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Diplomatie mit Marschflugkörpern

Hintergrund. Brüssel schafft sich mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst eine Riesenbehörde, die unter dem Primat militärischer und sicherheitspolitischer Interessen steht

Von Sabine Lösing und Jürgen Wagner *

Am 1. Dezember 2009 trat der Vertrag von Lissabon (EUV) als neue Rechtsgrundlage der Europäischen Union in Kraft. Er schuf den Posten der Hohen Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik (HV), der kurz darauf mit der Britin Catherine Ashton besetzt wurde. Zur Unterstützung ihrer Tätigkeit sieht der Vertrag in Artikel 27 (3) die Schaffung einer neuen Superbehörde vor, die genau ein Jahr darauf offiziell ihre Arbeit aufnahm und deren Charakter von Jean Ziegler folgendermaßen beschrieben wird: »Vom 1. Dezember an wird die EU – gemäß Vertrag von Lissabon – einen eigenen Sicherheitsapparat und eine eigene Diplomatie erhalten. Um die nationalen Öffentlichkeiten nicht aufzuscheuchen, setzt Catherine Ashton, die neue Beauftragte der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die wohl größte Reform der EU seit Einführung der gemeinsamen Währung um. Und das in absoluter Diskretion. Der offizielle Name dieses Apparats heißt: Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD).«

Bereits im März 2010 legte die Hohe Vertreterin einen konkreten Vorschlag zur Ausgestaltung und Arbeitsweise des EAD vor. Daraufhin setzte ein heftiges Kompetenzgerangel zwischen nationalstaatlicher und europäischer Ebene sowie zwischen großen und kleinen Mitgliedsstaaten um Einfluß im neuen Auswärtigen Dienst ein. Die wesentlichen Differenzen wurden am 21. Juni bei einem Treffen der verschiedenen EU-Institutionen beseitigt, und am 8. Juli stimmte das Europäische Parlament schließlich der Vorlage des Rates zu. Zwar dauerte es danach nochmals mehrere Monate, bis die letzten strittigen Fragen geklärt werden konnten, aber ungeachtet der teils scharfen Auseinandersetzungen im Verhandlungsprozeß stand der Aufbau des neuen Dienstes nie ernsthaft in Frage, denn die Union verspricht sich von ihm einen erheblichen machtpolitischen Mehrwert. Man benötige eine »Außenpolitik aus einem Guß«, so der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok, der eine wesentliche Rolle in den Verhandlungen um die Ausgestaltung des Auswärtigen Dienstes gespielt hat. Mit dem EAD könne sich die Europäische Union »von einem Global Payer endlich auch zu einem Global Player entwickeln.«

Machtpolitik aus einem Guß

Im EAD wird zusammengeworfen, was nicht zusammengehört: verglichen mit der in Deutschland gängigen Ressortaufteilung wird er die Kompetenzen des Verteidigungs-, Außen- und großer Teile des Entwicklungsministeriums in sich vereinigen. Im Ergebnis werden hierdurch künftig zivile Außenpolitikinstrumente noch systematischer vor den Karren einer militärisch gestützten Interessensdurchsetzung gespannt und dieser noch mehr untergeordnet werden als es ohnehin bereits der Fall ist.

Das mit dem EAD verfolgte Ziel ist ebenso simpel wie folgenreich: Die Bündelung sämtlicher – ziviler wie militärischer – Kapazitäten soll es ermöglichen, europäische Interessen künftig erheblich effektiver durchzusetzen. Gerade die Eifersüchteleien zwischen der Kommission, bei der große Teile der »zivilen« Außenpolitik angesiedelt waren, und dem Rat, der v.a. für zivile und militärische Einsätze zuständig war, erwiesen sich für eine »Machtpolitik aus einem Guß« (vgl. auch jW vom 23.12.2009) als hinderlich. Aus diesem Grund wurde diese Trennung mit dem Posten der Hohen Vertreterin vom Vertrag von Lissabon nun weitgehend aufgelöst. Ferner legt der Vertrag in Artikel 27 (3) fest, daß die Hohe Vertreterin bei ihrer Arbeit von einer neu zu schaffenden Behörde unterstützt werden soll: »Bei der Erfüllung seines Auftrags stützt sich der Hohe Vertreter auf einen Europäischen Auswärtigen Dienst.«

