Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rechtsaußen auf dem Vormarsch

Extremistische Parteien haben deutlich zugelegt

Von Carsten Hübner *

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte entsendet die faschistische »British National Party« (BNP) zwei Abgeordnete nach Straßburg, darunter ihren wegen Volksverhetzung vorbestraften Vorsitzenden Nick Griffin. Die ungarische Partei »Jobbik«, Urheber der romafeindlichen Miliz »Ungarische Garde«, erreichte aus dem Stand drei Mandate. Neu im Europaparlament sind zudem die islamfeindliche »Partij voor de Vrijheid« (PVV) des Niederländers Geert Wilders (Foto: dpa), die »Slovenská národná strana« mit einem Sitz und die belgischen Populisten der »Lijst Dedecker«, ebenfalls mit einem Mandat.

Insgesamt 51 Abgeordnete werden vermutlich das Rechtsaußenspektrum im Europaparlament bilden. Weitere rund 70 Abgeordnete sind dem nationalkonservativen Lager zuzurechnen, darunter die Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, die auf 16 Mandate (+9) kam, und der »Ungarische Bürgerbund« Fidesz, der 14 Sitze (+2) erreichte. Sie gelten gemeinsam mit mehreren baltischen Parteien als mögliche Partner der britischen Konservativen und der tschechischen »Demokratischen Bürgerpartei« (ODS) bei der Gründung einer neuen, europaskeptischen Fraktion rechts der EVP-Fraktion. Zusammengenommen stellen Rechtsextreme, Populisten und Nationalkonservative künftig rund 18 Prozent der Abgeordneten.

Ob es, wie 2007, wieder zu einem offen rechtsextremen Zusammenschluss kommen wird, ist offen. Nach der Anhebung des Quorums zur Gründung einer Fraktion von 20 auf nun 25 Abgeordnete aus 6 Ländern fehlen dem bisherigen Spektrum der Gruppierung »Identität, Tradition, Souveränität« (ITS) noch eine Reihe Mandate, zumal mehrere ITS-Parteien Verluste hinnehmen mussten. Die französische »Front National« kommt nun auf drei Mandate (-4), der belgische »Vlaams Belang« (VB) auf zwei (-1) und die bulgarische »Ataka« auf zwei Sitze (-1). Die Zugewinne der österreichischen FPÖ um einen auf nun zwei Abgeordnete und die Rückkehr der »Großrumänienpartei« nach Straßburg mit zwei Parlamentariern können diese Verluste nicht ausgleichen.

Wahrscheinlicher erscheint es deshalb, dass insbesondere FPÖ und VB die Aufnahme in die rechtsnationalistische Fraktion »Union für ein Europa der Vaterländer« (UEN) anstreben. Bereits vor der Wahl hatten UEN-Mitglieder, wie die fremdenfeindliche »Dansk Folkeparti« und die rassistische italienische »Lega Nord«, signalisiert, eine solche Integration zu befürworten. Auch die seit 1999 bestehende UEN steht jedoch vor der Schwierigkeit, die Hürde von 25 Abgeordneten zu nehmen.

Da auch der dritten Fraktion mit rechter Beteiligung, der bisher 22-köpfigen Gruppe »Unabhängigkeit/Demokratie«, die Auflösung droht, sind neben der stramm nationalistischen »United Kingdom Independence Party« mit voraussichtlich 13 Sitzen (+1) auch die künftig zwei Abgeordneten der neonazistischen griechischen Partei LAOS auf der Suche nach neuen Partnern. Beobachter halten es für denkbar, dass es zu einer Rechtsaußenfraktion kommt, die erstmals in der Geschichte des Europaparlaments die verschiedenen Spektren der extremen Rechten vereint.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2009


Krisenprofiteure von rechtsaußen **

Rassistische Propaganda fruchtete nicht nur in östlichen EU-Staaten

Von Tomasz Konicz **


Die EU-Wahlen 2009 bescherten etlichen nationalistischen und faschistischen Parteien Osteuropas den politischen Durchbruch. Dabei profitierten sie offensichtlich auch von einer extrem niedrigen Beteiligung an dem Urnengang.

Als Desaster ragt der Wahlausgang in Ungarn heraus, wo die militant faschistische Partei »Jobbik« nahezu 15 Prozent der Stimmen erhielt. Dieses kommt einem politischen Erdrutsch nahe: Ihr bislang bestes landesweites Ergebnis hatte die antiziganische und antisemitische Gruppierung 2006 mit 2,2 Prozent errungen. Jetzt liegt Jobbik nur knapp hinter den auf nationaler Ebene regierenden Sozialdemokraten. Deren Wählerschaft halbierte sich von 34,3 Prozent 2004 auf 17,3 Prozent. Die rechtskonservative Partei Fidesz errang hingegen einen überwältigenden Sieg mit 56 Prozent Wählerzuspruch.

