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EU-Außenpolitik im Dienste der Wirtschaft

Europäischer Auswärtiger Dienst – neues Instrument alter Politik

Im Juni wird das Europäische Parlament seine Entscheidung zum Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) treffen. Unter dem Dach der von »Außenministerin« Catherine Ashton geleiteten EU-Behörde sollen die außenpolitischen Institutionen und Handlungsbereiche der Gemeinschaft gebündelt werden. Helmut Scholz, EU-Parlamentarier der LINKEN, ist Beauftragter der GUE/NGL-Fraktion für Fragen des EAD. Über Aufbau und politische Ausrichtung des Dienstes und über die Position der Linken zur EU-Außen- und Sicherheitspolitik sprach mit ihm für das Neue Deutschland (ND) Uwe Sattler.

ND: Entsteht in Gestalt des EAD eine weitere europäische Megabehörde?

Scholz: Viele Strukturen, die heute unabhängig voneinander in Rat und Kommission agieren, werden künftig im EAD zusammengeführt. So wandern beispielsweise die Generaldirektionen der EU-Kommission für Außenbeziehungen und für humanitäre Hilfe vollständig in den EAD. Die Strukturen der Sicherheitspolitik, die bisher beim Rat angesiedelt waren, sollen auch in den EAD integriert werden. Ebenso die EU-Auslandsvertretungen in mehr als 125 Staaten. Die will man überdies erweitern, da sie in den jeweiligen Ländern die Koordinierung zwischen den Botschaften der Mitgliedstaaten übernehmen sollen – eine Aufgabe, die heute abwechselnd von den nationalen Botschaften wahrgenommen wird. Das Ergebnis wird eine gigantische Behörde sein, die viel Geld kostet, aber nicht zwingend mehr als bisher. Es sind die Mitgliedstaaten, die den EAD aufblähen. Sie sehen in ihm ein ergänzendes Instrument, um ihre eigenen außenpolitischen Interessen durchzusetzen und ihre Diplomaten an den für sie entscheidenden Stellen zu platzieren. Dazu pochen sie auf mehr Personal – bis zu 3000 zusätzliche Posten sind im Gespräch.

Das Fehlen einer eigenständigen EU-Außenpolitik war über Jahre ein Kritikpunkt. Nun steht der EAD im Kreuzfeuer. Ist der Dienst aber nicht notwendig, um eine gemeinsame Politik in diesem Bereich umzusetzen?

Bei den europäischen Linken gibt es weit auseinandergehende Auffassungen darüber, ob es überhaupt eine eigene EU-Außenpolitik geben soll. Gemeinsam kritisieren wir, dass sich die Außenpolitik der Mitgliedstaaten, so wie die der EU, an den Wünschen der Wirtschaft orientiert, immer mehr dem Interesse an Öl und Gas untergeordnet wird. Wir kämpfen dagegen, dass diese Interessen auch mit Militär und Polizei durchgesetzt werden. Wir sind nicht damit einverstanden, dass die EU-Erweiterung und die Nachbarschaftspolitik zur Zementierung neoliberaler Wirtschaftsstrukturen in den Partnerstaaten genutzt werden.

Viele Linke in Europa lehnen darüber hinaus die europäische Außenpolitik wegen ihrer inhaltlichen Ausrichtung prinzipiell ab. Deshalb sind sie auch grundsätzlich gegen den EAD. Ich halte das für falsch. Kein Staat in Europa kann heute im Alleingang die internationalen Prozesse beeinflussen. Das geht nur gemeinsam. Der EAD ist ein Instrument dafür. Es kommt darauf an, ihn so zu gestalten, dass er sich nicht verselbstständigt. Er darf auch nicht so konzipiert werden, dass die Mitgliedstaaten den EAD untereinander nach Interessensphären aufteilen und die EU-Außenpolitik eine Summe der nationalen Partikularinteressen wird. EU-Außenpolitik muss die gemeinsamen Interessen der EU-Mitgliedstaaten widerspiegeln und verteidigen. Um das zu erreichen, bedarf es einer starken Rolle des Europäischen Parlaments. Um diese Fragen geht es bei den Auseinandersetzungen, die gegenwärtig in Brüssel stattfinden. Hier sollten wir uns nicht ins Abseits stellen. Aber natürlich ohne Illusionen! Eine Änderung der Grundausrichtung der Außenpolitik kann nur gelingen, wenn sich die politischen Kräfteverhältnisse ändern. Wären wir in den Parlamenten stärker, sähe Außenpolitik sicherlich anders aus.