Über Funktion und Tragweite des Auswärtigen Dienstes läßt Catherine Ashton keinerlei Zweifel aufkommen, so erklärte sie etwa bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2010: »Zur Unterstützung einer einheitlichen politischen Strategie müssen wir sämtliche Einflußhebel mobilisieren – politische, ökonomische, plus zivile und militärische Krisenmanagementwerkzeuge. Die Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes ist entscheidend, um exakt die Art vereinigten Denkens und Handels zu fördern, die wir benötigen. Hierbei handelt es sich nicht um eine bürokratische Übung, sondern um eine sich nur einmal jeder Generation bietende Gelegenheit, etwas Neues zu schaffen. Ich hoffe, sie haben nun mein Anliegen verstanden. Die Tage, in denen die Europäische Außenpolitik als Gewäsch ohne Handlungen abgetan werden konnte, sind nun vorüber.« Auch der Europäische Rat unterstrich in seinen Schlußfolgerungen vom 16. September 2010 bezüglich des EAD: »[D]er Europäische Rat [fordert] einen stärker integrierten Ansatz, der sicherstellt, daß alle einschlägigen Instrumente und Politiken der EU und der Mitgliedstaaten vollständig und auf kohärente Weise [...] im Dienste der strategischen Interessen der Europäischen Union eingesetzt werden.«

Militärisch-Auswärtiger Dienst

Das Problem fängt jedoch bereits mit der Namensgebung an: Nahezu sämtliche militärischen und zivil-militärischen EU-Strukturen werden in den EAD integriert. Die Rolle des Militärs wird im EAD so dominierend sein, dass man ihn ehrlicherweise als einen »Militärisch-Auswärtigen Dienst« bezeichnen sollte, alles andere ist ein gigantischer Etikettenschwindel.

Erste negative Folgen zeichnen sich bereits für die zivile Konfliktbearbeitung bzw. das zivile Krisenmanagement ab, die ursprünglich einmal als Alternative und nicht als Ergänzung militärischer Einsätze gedacht waren. Auch wenn die »zivilen« EU-Einsätze bereits heute im wesentlichen auf die Rolle bloßer Erfüllungsgehilfen zur optimierten Durchsetzung militärisch-strategischer Interessen reduziert worden sind, dürfte sich dieser Trend mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst noch weiter verschärfen. Denn die bisher im Rat der EU angesiedelten Generaldirektionen (DG) E VIII (militärisch-strategische Einsatzplanung) und E IX (zivil-strategische Einsatzplanung) wurden nun in den EAD transferiert. Gleichzeitig wurden DG VIII und IX im neuen Crisis Management Planning Directorate (CMPD, dt.: Planungsdirektorat Krisenmanagement) zusammengefaßt. Alle Einsätze werden also künftig »aus einer Hand« geplant werden. Das bedeutet: Eine unabhängige und vollständig vom Militärischen getrennte zivile Einsatzplanung wird es damit in Zukunft auf EU-Ebene nicht mehr geben. Symptomatisch ist dabei auch, daß mit Claude-France Arnould die bisherige Leiterin von DG E VIII, also der militärisch-strategischen Planungsabteilung, zur Chefin des CMPD ernannt wurde.

Vor diesem Hintergrund warnt Alain Délétroz von der International Crisis Group vor dem »stark militärischen Geschmack«, den das Krisenmanagement auf EU-Ebene mit dem EAD erhalte: »Jetzt schauen wir in eine Zukunft, in der Militärexperten die Planung ziviler Missionen übernehmen.« Die Tragweite der nun auf den Weg gebrachten Verschmelzung im EAD wird von Délétroz mit folgenden Worten untermauert: »Die Strukturen, die heute geschaffen werden, werden sich über Jahrzehnte nachhaltig auf die Art und Weise, wie die EU-Projekte in der Welt wahrgenommen werden, auswirken. Die Kapazität der Union zur Konfliktverhütung und zur Friedenssicherung hat gerade einen herben Schlag erlitten.«[1]

Auch die Auswirkungen des EAD auf die Entwicklungshilfe sind überaus besorgniserregend. Obwohl in Artikel 208 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eindeutig festgelegt ist, daß die EU-Entwicklungshilfe die unmittelbare Armutsbekämpfung zum Ziel haben muß, geht der Trend in eine andere Richtung. Bereits heute werden zahlreiche Maßnahmen mit eindeutigem Sicherheitsbezug, deren Beiträge für die Armutsbekämpfung bestenfalls fragwürdig sind, aus EU-Entwicklungshilfetöpfen querfinanziert (beispielsweise über die African Peace Facility). Auch dieser Trend dürfte sich massiv verschärfen, da der stark militärlastige EAD künftig maßgeblich über die Vergabe von EU-Entwicklungshilfe entscheiden wird. Deshalb besteht die Gefahr, daß künftig Gelder zunehmend nach sicherheitspolitisch-militärischen Gesichtspunkten »umprogrammiert« werden.

