresregel vor, aber das reichte der European Crop Protection Agency (ECPA) nicht. Die Brüsseler Lobbyorganisation lehnte die 2008 ins indische Parlament eingebrachte »Pesticides Management Bill« ab und drängt nun im Zuge der Vertragsverhandlungen auf längere Verschlußzeiten. Sollte die ECPA sich durchsetzen, so müssen die Landwirte länger die von BASF, Bayer & Co. diktierten Monopolpreise für neu entwickelte Agrochemikalien zahlen.

Bauernsterben und Vertreibungen

Die Farmer zählen ganz generell zu den Hauptleidtragenden der Abkommen. Die massiven Absenkungen der Zolltarife erlauben es der EU, die Märkte der Entwicklungs- und Schwellenländer mit Milch, Fleisch, Früchten und anderen hochsubventionierten Agrarprodukten zu überschwemmen, was in den Ländern des Südens die Existenz besonders der kleinen Betriebe gefährdet und den Trend zu einer industriellen Landwirtschaft forciert. »Wir lehnen die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens ab, da es schädliche Auswirkungen auf die bäuerlichen Gemeinschaften, Indiens Agrarproduktion und daraus folgend auf die Ernährungssouveränität und die Souveränität Indiens im Ganzen hat«, heißt es deshalb in dem Protestbrief der Bauern und Bäuerinnen an Premier Singh.

Sein peruanischer Amtskollege Alan García hat sich von solchen Protesten nicht erweichen lassen. Er titulierte die Kleinbauern und -bäuerinnen als Fortschrittsfeinde und machte sich gleich nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA daran, ihre Rechte zu beschneiden. Unter Umgehung des Parlamentes erleichterte er per Dekret die Möglichkeit von Enteignungen und Umwidmungen von Regenwaldflächen in Äcker, um Investoren, die Bergbau betreiben, Rohstoffe gewinnen oder Agrosprit-Plantagen anlegen wollen, freie Hand zu geben. Die indigenen Gruppen reagierten darauf mit massiven Protesten, die von der Regierung gewaltsam niedergeschlagen wurden. Im Juni 2009 tötete die Polizei bei der Auflösung einer Straßenblockade Dutzende Menschen und verletzte 200. Immerhin zog García anschließend zwei der sogenannten Dschungelgesetze zurück. Der Kontrakt mit der EU erweitert jetzt den Kreis der Interessenten an Perus Bodenschätzen und Biospritäckern noch einmal, was die Lage der Landwirte in den entsprechenden Gebieten weiter verschlechtern dürfte.

Im Nachbarland Kolumbien kann es eigentlich nicht mehr viel schlimmer kommen. Nichtsdestotrotz befürchten Menschenrechtsgruppen durch die Vereinbarungen mit der EU eine neuerliche Zunahme der Vertreibungen, die seit 1985 4,6 Millionen Menschen ihr Land kosteten, weil das Abkommen die Rechtsposition von Ölfirmen, Agrobaronen und Minengesellschaften stärkt.

Andere Wirtschaftszweige haben gleichfalls unter den Übereinkünften zu leiden. So sorgte der Fall der Zollgrenzen nach dem Assoziierungsabkommen mit der EU in Tunesien für einen drastischen Anstieg der Warenimporte, dem die landeseigene Ökonomie nichts entgegenzusetzen hatte. »Es dürften in den letzten fünf Jahren um die dreißig Prozent der kleinen Betriebe eingegangen sein«, schätzt der Nordafrikaexperte Prof. Werner Ruf. Ähnliches steht Indien bevor. Wenn die Verträge beispielsweise großen Lebensmittelketten wie Metro, Carrefour und Tesco eine Geschäftslizenz ausstellen, wird der kleinteilige einheimische Einzelhandel dagegen kaum bestehen können.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Zudem schwächen die Freihandelsabkommen die regionale Integration und damit eine gemeinsame Entwicklung der armen Länder. Die Europäische Union, selbst eine supranationale Organisation, schreckt nämlich nicht einmal davor zurück, andere Bünde aufzuspalten, um zu Vertragsabschlüssen zu kommen. Als die Verhandlungen mit den 79 AKP-Staaten stockten, ging Brüssel nach der Devise »Going with the willing« vor und erzielte so vorläufige oder endgültige Übereinkünfte mit Botswana, Moçambique, Kenia, Ruanda, Papua-Neuguinea und über 30 weiteren Ländern.

