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Nebelkerzen im EU-Parlament

Bericht zur Erweiterungsstrategie bringt mehr Fragen als Antworten

Von Holger Elias, Straßburg *

Unmittelbar nach Gründung der Mittelmeerunion befasste sich das Europäische Parlament mit der EU-Erweiterungsstrategie. Nach dem Nein der Iren zum EU-Reformvertrag forderte Berichterstatter Elmar Brok (CDU), künftig die »Integrationsfähigkeit« der Beitrittskandidaten »umfassend zu berücksichtigen«. Jedes Land müsse vor einem Beitritt seine internen Probleme lösen.

»Die bisherigen Erweiterungen der Europäischen Union waren ein großer politischer und ökonomischer Erfolg«, erklärte Brok vor dem Plenum in Straßburg. Allerdings müsse in der EU nach einer fast erfolgten Verdopplung der Anzahl ihrer Mitgliedstaaten seit 2004 nun eine Phase der Konsolidierung eintreten. Die Erweiterungsstrategie sollte »deswegen überdacht und mit neuen Instrumenten ausgestattet« werden. Erweiterungen dürften kein Automatismus sein.

Brok forderte, dass bereits laufende Beitrittsverhandlungen weitergeführt werden müssten, ohne den bestehenden Kandidatenstatus in Frage zu stellen. »Wir wollen die Europäische Union nicht als eine Freihandelszone haben, sondern als eine politisch handlungsfähige Einheit«, sagte er. Das bedeute, dass die interne Reformfähigkeit in gleicher Weise Bedingung für zukünftige Erweiterungen sei wie die Beitrittsfähigkeit von Neumitgliedern. Man könne auch zu den Nachbarn »sehr enge Beziehungen« entwickeln, ohne sie institutionell zu integrieren. Brok sprach von einem »freiwilligen Zwischenschritt zur Vollmitgliedschaft« und brachte diese Variante auch als Dauerlösung ins Gespräch.

Die EU müsse einen Weg neben der Vollmitgliedschaft finden, der ihre Nachbarn am Wohlstand der Gemeinschaft teilhaben lasse. Dadurch würde die Stabilität der gesamten EU und ihrer Nachbarn gestärkt. »Gerade diejenigen, die sich kritisch mit dem Vertrag von Lissabon auseinandersetzen, gleichzeitig aber mit der Erweiterung unverändert fortfahren wollen, befinden sich hier in einem eklatanten Widerspruch«, erklärte Brok.

Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Klaus Hänsch, kritisierte das Brok-Papier als »Strategievernebelungsbericht«. Er könne sich nicht entscheiden, ob es eine Strategie zur Erweiterung oder zur Verhinderung von Erweiterung sein soll, sagte Hänsch. Zudem lasse er die Klarheit der Optionen vermissen, die jede Strategie haben müsse. Außerdem fehle eine klare Definition, warum Europa ein Interesse an Erweiterung haben sollte. Auch sage der Bericht nach Ansicht des SPD-Europaabgeordneten nichts über die institutionellen Voraussetzungen für die Vergrößerung der EU: »Der Bericht verschweigt, dass die EU auf der Grundlage der heute geltenden Verträge nicht mehr erweiterbar ist«, so Hänsch. »Die Erweiterungserfolge vergangener Zeiten sind keine Garantie, dass sich Europa mit weiteren Runden nicht hoffnungslos übernimmt!«

Auch die Grünen-Abgeordnete Gisela Kallenbach erinnerte daran, dass die beitrittswilligen Länder die Gemeinschaft als verlässlichen Partner benötigen, der nicht alle paar Monate seine Strategie ändert. »Dazu gehört, dass die Union zu ihren gegebenen Zusagen, sowohl für die drei derzeitigen Beitrittskandidaten -- einschließlich der Türkei -- und auch für neue Kandidaten, etwa auf dem Westbalkan, steht«, sagte sie. Ein vereintes Europa ohne diese Region sei nicht vorstellbar.

Erweiterungsstrategie bedeute aber auch, dass die EU ihre eigenen Hausaufgaben erledigt und sich für neue Mitglieder fit machen müsse, sagte Kallenbach in Straßburg. »Wenn der Prozess der Erweiterung nun durch das irische Nein und andere Mitgliedstaaten wieder in Frage gestellt wird, dann gehört eine selbstkritische Analyse umso mehr dazu.« Sie bezeichnete es als fahrlässig und falsch, wenn jedes Signal von Euroskepsis auf eine angebliche Erweiterungsmüdigkeit zurückgeführt werde. Auch Erik Meijer von der linken Fraktion GUE/NGL warnte vor einer Art »Superstaat«, der keine Erweiterung auf der Basis einer Gleichberechtigung ermögliche, sondern ein solche verhindere.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juli 2008


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