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Marodeure im Nadelstreif

Fiskalpakt, Schutzschirme, Notkredite und Bürgerhaftung: Die sogenannte Euro-Rettungspolitik ist illegal und ökonomisch verheerend

Von Rainer Rupp *

Der Euro muß erhalten bleiben – koste es, was es wolle. Seit fast 30 Monaten wird dieses Glaubensbekenntnis von Finanzpolitikern alltäglich beschworen. Nach Kräften werden sie dabei von ihren medialen Hofschranzen unterstützt. All das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die in atemloser Folge und in immer größerem Umfang von den Herrschenden durchgesetzten »Rettungsaktionen« die Krise nur weiter verschärften.

Die Unruhe wächst überall in der EU. Selbst auf der scheinbaren Insel der Seligen, in der BRD, gibt es zunehmend Protest gegen diesen Kurs. Vor allem in Kreisen der akademisch gebildeten Mittelschicht und jener Teile des Bürgertums, deren Interessen durch die »Rettungsaktionen« verletzt werden, fomiert sich erheblicher Widerstand. Er richtet sich gegen eine Politik, die inzwischen nicht nur die rechtlichen Grundlagen verlassen hat, sondern der auch jegliche politische und moralische Legitimität abgeht.

Illegal ist sie, weil Maßnahmen wie die »Rettungspakete« laut euro­päischem Vertragswerk ebenso verboten sind wie die längst praktizierte inflationäre Finanzierung der Krisenländer über die Banknotenpresse der Europäischen Zentralbank (EZB). Deren Chef, Mario Draghi, hat am Donnerstag bereits vollmundig angekündigt, dieses Vorgehen energisch fortzusetzen.

Für die auflaufenden Verluste der Draghi-Bank haften die Bürger der Euro-Zone gemeinschaftlich. Da die Lohnabhängigen etwa 80 Prozent der Steuern zahlen, kann getrost behauptet werden, daß diese Politik auf dem Rücken der arbeitenden Menschen gemacht wird.

Es ist inzwischen klargeworden, daß die Versprechen der selbsternannten Retter – nämlich die Problemländer mit Hilfe von rigorosen Haushaltskürzungen und sozialen Grausamkeiten wieder auf die Beine zu stellen – weder mittel- noch langfristig einzuhalten sind. Die »Medizin«, die die Troika aus EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IMF) den Südeuropäern aufgezwungen hat, verschlimmerte deren Lage sogar noch. Trotz einschneidender Kürzungen der Staatsausgaben wurden weder die großen Haushaltsdefizite nennenswert zurückgefahren, noch wurde die Schuldenlast gesenkt. Im Gegenteil.

Alles, was die Troika bewirkt hat, war, die Krisenländer in den wirtschaftlichen Abgrund zu stoßen, während die Schulden weiter wuchsen, wenn auch etwas langsamer. Diese Last aber, nämlich die Höhe der Verbindlichkeiten im Verhältnis zur Gesamtwirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt; BIP) ist sogar gestiegen, teils sogar sehr stark. Dadurch jedoch wird die Fähigkeit der Länder, ihre Schulden zu bedienen, nur noch geringer. Erst seit kurzem wird die Tatsache eingeräumt, daß die neue Regierung in Athen – anders als noch vor wenigen Monaten mit Überzeugung wiederholt – ihr für das Jahr 2020 gestecktes Ziel der Reduzierung ihrer Staatsschulden auf 120 Prozent des BIP nicht erreichen wird.

Ein weiteres Ergebnis der Troika-Politik in Griechenland ist die abrupte Zerstörung gewachsener Wirtschaftsstrukturen. Und sozialpolitisch wurde verbrannte Erde hinterlassen. Letzteres hat immer heftigere Unruhen provoziert, die die staatlichen Fundamente erschüttern. Niemand wird behaupten wollen, daß diese Entwicklungen von Regierungsexperten in Berlin oder Brüssel nicht vorhersehbar waren. Es gab genügend Warnungen von ernstzunehmenden Kritikern. Um so skrupelloser ist es, diesen Kurs trotz des offensichtlichen Versagens fortzusetzen.

Es ist auch ein (inzwischen nur noch notdürftig) verdeckter Krieg gegen die sozialstaatlichen Strukturen in den Krisenländern und vor allem gegen noch bestehende demokratische Strukturen. Und es geht um Enteignung und die Umverteilung von Produktionsmitteln. Dazu gehört das Verramschen öffentlichen Eigentums an private Investoren ebenso wie der Kahlschlag bei Renten und im gesamten Sozialbereich. Deutsche und internationale Konzerne und »Investoren« vom Heuschreckenformat sind gern bereit, ihr derzeit praktisch wertloses Geld in griechische Häfen oder spanische Versicherungen zu stecken. Das ist der wahre Grund, weshalb es weder in Brüssel noch in Berlin eine Abkehr von der »Sparpolitik« gibt.

