Darf die EU am Kaspischen Meer militärisch intervenieren?
Zum Streit in EU und NATO und zwischen beiden
Von Rainer Rupp
Beim Treffen der NATO-Außenminister Ende Mai in Budapest kam es beim Streit
zwischen der EU und dem NATO-Land Türkei zu einer kuriosen Situation.
Während der türkische Außenminister nach der Sitzung stolz verkündete, dass
sein Land nun doch ein Mitspracherrecht bei zukünftigen
EU-Militäroperationen habe, so wurde das von seinen EU-Kollegen heftig
bestritten. In der Zwischenzeit wurde deutlich, dass die Differenzen
zwischen der EU und der Türkei längst nicht beigelegt sind.
Bei dem Streit geht es darum, dass die Europäer in ihrer gemeinsame
EU-Außen- und Sicherheitspolitik auf Militärstrukturen der NATO
zurückgreifen wollen, dies aber von der türkischen Regierung in Ankara mit
dem Verweis auf eigene Sicherheitsinteressen bislang blockiert wurde. Die
Türken sollen dabei den Europäern vorgerechnet haben, dass von den möglichen
Krisenherden, in denen die EU-Interventionstruppen zukünftig zum Einsatz
kommen könnten, der größte Teil unmittelbar vor der türkischen Haustür
liegt. Die Türken verlangen deshalb für Ankara für den Fall ein
Mitspracherecht, dass die EU-Eingreiftruppe in Regionen operieren, die zur
Interessenssphäre der Türkei gehören. Zu dieser Sphäre zählt die Türkei die
Insel Zypern, den Nahe Osten und insbesondere den Kaukasus und die ölreiche
Region um das Kaspische Meer.
Die Europäische Union will bis 2003 eine schnelle Eingreiftruppe aufgestellt
haben, die mit 60.000 Soldaten, 400 Kampfflugzeugen und 100 Kriegsschiffen
im Umkreis von 4.000 Km von Europas Grenzen mindestens ein Jahr Krieg führen
kann. Bis Jahresende soll bereits eine erste Einheit für die „militärischen
und humanitären Operationen“ einsatzbereit sein, wie es im offizielle
Sprachgebrauch heißt. Um aber amerikanischen Bedenken gegen die EU-Truppe
als „Konkurrenz“ zur NATO entgegen zu wirken, aber auch aus Kostengründen,
soll beim Aufbau der EU-Armee eine Duplizität mit bestehenden
NATO-Strukturen verhindert werden, weshalb eine enge Zusammenarbeit mit der
NATO vorgesehen ist. Die NATO-Staaten hatten diesem Vorhaben mit Ausnahme
der Türkei bereits grundsätzlich zugestimmt. Da die EU im Ernstfall
erwartet, auf NATO-Basen und Installationen auf türkischem Territorium
zugreifen zu können, möchten die Türken auf keinen Fall abseits stehen, wenn
die EU in ihrem „Hinterhof“ militärisch interveniert. Deshalb will sie der
EU den Zugriff auf NATO-Mechanismen und NATO-Infrastruktur nur gegen ein
türkisches Mitspracherecht bei EU-Operationen gewähren. Nach Aussage eines
EU-Diplomat besteht Ankara auf „einer vollen Beteiligung an den Sitzungen
der EU zu entsprechenden Themen“ („Streit zwischen EU und Türkei brodelt
weiter“, AP, Meldung vom 27.05.2001 08:59)
Kompromissvorschläge Großbritanniens und der Niederlande konnten die Türken
auch beim NATO-Treffen in Budapest nicht umstimmen. Wie der New York Times
zu entnehmen ist, geht der Streit weiter, weshalb sich nun Washington direkt
eingemischt hat. Gemeinsam mit Großbritannien haben die USA nun einen
Entwurf für ein Abkommen zur Beilegung des Disputs vorgelegt. Demnach würde
der Türkei zwar kein Veto-Recht über die von der EU-geplanten militärischen
Operationen gewährt. Aber die Türkei hätte „eine Stimme bei den Beratungen
der EU bei der Anwendung militärischer Gewalt ebenso wie eine mögliche
Teilnahme bei der Durchführung militärischer Operationen, insbesondere bei
jenen in der Nähe des türkischen Territoriums“. (“Turkey Tentatively Agrees
European Union Force May Use NATO Bases”, By MICHAEL R. GORDON, NYT, June 5,
2001)
Dieser amerikanische Kompromißvorschlag hat bisher weder die Zustimmung der
15 EU-Mitgliedsländern noch die der Türkei gefunden. Aber amerikanische
Diplomaten hoffen, dass eine Lösung bereits bei den für Juni anstehenden
Treffen ranghoher NATO-und EU-Vertreter finden lässt. So treffen sich
bereits heute (am 7. Juni) die NATO-Verteidigungsminister und am 14. Juni
kommen die NATO-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammen, um sich
unmittelbar danach beim EU-Gipfel im schwedischen Göteborg gemeinsam mit dem
amerikanischen Präsidenten Bush erneut zu treffen.
“Für die Vereinigten Staaten steht bei dieser Frage viel auf dem Spiel”,
erklärt die New York Times ihren Lesern. „Um die führende Rolle der NATO
(und damit der USA in Europa, Anm. RR) zu erhalten und um Verwirrung zu
vermeiden, wollen die USA dass die EU sich auf die NATO-Planer verlässt und
mit der Allianz eng kooperiert.“ „Wenn das Problem mit der Türkei nicht
gelöst wird und die EU eigene Wege geht, dann würde das (die Vorherrschaft
der NATO, Anm. RR) ausgeschlossen“, erklärte ein amerikanischer Diplomat in
der NYT,. Deshalb gehen EU-Diplomaten auch davon aus, daß der amerikanische
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei seinem Besuch in Ankara Anfang der
Woche den Türken klar gemacht hat, dass ein Kompromiß mit der EU gefunden
werden muß.
Fraglich ist allerdings, ob der amerikanisch-britische Kompromißvorschlag
auch den anderen Europäern schmeckt, insbesondere den Griechen. Der Entwurf
enthält nämlich auch die Zusicherung, dass die EU-Interventionstruppe nicht
in politische Streitereien zwischen NATO-Alliierten eingreifen werden. Das
ist eine nicht zu übersehende Anspielung auf die türkisch-griechischen
Streitereien. Ob Athen allerdings mit dieser Preisgabe seiner legitimen
Sicherheitsinteressen durch die EU im Rahmen einer gemeinsamen Verteidigung
der EU-Außengrenzen einverstanden ist, dürfte bezweifelt werden.
Rainer Rupp, Saarburg, den 6. Juni 2001
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