Dies jedenfalls ist die – berechtigte – Sorge vieler Entwicklungsorganisationen. So heißt es etwa in einer gemeinsamen Erklärung von CIDSE (Internationale Kooperation für Entwicklung und Solidarität, Frankreich) und CAFOD (Katholische Agentur für Entwicklung in Übersee, Großbritannien): »Der gegenwärtige Vorschlag verwischt die Unterscheidung zwischen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, was zu einer Unterordnung von Entwicklung und Armutsbekämpfung unter sicherheits- und außenpolitische Prioritäten führen wird.« Zwar verfügt der Entwicklungskommissar über gewisse Mitspracherechte; was allerdings passieren dürfte, sollten außen- bzw. sicherheitspolitische Interessen mit den Zielen der Armutsbekämpfung kollidieren, ist schon heute absehbar, wie CIDSE und CAFOD kritisieren: »Während der Vorschlag der Hohen Vertreterin für den Entwicklungskommissar eine überwachende Rolle bei der Gelderprogrammierung vorsieht, versäumt er es zu erwähnen, wie dies in der Praxis vonstatten gehen soll. Da die Entscheidungsfindungsprozesse nicht präzisiert sind, befürchten wir, daß im Falle von Uneinigkeit die Meinung der Hohen Vertreterin die des Entwicklungskommissars überstimmen wird.«[2]

Rechtslage unklar

Inwieweit die neue Superbehörde zudem überhaupt rechtskonform ist, ist äußerst unklar. Während ein Rechtsgutachten zu dem Schluß kommt, der EAD sei im »Geiste wie im Wortlaut« mit dem Vertrag von Lissabon vereinbar [3], äußert ein anderes Gutachten der Kanzlei White & Case im Auftrag von CAFOD und CIDSE hieran erhebliche Zweifel: »Die Rolle des EAD ist gemäß dem Vertrag auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) beschränkt, die lediglich einen Teil des externen Handelns der EU darstellt. Entwicklungszusammenarbeit liegt außerhalb des Rahmens der GASP, weshalb der EAD keinerlei Befugnisse über sie besitzt.«[4] Und in der Tat, ein Blick auf den relevanten Artikel 27 (2) des Vertrages von Lissabon bestätigt diese Einschätzung, der sich auch ein zweites Gutachten im Auftrag des NGO-Netzwerks Eurostep anschloss.[5]

Ein weiteres Ziel ist es, mit dem EAD die Niederlassungen der Europäischen Union, die mit dem Vertrag von Lissabon Botschaftscharakter erhalten haben, machtpolitisch gezielter einsetzen zu können. Künftig will man mit »einer diplomatischen Stimme« sprechen, wofür nun alle 136 EU-Länderdelegationen (plus zwei weitere bei den Vereinten Nationen in New York und internationalen Organisationen in Genf) Schritt für Schritt in den EAD eingegliedert werden. Die jeweiligen Delegationsleiter (EU-Botschafter) unterstehen dabei direkt der Hohen Vertreterin, die ihnen gegenüber weisungsbefugt ist. Die EU-Vertreter sind nicht nur befugt, im Namen der EU zu sprechen, sie sollen auch die Positionen der einzelnen Botschaften der Mitgliedsländer koordinieren und vereinheitlichen: »Mit dem EAD und den weltweiten Delegationen der EU können wir hier auf hohem Niveau Außenpolitik betreiben«, so Elmar Brok. Eines der künftigen Spielfelder für Europas »Außenpolitik auf hohem Niveau« wurde vom CDU-Mann konkret benannt: »Brok beobachte in den letzten Wochen und Monaten eine ›Schlacht um die Zukunft der Ukraine‹ mit dramatischer Bedeutung für das politische Gewicht Europas. Bei der Frage, ob sich Kiew mehr nach Moskau oder nach Brüssel orientiere, spielten die europäischen Nationalstaaten bislang eine bescheidene Rolle. Dies sei zum Beispiel ein entscheidender Ansatzpunkt für den EAD.«[6]

Auch die Sonderbotschafter (EUSB), die die EU für Konfliktregionen von besonderem machtpolitischem Interesse ernennt, werden eng an den EAD angebunden: »Zwar sieht der aktuelle EU-Vertrag in Artikel 33 weiterhin die Ernennung von EUSB durch den Rat (und somit nicht als Teil des von der Hohen Vertreterin geführten EAD) vor. Doch ist allen Beteiligten klar, daß nunmehr […] die Verantwortung für die EUSB explizit bei Lady Ashton liegt.«[7]

