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Militärunion mit Abstrichen

Wirtschaftlichkeit ist auch in EU-Sicherheits- und -Verteidigungspolitik ein hohes Gut

Von Katja Herzberg *

Erstmals seit fünf Jahren ist die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wieder einmal Thema eines Gipfeltreffens. Das ist in der derzeitigen Lage nicht so erstaunlich, wie es zunächst klingt.

Mit der Forderung nach einem dauerhaften EU-Kriegsfonds warf Frankreichs Präsident François Hollande nicht mehr als einen kleinen Stein in das in den letzten Jahren still gewordene Wasser der EU-Sicherheits- und -Verteidigungspolitik. Wie für Regierungschefs oft üblich, versuchte er in erster Linie die Interessen seines Landes vorzubringen, in diesem Fall die Lasten für Militäroperationen auf breitere Schultern zu verteilen. Sprich: Auch andere EU-Staaten sollen für Einsätze zahlen, die Frankreich derzeit in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik anführt.

Eine solche Debatte war nicht beabsichtigt, als die EU-Kommission im Sommer ein Papier zum Zustand der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) vorlegte. Darin klagte Brüssel über mangelnde Effizienz bei Kriseninterventionen, bei der Verteidigungszusammenarbeit und in der Rüstungsindustrie. Weiterführende Beschlüsse zu diesen Themen sind aber auch beim letzten Treffen der Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Mitgliedsstaaten in diesem Jahr nicht zu erwarten. Laut »Spiegel« habe insbesondere Deutschland entscheidende Einschränkungen bereits in dem Entwurf der Abschlusserklärung des EU-Gipfels an diesem Donnerstag und Freitag vorgenommen. In dem Papier, das dem Nachrichtenmagazin nach eigenen Angaben vorliegt, wurden konkrete Zeitangaben und Ziele gestrichen. Ein europäisches Drohnenprogramm werde demnach nicht mehr für den Zeitraum zwischen 2020 und 2025 angestrebt.

Der Europäische Rat soll sich auch nicht mehr dafür aussprechen, die »strategische Autonomie der Union« zu stärken. Dabei wären genau solche grundsätzlichen Wegmarken von Bedeutung, meint der Politikwissenschaftler Bernhard Rinke. »Eine europäische strategische Kultur ist erst im Entstehen«, sagt der an der Universität Osnabrück tätige Experte für die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber »nd«. »Die EU ist auf dem Weg, sich in eine Interventionsunion zu entwickeln. Aber nur ein Bruchteil der Maßnahmen und Missionen ist militärischer Natur.« Denn die EU-Staaten seien gespalten in der Frage, ob überhaupt bei Konflikten interveniert werden sollte und wenn ja, mit welchen Mitteln. Die Uneinigkeit sei auch vor dem Hintergrund der spezifischen historischen Erfahrungen der einzelnen Länder zu betrachten, wie etwa zwischen Frankreich und Deutschland.

Nachdem die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, von der die GSVP ein Teil ist, in den vergangenen Jahren im Schatten der Fiskalkrise stand, wachse nun der Druck auf die EU. Die USA verlagerten ihre Aktivitäten in den pazifischen Raum. »Dazu nehmen die Herausforderungen nicht ab«, so Rinke mit Blick auf den Arabischen Frühling, die Konflikte in Syrien, Mali oder Somalia sowie die Entwicklungen in Europa wie in der Ukraine.

Nach fast 15 Jahren, in denen die Idee einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bereits in den Europäischen Verträgen verankert ist, und mehr als 30 Operationen (von denen die meisten »Beobachtungs«- und »Ausbildungsmissionen« sind und aktuell noch 17 laufen), fehle der politische Wille, mehr Souveränität auf die Ebene der EU zu übertragen. Gleichwohl wirke die Union schon jetzt mit einem ganzen »Werkzeugkasten« an Instrumenten und Finanzierungstöpfen auf Konflikte ein.