Die Verlierer sind nicht nur die Lohnabhängigen in Griechenland oder Spanien. Auch ihre Kollegen in Deutschland, Finnland oder den Niederlanden sind betroffen. Profitiert haben fast ausschließlich die großen Finanzkonzerne, unter deren Diktat die Regierungen der EU Politik machen. Erstere marodieren weiter mit Eifer in der Wirtschaft. Sie betreiben ihre globalen Losbuden, manipulieren Daten und Zinssätze, sahnen Milliarden ab, die es faktisch gar nicht gibt – und können sich dennoch nicht aus dem Würgegriff ihrer eigenen Überschuldung und ökonomischen Perspektivlosigkeit befreien.

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. Juli 2012


Draghi verlängert Gnadenfrist

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Von Lucas Zeise **


Der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, kennt seine Spekulanten. Er hat selber bei der Investmentbank Goldman Sachs gedient, dort gut verdient und weiß, wie man den Märkten Zucker gibt. Und nun, da es ihnen so furchtbar schlecht geht, kriegen sie ihren Zucker. Am Donnerstag nachmittag sprach »Super-Mario« auf einer Investorenkonferenz in London diese Sätze in die Mikrofone: »Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten.« Und danach: »Und glauben Sie mir, das wird reichen.« Für ganz Begriffsstutzige fügte er hinzu, daß dann, wenn hohe Risikoaufschläge für Staatsanleihen die »Funktion der geldpolitischen Transmissionskanäle stören, fällt das in unser Mandat.«

Die EZB werde endlich wieder Staatsanleihen kaufen, erklang da der Jubelchor der Banker, Makler und Broker. Der Euro stieg um zwei Cent, der DAX sprang um fast drei Prozent hoch, und die Renditen spanischer und italienischer Staatsanleihen sanken ein wenig. Darauf aber kommt es an. Es ist ziemlich egal, ob die Preise für Aktien fünf oder zehn Prozent niedriger oder höher sind. Unbedeutend ist auch, ob für den Euro 1,22 oder 1,30 Dollar am Devisenmarkt bezahlt werden. Keineswegs unwichtig ist aber, ob die Zinsen in den Südländern des Euro so hoch bleiben wie derzeit. In dieser Beziehung war die Wirkung der Draghi-Worte ein wenig enttäuschend. Die Rendite zehnjähriger spanischer Staatsanleihen sank zwar, aber nur knapp.

6,9 Prozent sind immer noch viel zuviel. Es ist ja nicht nur der spanische Staat, der diese hohen Zinsen zahlen muß. Ebenso betroffen sind auch die gemeinen Unternehmen und Verbraucher. Für ein Land, das in einer Rezession steckt, ist das eine Katastrophe. Es verschlimmert die Lage. Ähnliches gilt für Italien. Spanien und Italien können nicht mehr lange so weitermachen. Die Kapitalflucht beschleunigt sich.

Angesichts dessen sagt Draghi nur, was selbstverständlich sein sollte: Der Auftrag der Notenbank ist es, für gleiche Finanzverhältnisse überall in Euro-Land zu sorgen. Das kann sie im heutigen System nur, wenn sie in den Finanzmarkt eingreift, Staatsanleihen kauft und damit die Zinsen in den Problemländern senkt. Das der EZB auferlegte Verbot, die Staaten zu finanzieren, widerspricht diesem Auftrag, und dieser Widerspruch ist nicht aufzulösen. Er ist eine direkte Folge der fehlerhaften Konstruktion dieser Euro-Währungsunion und markiert eine der Sollbruchstellen des Euro-Konstruktes.

In Deutschland finden Regierung, Bundesbank und veröffentlichte Meinung, daß das Staatsfinanzierungsverbot Vorrang haben sollte. Verständlich, man profitiert von der Not der anderen. In Italien, Spanien und Frankreich hält man, um überleben zu können, gleiche und niedrige Zinsen für wichtiger. Draghi hat sich nun eindeutig auf die zweite Seite geschlagen. Zur Rettung des Euro wird das allerdings nicht reichen. Es handelt sich nur um eine verlängerte Gnadenfrist.

** Der Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Frankfurt am Main.

Aus: junge Welt, Samstag, 28. Juli 2012



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