Beispiel Kosovo

Schon im Sommer 2010 bekam man einen ersten Einblick, wie künftig diplomatische Zwangsmaßnahmen systematisch zur Unterstützung der europäischen Geopolitik genutzt werden sollen. Im Juli 2010 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof (IGH) sein Gutachten zur Frage, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung der serbischen Provinz Kosovo im Einklang mit dem Völkerrecht stand. Obwohl der IGH de facto die Frage unbeantwortet ließ, wurde das Gutachten im Westen überwiegend als Blankoscheck für die Rechtmäßigkeit der Zerschlagungspolitik auf dem Balkan gewertet.[8] Daraufhin erklärte Milorad Dodik, Präsident der serbisch bewohnten bosnischen Teilrepublik Srpska: »Die Serbenrepublik könnte noch heute Abend eine Deklaration über ihre Selbstständigkeit annehmen, die keinen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellte. Das Urteil ist ein guter Wegweiser für den weiteren Kampf um den Status und die Zukunft. Wir sind schon lange nicht mehr glücklich, dass wir uns in Bosnien-Herzegowina befinden.«Vor diesem Hintergrund sah sich Catherine Ashton als neue Stimme Europas genötigt, solchen Bestrebungen Einhalt zu gebieten: die Republika Srpska könne »so viele Referenden abhalten, wie sie möchte. Aber letztlich geht es hier darum, dass ein Land zusammenfindet. [...] Die Politik der Teilung und das flirten mit sezessionistischer Rhetorik sind ebenso schädlich wie nutzlos. Die Europäische Union wird ein Auseinanderfallen Bosnien-Herzegowinas niemals akzeptieren.« Auch Außenminister Guido Westerwelle sekundierte: »Für Deutschland steht die Souveränität und territoriale Integrität von Bosnien-Hercegovina außerhalb jeder Diskussion.«

Um dafür zu sorgen, daß die Dinge in Bosnien nicht »aus dem Ruder laufen«, wurde Angaben des Daily Telegraph (27.07.2010) zufolge vom Europäischen Auswärtigen Dienst – der zu diesem Zeitpunkt ja seine Arbeit offiziell noch nicht einmal aufgenommen hatte – ein Geheimpapier namens »Next steps in Bosnia and Herzegovina through stronger EU presence and a reinforced EU policy« (dt.: »Nächste Schritte in Bosnien und Herzegowina durch eine stärkere EU-Präsenz und eine verstärkte EU-Politik«) verfaßt. In ihm werden drastische Sanktionsmaßnahmen vorgeschlagen: »In Fällen von Nichtbefolgung [non-compliance], etwa Herausforderungen der Grundlagen des Staates Bosnien-Herzegowina, wird der [Sonderbeauftragte für den westlichen Balkan] in der Lage sein, der Hohen Vertreterin der EU vorzuschlagen, Reiseverbote und/oder das Einfrieren von Auslandsvermögen von Widersachern aufzuerlegen.« Bezüglich des Adressaten dieser Drohungen heißt es in dem Telegraph-Artikel unter Berufung auf einen ungenannten hohen EU-Diplomaten: »Dodik wird nicht begeistert sein, aber künftig wird er aufpassen müssen, was er sagt.«

Dominanz der »Großen«

Obwohl die kleineren EU-Länder massiv darauf gedrängt hatten, im EAD nicht marginalisiert zu werden, haben sich die großen Mitgliedsstaaten sämtliche Schlüsselposten unter den Nagel gerissen. Dies gelang, indem im Beschluß des Europäischen Parlaments vom 8. Juli festgelegt wurde, daß Neubesetzungen auf »Grundlage des Leitungsprinzips« erfolgen müßten. Die »Qualifikation« sei maßgeblich, eine »angemessene geografische Verteilung« sei nicht zwingend, sondern auf sie müsse lediglich »geachtet« werden.

Während sich Großbritannien mit Ashton schon länger den Posten der Hohen Vertreterin sichern konnte, wurden Ende Oktober weitere Besetzungen bekanntgegeben. Dabei fiel für Frankreich mit Pierre Vimont der Posten des Generalsekretärs, Nummer zwei in der EAD-Hierarchie, ab. Die ehemalige enge Vertraute Joschka Fischers, Helga Schmid, wird als stellvertretende Generalsekretärin für politische Angelegenheiten zuständig sein. Lediglich die Stelle des zweiten stellvertretenden Generalsekretärs, der jedoch lediglich für Koordinationsfragen zuständig ist, ging mit dem Polen Maciej Popowski an einen Vertreter eines kleineren Mitgliedslandes. Ein ähnliches Bild ergab sich, als Ashton Mitte September die ersten EU-Botschafterposten vergab, wobei die kleineren Länder erneut massiv unterrepräsentiert waren – so erhielten die zehn neuen Mitgliedsländer etwa lediglich vier Posten. Sie habe sich nach Kräften bemüht, aber beim besten Willen keine qualifizierten Bewerber ausfindig machen können, so Ashtons Begründung für die ungleiche Verteilung. Deutschland sicherte sich hierbei den EU-Botschafterposten in China, der mit Markus Ederer besetzt wurde.

