Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Daumenschrauben der EU

Die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zur Defizitreduzierung führt schnurstracks in die nächste Krise

Von Fabio de Masi *

Die EU-Kommission plant die Verschärfung des »dummen Stabilitäts- und Wachstumspakts« (Romano Prodi, ehemaliger Präsident der EU-Kommission). Der Pakt sieht vor, daß kein EU-Mitgliedstaat mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an neuen Schulden aufnimmt. Die gesamte öffentliche Schuldenlast soll zudem 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übertreffen. Der Pakt war eigentlich tot. 20 von 27 Mitgliedstaaten verstoßen mittlerweile gegen die Defizitkriterien.

Nun feiert der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) auf Druck der Bundesregierung Auferstehung. Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn plant für »Defizitsünder« automatische Strafen, etwa in Form einer unverzinslichen Einlage von Mitgliedstaaten bei der Europäischen Union. Diese Einlage über mindestens 0,2 Prozent des jeweiligen BIP kann gepfändet werden. Strafen sollen zukünftig nur durch ein Veto der EU-Mitgliedstaaten abgewehrt werden, vermutlich durch eine qualifizierte Mehrheit. Damit wird der Einfluß der großen Länder gesichert, die durch ihre Bevölkerungszahl über ein höheres Stimmgewicht verfügen.

Bisher waren Geldbußen erst in der dritten Stufe eines langwierigen Verfahrens gegen Defizitsünder und durch Beschluß einer qualifizierten Mehrheit vorgesehen. In der Praxis kam es jedoch nie zu Sanktionen, weil Regierungen befürchteten, später einmal selbst zu den Sündern zu gehören. Es dürfte aber auch daran liegen, daß vor allem einflußreiche Staaten wie Frankreich und Deutschland gegen den Pakt verstießen. Zudem ist der Vertrag ökonomisch unbrauchbar: Denn eine Abweichung von den Defizitkriterien ist erst in einer Rezession (einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen) erlaubt. Eine vorausschauende Politik zur Stützung der Konjunktur, beispielsweise durch staatliche Programme, ist somit unmöglich. Ausgabensenkungen in der Krise können die Schuldenquote aber eher noch erhöhen. Im Griechenland wird im Zuge der Haushaltskürzungen mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um mehr als vier Prozent gerechnet. Dies führt zu sinkenden Steuereinnahmen und höheren Ausgaben für Arbeitslose. Die eigentliche Ursache steigender Staatsverschuldung wird geleugnet: Die öffentlichen Schulden in der EU steigen nicht wegen zu hoher Staatsausgaben, sondern wegen sinkender Steuereinnahmen und Wachstumsschwäche. Denn auch die Staatsquote, d.h. die öffentlichen Ausgaben im Verhältnis zum BIP, war in Griechenland bis zur Krise rückläufig und sogar noch unter dem Niveau Deutschlands. Die effektiven Steuern auf Gewinne und Vermögen entsprachen aber mit 19 Prozent nur etwas mehr als der Hälfte des Durchschnitts der Euro-Zone. Eine Koordination oder gar Anpassung der Abgaben für Unternehmen und reiche Privathaushalte zur Beendigung des Steuerdumpings ist in den europäischen Verträgen ausdrücklich nicht vorgesehen.

Ein schärfer gefaßter Stabilitätspakt hätte die Euro-Krise nicht verhindert, sondern verschärft, zumal sich die Attacken von Spekulanten auch gegen Spanien und Irland richteten: Zwei Länder die bis zur Krise kein einziges Mal gegen den SWP verstoßen und drei Jahre in Folge Schulden getilgt haben, während Deutschland unter dem »eisernen Sparminister« Hans Eichel (SPD) von 2002 bis 2005 gleich vier mal in Folge gegen den SWP verstieß. Spaniens öffentlicher Schuldenstand sank bis zur Krise 2007 auf nur 36 Prozent des BIP, Irlands Schuldenstand gar auf 25 Prozent des BIP. Denn die Euro-Krise wurde nicht durch steigende Staatsverschuldung, sondern durch eine hohe Schuldenlast der gesamten Volkswirtschaft, einschließlich der privaten Verschuldung sowie des Unternehmenssektors, ausgelöst. In Spanien war die private Verschuldung hoch, in Irland haben sich insbesondere Banken verschuldet.

Die EU-Staaten sollen laut EU-Kommission jetzt über eine Excessive Imbalances Procedure (EIP) zur Beseitigung der ökonomischen Ungleichgewichte im Außenhandel gezwungen werden. Dies könnte theoretisch auch Länder wie Deutschland, die Niederlande oder Finnland treffen, die durch Billiglöhne bzw. schwaches Wachstum hohe Export­überschüsse auf Kosten des Auslands erzielen. Selbst der konservative Premierminister von Luxemburg und Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Junker, kritisierte Deutschland dafür, daß es »ganze Teile der Bevölkerung in den Niedriglohnsektor gedrückt« habe. Alles deutet aber auf eine Einbahnstraße hin: Jene Länder, die Deutschlands Exporte abkaufen und mit ihren privaten Schulden Deutschlands Aufschwung finanzieren, sollen ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Im Klartext: Löhne senken, öffentliche Investitionen verringern und Sozialabbau fortsetzen. Die EU verkauft das unter dem Etikett Wirtschaftsregierung. In Wahrheit ist es ein Pakt gegen Europas Bevölkerung und für die nächste große Wirtschaftskrise.

* Fabio De Masi ist Mitarbeiter des Chefvolkswirts der Linksfraktion im Bundestag, Michael Schlecht.

Aus: junge Welt, 2. Okt. 2010



Weitere Beiträge zu Europa

Zurück zur Homepage