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Die tödlichen Grenzen der EU

Besprechung des Buches von Elias Bierdel: "Ende einer Rettungsfahrt - Das Flüchtlingsdrama der Cap Anamur"

Von Sabine Schiffer

Während subventioniertes europäisches Gemüse afrikanische Märkte zerstört und regionale Konflikte geschürt werden, um weiterhin Rohstoffe verbilligt ausbeuten zu können, sehen sich vor allem junge afrikanische Männer gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um stellvertretend für eine große Familie in Europa ihr Glück zu versuchen und von den Töpfen von Wohlstand und Gleichberechtigung etwas abzubekommen. Wenn sie nicht schon jenseits des Mittelmeeres interniert und rückgeführt bzw. in der Wüste ausgesetzt werden, sterben sie sehr oft durch Erschöpfung oder Ertrinken vor den Küsten Europas. Verstärkt wird das Sterben durch die „Abwehr“-Flotte der EU, die sich Frontex nennt und nicht aus humanitären Gründen im Mittelmeer kreuzt.

Elias Bierdel, Autor von „Ende einer Rettungsfahrt“ zeigte Ende Juni Bilder von diesen Kriegsschiffen und ertrunkenen Afrikanern, die anonym auf den Inseln des Mittelmeeres ihre letzte Ruhestätte finden, bei einer Veranstaltung in der Universität in Erlangen. Zu der Themenwoche mit dem Titel „Die Grenzen des Westens“ hatte die Hochschulgruppe FAUNA eingeladen. Mit einer Podiumsdiskussion endete die Veranstaltungsreihe, bei der sich neben dem ehemaligen Cap Anamur-Vertreter Bierdel unter anderem auch Heiner Bielefeldt als neuer Lehrstuhlinhaber für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik einbringen konnte. Bielefeldt stellte in Frage, dass Menschenrechte „teilbar“ sein könnten – in eine europäische und eine nichteuropäische Ausgabe.

Das Fazit des Abends ist so einfach wie erschreckend: Die EU verstößt mit ihrer Politik der Abschottung gegen die UNO Menschenrechts-Charta sowie die Genfer Konvention. Kriminell wird es etwa, wenn die Minenfelder an der griechisch-türkischen Grenze nach Übertrittsversuchen mit tödlichem Ausgang noch verstärkt werden. Kriminell wird es, wenn ehemalige Feinde darum zum Freund mutieren, weil sie bereit sind, die „Migrantenströme“ noch auf dem afrikanischen Kontinent einzudämmen – wie etwa Libyens Muammar al Ghaddafi. Kriminell ist auch der Schießbefehl an den Grenzzäunen der spanischen Enklaven Mellilla und Ceuta auf afrikanischem Boden, die Bierdel an seine Kindheit im Schatten der Berliner Mauer erinnern.

Diese sei aber gefallen, macht er Hoffnung. Sein ganzes Wirken hat er dem Kampf gegen Rassismus verschrieben, wie es auf seiner Website mit dem bewusst vieldeutigen Titel borderline-europe zum Ausdruck kommt. Denn einen tiefsitzenden Rassismus hat er als Grundlage dessen ausgemacht, dass unsere Regierung und Wirtschaft die sogrnannte Dritte Welt seit nunmehr gut 500 Jahren gnadenlos ausbeuten lässt. Die Wahrnehmung dafür sei aber extrem unterentwickelt und insofern freue er sich, dass sich die Studierenden dieser Thematik angenommen hätten. Es gehe darum, das Informationsdefizit bei der Bevölkerung des sogenannten Westens zu schließen und eine Wahrnehmung für das menschenverachtende Gebaren der eigenen Vertreter wie des eigenen Lebensstils zu schaffen. Er hofft, dass dies über die Ablehnung hinaus zur aktiven Bekämpfung der Verstöße gegen Menschen- und Völkerrecht führt. Mit einer Sonderausgabe der Zeitschrift borderline-europe unter dem Titel „Das Sterben an den EU-Außengrenzen“ versucht er gegen das Unwissen und das kollektive Schweigen derer anzugehen, die mehr Möglichkeiten zum Handeln haben als die Verlierer der Globalisierung und damit mehr Verantwortung. Ein klares Plädoyer für „Menschenrechte ohne Grenzen“ und ohne ein Zweiklassensystem, das dem Grundgedanken der Menschenrechte Hohn spricht.

Wenn nun noch die Medien mitspielen würden, könnte es gelingen, der Problematik die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen und die Bewusstseinsprozesse zu ermöglichen, die bisher offensichtlich ausblieben! (PK)

Elias Bierdel: „Ende einer Rettungsfahrt - Das Flüchtlingsdrama der Cap Anamur“ mit einem Vorwort von Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und über 100 bislang unveröffentlichten Fotos und Dokumenten, Verlag Ralf Liebe, 232 Seiten, EUR 19,80, ISBN-13: 978-3935221658


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