»Ich finde es bemerkenswert, dass zum ersten Mal seit fünf Jahren ein Gipfeltreffen ausschließlich zum Thema Rüstung stattfindet«, beurteilt die Europaabgeordnete Sabine Lösing (LINKE) die Tagesordnung. Nicht erstaunlich sei, dass es jetzt erfolgt, obwohl die Wirtschaftskrise in vielen Ländern Europas anhält. »Es wird die Befürchtung formuliert, dass die Ausgaben für Rüstungsgüter weiter zurückgehen«, sagt Lösing. Dem soll mit verstärkter Zusammenarbeit begegnet werden. Letztlich gehe es aber »um eine Zunahme der militärischen Kapazitäten durch mehr Effektivität«.

Laut Lösing, die Mitglied im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament ist, soll in Brüssel aber auch eine »klare militärische Strategie« entwickelt werden. Dies werde »gut verpackt als Charmeoffensive«, indem etwa militärische Lazarettschiffe vor Krisengebieten auf das Meer geschickt werden. Dabei stünden die Sicherung der See- und Handelswege sowie die Abwehr sogenannter illegaler Einwanderer im Vordergrund.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Dezember 2013


Agendapolitik für alle

Kanzlerin Merkel fordert verbindliche Reformen

Von Aert van Riel **


Die EU steht möglicherweise vor weiteren großen Reformen. Bei dem an diesem Donnerstag beginnenden zweitägigen Gipfel in Brüssel werden die Staats- und Regierungschefs auch über den sogenannten Wettbewerbspakt diskutieren, ein Beschluss soll hierzu aber erst im Juni 2014 gefasst werden. Mit dem neuen Pakt sollen die Staaten der Eurozone zu einer stärkeren Haushaltsdisziplin gezwungen und Strukturreformen durchgesetzt werden. Auch die Bundesregierung meint, so die Krise in Europa überwinden zu können. »Die bisherigen regelmäßigen Empfehlungen der EU-Kommission zu Reformen in den Mitgliedsländern werden mehr oder weniger freundlich aufgenommen«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung. Eine Verbindlichkeit entstehe daraus aber nicht. Zusagen müssten eingehalten werden. Deswegen seien »vertragliche Vereinbarungen« zwischen einzelnen Ländern und der EU-Kommission notwendig, wofür auch die EU-Verträge geändert werden könnten, so die CDU-Chefin vor dem Bundestag. Diese Reformverträge sind der Kern des »Wettbewerbspakts«.

Als größte Oppositionsfraktion antwortete die LINKE auf die Rede der Kanzlerin. Fraktionsvize Sahra Wagenknecht wies auf Selbstmorde, zunehmende Obdachlosigkeit und Unternehmenspleiten in Südeuropa hin, während Union und SPD über ihren Koalitionsvertrag verhandelt hatten. Das Vermögen europäischer Millionäre habe sich zeitgleich »um fast 100 Milliarden Euro erhöht«, konstatierte Wagenknecht. Dies seien die Folgen der Politik, die Merkel Europa diktiere. Mit dem »Wettbewerbspakt« würde sich aus Sicht der LINKE-Politikerin die Lage verschärfen. »In bilateralen Knebelverträgen sollen sich Regierungen dazu verpflichten, Unternehmenssteuern zu senken, Entlassungen im öffentlichen Dienst vorzunehmen und das Streikrecht einzuschränken«, kritisierte Wagenknecht.

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen widersprach heftig. Die Große Koalition und die sozialdemokratische Fraktion hätten daran gearbeitet, dass sich diese Krise nicht wiederhole. »Wir sind überzeugte Europäer. Deswegen sind wir in der Lage, uns auf eine gemeinsame wirkungsvolle Politik zu verständigen. Sie bedienen nur alte Klischees«, sagte Annen in Richtung der Linksfraktion. Andere SPD-Politiker vom linken Flügel der Partei hatten dagegen in den vergangenen Monaten erklärt, dass sie den »Wettbewerbspakt« ablehnen.

Aus einer anderen Richtung kommt die Kritik des grünen Europapolitikers Manuel Sarrazin. Er hält die Reformen für notwendig, monierte aber, dass mit den angestrebten bilateralen Verträgen die EU-Kommission gegenüber großen Mitgliedsstaaten geschwächt werde. Denn nach dem Konzept des »Wettbewerbspakts« solle die Kommission nur dann als »Kettenhund« losgelassen werden, wenn die Eurogruppe, wo Deutschland den Ton angibt, das auch will.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Dezember 2013 (Kommentar)


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