Die auf das Schüren ethnischer Spannungen abzielende Strategie der ungarischen Nazis ging somit auf. Die verelendete und marginalisierte Minderheit der Roma wurde zu einem bevorzugten Haßobjekt von der Jobbik-Propaganda. Mit dem rassistischen Stereotyp des »kriminellen Zigeuners« wurde der von der Wirtschaftskrise hart getroffenen und verunsicherten Bevölkerung ein handgreiflicher Sündenbock geliefert. Jobbiks paramilitärische Formation, die »Ungarische Garde«, führte immer wieder provokative Aufmärsche in den von ungarischen Roma bewohnten Ortschaften und Stadtteilen durch. Hinzu kam eine kaum verhüllte antisemitische Propaganda, bei der Juden als Verursacher der Weltwirtschaftskrise dargestellt wurden.

Inzwischen stachelt diese von Jobbik entwickelte rassistische »Strategie der ethnischen Spannung« auch Faschisten in anderen Ländern an. In Tschechien gelang es der hauptsächlich aus dem braunen Sumpf »Autonomer Nationalsozialisten« erwachsenen »Arbeiterpartei« (DS) mit einer ähnlichen Taktik, der ebenfalls schon etliche Roma zum Opfer fielen, erstmals die Ein-Prozent-Hürde zu nehmen und von der Wahlkampfkostenrückerstattung zu profitieren. Auch in Tschechien mußten sich die Sozialdemokraten mit 22 Prozent der konservativen Regierungspartei ODS, die 31 Prozent erhielt, geschlagen geben. Immerhin errang die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens 14 Prozent aller Stimmen. In der benachbarten Slowakei hingegen konnte die nationalistische Slowakische Nationalpartei (SNS) 5,5 Prozent Wählerzuspruch auf sich vereinigen. Obwohl sich die SNS von offen faschistischen Kräften distanziert, sind die rassistischen Tiraden ihres Parteiführers Jan Slota berüchtigt.

Über eine Renaissance können sich auch Rumäniens Ultranationalisten der Partidul Romania Mare (PRM) freuen, die 7,2 Prozent erreichten und künftig zwei Abgeordnete im EU-Parlament stellen. In Bulgarien wiederum kam die rechtsextremistische Partei Ataka sogar auf 12 Prozent. Diese konzentrieren ihre Angriffe auf die muslimische Minderheit, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht.

Die Neofaschisten sind nicht nur in Osteuropa auf dem Vormarsch. In den Niederlanden konnte der Rechtsextremist Geert Wilders mit seiner antiislamischen und xenophoben »Partei für die Freiheit« aus dem Stand 17 Prozent der Wählerstimmen erreichen. Es deuten sich auch neue Formen einer »faschistischen Internationale« an. Die faschistischen Krisenprofiteure Großbritanniens aus der British National Party (BNP), die am Sonntag nahezu Zehn Prozent aller Stimmen auf sich vereinigen konnte, trafen sich mit einer Delegation der ungarischen Jobbik-Partei Mitte Mai, um zukünftige Formen der Kooperation zu diskutieren. Nick Griffin, der Führer der BNP, nahm bereits im April an Jobbik-Veranstaltungen in Ungarn teil.

** Aus: junge Welt, 9. Juni 2009


Linke profitiert nicht

Die Haltung zur EU ist eine Klassenfrage, wird von den progressiven Kräften als solche aber nicht thematisiert. Ablehnung des Lissabon-Vertrages nicht deutlich gemacht

Von Andreas Wehr *

Der seit der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament im Jahr 1979 zu beobachtende Rückgang der Wahlbeteiligung hält weiter an. Fast überall sank am Sonntag erneut die Zahl der Wähler. Die Situation ist paradox. Kämpften einstmals die Unterdrückten unter großen Opfern für das Wahlrecht, so werden sie inzwischen händeringend gebeten, doch bitte schön davon Gebrauch zu machen. Viel Geld, davon nicht wenig von der Industrie, wurde für Kampagnen ausgegeben, in denen für das bloße Wählengehen geworben wurde. Das muß mißtrauisch machen. Die europäischen Eliten scheinen inzwischen mehr Angst vor sinkenden Wahlbeteiligungen zu haben als vor so manchem Einzelwahlergebnis. Denn gehen immer weniger zu den Urnen, so könnte ihrem europäischen Integrationswerk allmählich die Legitimation abhanden kommen.

Besonders der Partei Die Linke fiel es schwer, ihre Sympathisanten vom Sinn der Wahl zu überzeugen. Die Bereitschaft ihrer potentiellen Wähler zur Teilnahme an den Europawahlen liegt deutlich niedriger als etwa bei Bundestagswahlen. Das Interesse an europapolitischen Themen ist gering und die Skepsis gegenüber der europäischen Integration verbreitet. In einer Analyse der Frankfurter Allgemeinen heißt es: »Die Europawahl ist eine Wahl der Bessergebildeten.« Der Linken fehlten deshalb Stimmen aus dem Bereich der sozial Benachteiligten und schlecht Ausgebildeten. Auch bei früheren Europawahlen galt laut FAZ schon: »Weil Europapolitik vielen weniger Gebildeten undurchsichtig erscheine, profitierten das bürgerliche Lager und die Grünen. Viele Arbeiter gingen gar nicht zur Wahl.«