Was kritisiert die Linke am vorliegenden Plan zu Struktur und Arbeitsweise des EAD?

Unsere Hauptkritik richtet sich dagegen, dass im EAD faktisch ein Außenministerium mit einem Verteidigungsministerium zusammengelegt wird. In demokratischen Systemen gibt es zu Recht eine strikte Trennung beider Ressorts. Dieses Grundproblem ist im Vertrag von Lissabon mit der Beschreibung der Aufgaben von Frau Ashton so angelegt. Man darf sich das natürlich nicht so vorstellen, dass irgendwann der General dem Botschafter sagt, was er zu tun oder zu lassen hat. Aber mit der Zusammenfassung beider Bereiche bekommen Militärs und Spionagefachleute Einfluss auf Außenpolitik, auf die Entwicklungspolitik, auf die humanitäre Hilfe und andere Bereiche. Das ist nicht akzeptabel. In dem Kontext kritisieren wir auch, dass in dem Bereich, der sich mit Krisenregionen beschäftigen soll, die Leitungsstrukturen mehrheitlich mit Militärexperten besetzt werden sollen. Krisenpräventionsmechanismen, zivile Konfliktbearbeitung, die bisher als eigenständige Strukturen im Rat arbeiteten, werden untergebuttert. Darin widerspiegelt sich sehr praktisch das vorherrschende Denken in militärischen Kategorien.

Auch die Entwicklungspolitik soll dem EAD eingegliedert werden.

Das beunruhigt uns sehr. Entwicklungspolitik ist vom Solidargedanken getragen, von der Einsicht in die Notwendigkeit, Hunger, Armut und Unterentwicklung zu überwinden. Außenpolitik ist Interessenpolitik. Wir befürchten, dass die Eingliederung der Entwicklungspolitik in den EAD zu einer Marginalisierung dieses immanent wichtigen Politikfeldes führen wird. Erst recht, wenn die Haushaltskonsolidierung oberste Prämisse der Politik der EU und ihrer Mitgliedstaaten wird.

Wie wird das Europäische Parlament an der Umsetzung der Pläne beteiligt?

Das Wort von der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU vermittelt immer den Eindruck, als würde die EU entscheiden. Die Leitlinien für die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik sind aber immer das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen. Daher hat das Europäische Parlament kein Mitspracherecht, es wird bestenfalls konsultiert. Und wenn möglich im Nachhinein. Wenn es nach den Regierungen der Mitgliedstaaten ginge, dann soll das auch so bleiben.

Das Europäische Parlament hat das Mitentscheidungsrecht beim Haushalt und beim Beamtenstatut für den EAD. Über diesen Hebel versuchen wir, an der Situation etwas zu ändern.

Ist – wenn der EAD arbeitet – eine parlamentarische Kontrolle überhaupt noch möglich?

Das Parlament soll die volle Haushaltskontrolle über den EAD erhalten. Das ist eine der guten Veränderungen, die der Lissabon-Vertrag mit sich gebracht hat. Die Polizei- und Militärmissionen betrifft das allerdings nicht oder nur teilweise, weil das keine EU-Politik ist, sondern Ergebnis der Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten. Darüber hinaus ringen wir gegenwärtig darum, dass wir größeren Einfluss auf die Konzipierung der Außenpolitik bekommen.

Wer wird das Sagen im EAD haben – die Europäische Kommission, der Ministerrat, die einzelnen Mitgliedstaaten?

Das kann ich noch nicht beantworten. Der Druck auf das Europäische Parlament wächst, noch während der spanischen Ratspräsidentschaft dem Vorschlag von Frau Ashton zuzustimmen. Das würde bedeuten dass die Mitgliedstaaten das Sagen haben. Noch geben die großen Fraktionen, deren Parteien die europäischen Regierungen stellen, diesem Druck nicht nach. Mal sehen, wie lange.

Woher sollen die Mittel für den EAD kommen, wo und wie sollen sie schwerpunktmäßig eingesetzt werden?

Bis hierhin gilt die Ansage, dass die Schaffung des EAD kostenneutral vollzogen werden soll. Die Idee war, dass die bisher zersplittert agierenden Strukturen und deren Gelder zusammengelegt werden. Allein, mir fehlt der Glaube. Stellen Sie mir die Frage doch im Herbst, wenn wir über den Haushalt 2011 entscheiden, noch einmal.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2010

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