Infolge der Abmachungen verlagert sich der Warenverkehr mehr und mehr auf die Nord-Süd-Achse, zwischen den AKP-Staaten selber finden weniger Geschäfte statt, da es ihnen bestimmte Klauseln erschweren, untereinander Handelsvereinbarungen zu treffen. Zudem dürfen die Länder sich gegenseitig nur noch beschränkt Vergünstigungen gewähren, es sei denn, sie räumen der EU dieselben Vorteile ein. Nach dem Motto »Du sollst keinen Handelspartner haben neben mir« macht Brüssel zudem der regionalen Wirtschaftsunion ECOWAS (der Nigeria, Senegal und 13 weitere westafrikanische Staaten angehören) das Leben schwer. In den derzeit laufenden Verhandlungen mit einzelnen Mitgliedern verlangt Brüssel nämlich, die an den Grenzen erhobene Gemeinschaftsabgabe abzuschaffen, die der Finanzierung der Union dient.

Auch die Andengemeinschaft CAN überstand die Freihandelsabkommen nicht unbeschadet. Hatte die CAN der Vertrag Kolumbiens mit den USA schon die Mitgliedschaft Venezuelas gekostet, so kam es im Laufe der Verhandlungen mit der EU nochmals zu einem Zerwürfnis. Kolumbien, Peru, Ecuador und Bolivien vermochten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegenüber der Europäischen Union zu einigen, weshalb schließlich nur Kolumbien und Peru das Abschlußpapier unterzeichneten. Agrarprodukte aus Frankreich, Italien und Deutschland sowie andere Waren finden nun leichter den Weg in diese Länder – und diejenigen der Nachbarn umso schwerer, was denen wiederum Wirtschaftskraft entzieht. Schon die Handelsvereinbarungen Kolumbiens und Perus mit den Vereinigten Staaten haben die Sojaexporte Boliviens in die beiden CAN-Staaten empfindlich einbrechen lassen, und durch die Regelungen mit der EU sind nun weitere Verluste zu erwarten.

Die Umsetzung der »Teile und herrsche«-Strategie erfolgt ohne Rücksicht auf Verluste. Die Europäische Union erpreßt die Unterschriften durch die Drohung, ansonsten Kürzungen bei der Entwicklungshilfe vorzunehmen. Auch die Ankündigung, unbotmäßiges Verhalten mit dem Entzug des Entwicklungsländern gewährten privilegierten Marktzugangs zu bestrafen, dient als Zwangsmittel. Nigerias Weigerung, ein »Economic partnership agreement« (EPA) zu unterzeichnen, beantwortete Brüssel umgehend mit der Erhebung von Zöllen auf Exporte aus dem Land. Offizielle Begründung: Die Sonderkonditionen widersprechen den WTO-Bestimmungen. Allein die Kakaoproduzenten kostet das jährlich Millionen Euro. Die Ausfuhrsteuern möchte die Union ebenfalls wegverhandeln – ganz wie von BusinessEurope gefordert. »Die EU sollte in Betracht ziehen, die Marktzugangspräferenzen für ein Produkt auszusetzen, wenn ein Land, das Teil der Wertschöpfungskette für dieses Produkt ist, zu marktverzerrenden Maßnahmen greift wie beispielsweise Ausfuhrbeschränkungen für Rohstoffe«, schreibt die Lobbyorganisation in ihrer Stellungnahme.