Hinzugefügt werden muß aber hier: Die Skepsis jener, die unten sind, besteht vollkommen zu recht. Sie sind es, die im unbegrenzten europäischen Binnenmarkt die Nachteile zu tragen haben. Das damit einhergehende Dumping in der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik trifft vor allem sie. Von Globalisierung und Europäisierung haben sie nichts Gutes zu erwarten. Es gilt: »Grenze weg - Job weg«, wie es in einer ARD-Sendung über die Dienstleistungsrichtlinie so treffend hieß. Auch der SPD fehlten am Sonntag die Stimmen derer, die unten sind. Die 2004 aus Protest gegen den Sozialkahlschlag Schröders Weggebliebenen sind auch jetzt nicht zu den Urnen gegangen.

Ganz anders wird die Europäische Integration von den Wählern der Grünen, der FDP und auch von den Juppies bei SPD und CDU/CSU bewertet. Sie sehen in ihr eine willkommene Erweiterung ihrer Arbeits- und Lebenswelt. Denken sie an Europa, so schwärmen sie von attraktiven Arbeitsmöglichkeiten auch jenseits der nationalen Grenzen, von multikulturellen Begegnungen und nicht selten von der schönen Heimstatt, die man eines Tages im warmen europäischen Süden zu beziehen gedenkt. Da sie gut ausgebildet sind und über ausreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügen, wissen sie, daß sie wachsende Konkurrenz nicht fürchten müssen. Geht es nach ihnen, so kann es bei der Herstellung weiterer Freizügigkeiten im Binnenmarkt und mit der Erweiterung der EU nicht schnell genug gehen. Die Wahl hat denn vor allem eines gezeigt: Die Haltung zu Europa ist eine Klassenfrage.

Mit ihrer Ablehnung des Lissabon-Vertrags hat die Linkspartei eine kritische Position gegenüber dem traditionellen »Weiter so in Europa« der übrigen Parteien eingenommen. Doch dieses Nein zu Lissabon wurde nicht plakatiert. Die Selbstdarstellung der Linken als einer »proeuropäischen Partei« provozierte vielmehr Mißverständnisse und Irritationen. Vielen ihrer Anhänger erschien auch sie als eine der Parteien, der man zu mißtrauen hat.

Zudem trat die SPD unter der Unterschrift »Für ein soziales Europa« in der Wahlkampagne als linke Partei auf. Sie reagierte damit auf die arbeitnehmerfeindliche Politik der Kommission und auf einen Europäischen Gerichtshof, der seine Urteile ohne Rücksicht auf nationalstaatlich errungene soziale Rechte fällt. Die Sozialdemokraten griffen zumindest formal kritische Positionen von Gewerkschaften und Linkspartei auf. Die Aussagen von SPD und Die Linke verloren dadurch an Trennschärfe. Unter der Überschrift »Für Europa: stark und sozial« erklärte die SPD die Wahlen heuchlerisch zu einer »Richtungsentscheidung«, zu einem »Aufbruch für ein starkes und soziales Europa der Zukunft«. Ganz ähnlich lauteten die zentralen Aussagen der Linkspartei, etwa in ihrem Kurzwahlmanifest. Dort heißt es unter der Überschrift »Programm für einen Politikwechsel in Europa«: »Die Linke will, daß die Europäische Union friedlich, sozial, demokratisch und ökologisch wird.« Die unmißverständlichen Aussagen der Partei zum Vertrag von Lissabon fanden sich hingegen nur im Kleingedruckten wieder. Sie wurden kaum wahrgenommen.

Da es in der EU keine europäische Öffentlichkeit gibt, lassen sich die Ergebnisse in den 27 Mitgliedsländer kaum miteinander vergleichen. Überall dominierten nationale Themen. Auffallend ist aber eine Stärkung von rechtspopulistischen, sogar von rechtsradikalen Parteien, etwa in den Niederlanden, in Österreich, Dänemark, Ungarn und Rumänien. Es zeigt sich, daß die Wirtschaftskrise keineswegs im Selbstlauf zu einer Linksverschiebung führt, ganz im Gegenteil. Dort wo sozialer Abstieg nicht einmal auf Ansätze von Klassenbewußtsein stößt, wenden sich die Ausgestoßenen und Entrechteten gegen andere Ausgestoßene und Entrechtete, gegen Muslime, gegen Sinti und Roma, gegen alles fremd Anmutende. Es sind solche neoliberalen Typen in Nadelstreifen wie Geert Wilders in den Niederlanden oder Heinz-Christian Strache in Österreich, die diese Ablenkung des Zorns besorgen. In Deutschland verfehlten hingegen Republikaner und DVU die Fünf-Prozent-Hürde, auch weil sie sich untereinander Konkurrenz machten. Doch auch hier ist der Boden für eine, nur etwas »seriöser« auftretende Rechte längst bereitet. Die gesamte Linke ist daher aufgerufen, ihre Anstrengungen deutlich zu verstärken, um solchen Kräften keinen Raum zu lassen.

** Aus: junge Welt, 9. Juni 2009


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