Eine weitere Personalie ist hier noch von Interesse, die des Briten Robert Cooper, des wohl einflußreichsten und offensten Propagandisten eines »postmodernen EU-Imperialismus« und einer gewaltgestützten EU-Expansionspolitik.[9] Er war bereits Mitglied der »In-Group«, die Catherine Ashton mit der Ausarbeitung der EAD-Konzeption beauftragt hatte, und wurde von der Hohen Vertreterin zwischenzeitlich sogar als EAD-Generalsekretär ins Spiel gebracht. Da Deutschland und Frankreich aber keinen weiteren Briten in einer Top-Position sehen wollten, wurde daraus nichts. Stattdessen wurde er aber am 2. Dezember zum offiziellen »Berater im EAD« ernannt: »Er wird in Zusammenarbeit mit dem Policy Board spezielle Aufgaben übernehmen, die ein hochrangiges Engagement auf einem intensiven Niveau erfordern«, so Ashton über Coopers Tätigkeitsprofil.

Ohne demokratische Kontrolle

Wie der Beschluß des Europäischen Parlaments vom 8. Juli nochmals festlegt, handelt es sich beim EAD um eine »funktional eigenständige Einrichtung«, womit die Behörde faktisch kaum einer demokratischen Kontrolle unterliegt. Das Europäische Parlament kann lediglich das von Ashton vorgeschlagene Budget absegnen sowie Botschafter vor ihrem Amtsantritt anhören – allerdings erst nach deren Ernennung und ohne Befugnisse, ihnen den Posten zu verweigern. Generell wird das Europäische Parlament über die Tätigkeit des Europäischen Auswärtigen Dienstes lediglich »unterrichtet« und »konsultiert«, mitzureden hat es aber nichts.

Nach der Einigung über den EU-Haushalt 2011, in dem für die anfangs etwa 3800 Mitarbeiter 475,8 Millionen Euro vorgesehen sind, kann der Dienst nun wohl seine Arbeit ungehindert aufnehmen. Mittelfristig soll die Stellenzahl auf bis zu 8000 und das Budget auf drei Milliarden Euro anwachsen. Damit will man dann in der Lage sein, eine »kohärente« Außenpolitik zu betreiben, wie es beschönigend in den Verlautbarungen heißt. Die Kernidee dieser Politik wurde vor einigen Jahren bereits von Kanzlerin Angela Merkel, eine Stelle aus der Biographie der Exaußenministerin der Vereinigten Staaten Madeleine Albright zustimmend zitierend, bei der Münchner Sicherheitskonferenz auf den Punkt gebracht: »Die zentrale außenpolitische Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu beeinflussen, daß damit den Interessen und Werten der eigenen Nation gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.«

Anmerkungen
  1. Délétroz, Alain: »Kapazität der EU zur Friedenssicherung schwindet«, Der Tagesspiegel, 22.02.2010
  2. CIDSE/CAFOD: Media briefing, 23.04.2010
  3. Duke, Simon/Blockmans, Steven: The Lisbon Treaty Stipulations on Development Cooperation, CLEER Legal Brief, 04.05.2010
  4. Legal Advice Prepared by White & Case LLP to CAFOD and CIDSE, 16.04.2010
  5. Daniel R. Mekonnen, Legal Opinion Drafted for Eurostep, www.eurostep.org
  6. EAD: »Außenpolitik aus einem Guss«, euractiv, 14.10.2010
  7. Adebahr, Cornelius: Strategie statt Bürokratie: Die Rolle der EU-Sonderbeauftragten im Europäischen Auswärtigen Dienst, DGAP-analyse Juli 2010
  8. Zum IGH-Gutachten vgl. Hantke, Martin/Wagner, Jürgen: IGH-Gutachten zum Kosovo: Weg in einen neuen Imperialismus, in: AUSDRUCK (August 2010)
  9. Vgl. zu Coopers Rolle und Einfluss Foley, Frank: Between Force and Legitimacy: the Worldview of Robert Cooper, EUI-RSCAS Working Paper 2007/09
* Sabine Lösing ist Mitglied der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im EU-Parlament, und dort u.a. Mitglied im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung.
Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI). Informationen und Texte unter: www.imi-online.de

Aus: junge Welt, 17. Dezember 2010



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