Koste es, was es wolle

Sang- und klanglos verhallte die Bitte des AKP-Handelsbeauftragten Paul Bunduku-Latha an die EU-Delegierten, »ein wenig Flexibilität und Humanität« zu zeigen. Der Appell der Afrikanischen Union, in den EPAs eine entwicklungspolitische Perspektive zu verankern, blieb ebenfalls unerhört. Und an die Millenniumsziele der UN wie die Reduzierung der Armut wollte die Europäische Union schon gar nicht erinnert werden. Sie hielt sich streng an die Vorgabe des europäischen Dachverbandes für den Groß- und Einzelhandel EuroCommerce: »Die Handelspolitik sollte nicht mit Sozial- und Umweltstandards vermischt werden.« Das Kapitel über nachhaltige Entwicklung in den Entwürfen zum Freihandelsabkommen mit Indien betrachtet die Kommission deshalb nur als Formalität – »nötig, um das EU-Parlament zu beruhigen«.

Auch politische Standards werden nicht mit der Handelspolitik vermischt. So erklärte BRD-Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel in einem Interview: »Mit Kolumbien sollten wir ideologiefreier umgehen«. Trotz anhaltender Vertreibung und Morden an Gewerkschaftern und Menschenrechtlern – allein zwischen Juli und Oktober 2010 fanden 30 Aktivisten den Tod – meint der FDP-Politiker nämlich, in dem Land hätte sich so einiges getan.

Die Art und Weise, wie der Andenstaat das Freihandelsabkommen mit der EU politisch durchdrückte, scheint Niebel dabei ebenfalls zu übersehen. Um lästige Kritik aus dem Ausland an den Menschenrechtsverletzungen auszuschalten, setzte das Land seinen Sicherheitsdienst DAS unter anderem auf den Menschenrechtsausschuß des EU-Parlaments, auf Human Rights Watch und OXFAM an. Im Rahmen der »Operation Europa« stahlen die Agenten Festplatten, setzten die Angehörigen von Aktivisten mit Drohanrufen unter Druck und brachten Falschmeldungen über Kontakte der Menschenrechtler mit der FARC-Guerilla in Umlauf.

Immerhin nahm die kolumbianische Regierung diese und andere schmutzige Aktionen zum Anlaß, den DAS aufzulösen und Untersuchungen anzusetzen. So stieß der Staatsanwalt denn auch auf ein Dokument mit einem Amtshilfeersuchen, das an den Bundesnachrichtendienst (BND) gerichtet war. Die Geheimdienstler erbaten darin Auskünfte über Reisebewegungen von politisch mißliebigen Personen. Ob der BND sich kooperativ zeigte, darüber liegen der Bundesregierung aber leider »keine Erkenntnisse« vor. Auf eine kleine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele antwortete Cornelia Pieper, FDP-Staatsministerin im Auswärtigen Amt: »Zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem DAS bestehen seit den späten 80er Jahren Kontakte. Diese haben aber keinerlei Bezug zu den in der Anfrage thematisierten Aktivitäten.«

Ein besonderes Interesse am Erkenntnisgewinn über die »Operation Europa« hat auch die EU-Kommission nicht. Sie lehnte einen Antrag des Parlaments ab, die Machenschaften des kolumbianischen Sicherheitsdienstes genauer zu erforschen, um das Freihandelsabkommen nicht zu gefährden. Die Europäische Union interessiert nämlich nur eines: »Neue Instrumente suchen, um ökonomisch zu wachsen«, wie es Marianne Gumaelius von der Generaldirektion Handel ausdrückte. Und dafür macht sie in ihrer Handelspolitik BAYER & Co. den Weg frei, nicht nur in Kolumbien und Peru, sondern auch in Zentral­amerika, Indien, Südkorea und auf dem afrikanischen Kontinent – koste es, was es wolle.

* Udo Hörster ist Mitarbeiter der Koordination gegen BAYER-Gefahren (www.CBGnetwork.org)

Aus: junge Welt, 24. Februar 2011


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