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NGOs forden: Stoppt die EPA - Verhandlungen aussetzen!

Bittere Erfahrungen mit dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Kommission und den AKP-Staaten

Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Artikel mit Hintergrundinformationen zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Kommission und den AKP-Staaten. Am 27. September fanden in verschiedenen Ländern - u.a. auch in Berlin - Aktionen und Demonstrationen globalisierungskritischer und entwicklungspolitischer NGOs statt.



"Abkommen zerstören unsere Wirtschaft"

Weltweit finden heute Aktionen gegen die EPA statt / Heute Demonstration

Von Haidy Damm *

Stoppt die EPA! Zum fünften Jahrestag des Beginns der Verhandlungen über die Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Kommission und den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) rufen weltweit Organisationen und soziale Bewegungen auf, die Verhandlungen auszusetzen.

Das Bündnis ist breit: Mehr als 100 Organisationen aus 38 Ländern gehen heute auf die Straße. Geplant sind unter anderem Demonstrationen in Kenia, Senegal, Uganda, Belgien, Dänemark, Frankreich Portugal und Deutschland. »Diese Freihandelsabkommen zerstören unsere Wirtschaft«, war die einhellige Meinung der Konferenzteilnehmer, die sich Anfang September in Ghana auf Einladung des »Africa Trade Network« (ATM) trafen. Das Netzwerk ist ein Zusammenschluss der wichtigsten handelspolitischen Nichtregierungsorganisationen sowie einer Vielzahl von Basisorganisationen.

Sie arbeiten gegen die Zeit, denn schon zum Ende dieses Jahres sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. »Die afrikanischen Regierungen haben nichts zu verlieren, wenn sie die Verträge nicht unterzeichnen! Die Europäische Kommission muss aufhören, auf unsere Regierungen Druck auszuüben«, so ATM. Es seien von Seiten der EU sogar konkrete Bestechungsversuche gemacht worden, indem im Falle von Vertragsunterzeichnung höhere Entwicklungshilfe angeboten wurde.

Auch in Europa fordern zahlreiche Organisationen von ihren jeweiligen Regierungen, die Verhandlungen auszusetzen und der EU-Kommission das Mandat zu entziehen. In Berlin ruft unter anderem Attac zu Aktionen auf. Das globalisierungskritische Netzwerk ist Mitglied der internationalen »StopEPA-Kampagne«, eines Netzwerks von über 200 Gruppen aus Gewerkschaften, kirchlichen und entwicklungspolitischen Gruppen sowie Nichtregierungsorganisationen (NRO). »Die Abkommen hätten verheerende Auswirkungen für die AKP-Staaten. Sie bedeuten weitere soziale Ungleichheit und einen dramatischen Abbau demokratischer Spielräume«, erklärt Frauke Banse von der Attac-Projektgruppe.

Mit den Abkommen wolle die EU die AKP-Länder nicht nur zwingen, ihre Märkte für Produkte aus den EU-Staaten zu öffnen und Importzölle zu senken. Sie versuche auch, Investitionen, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen und Dienstleistungen weiter zu liberalisieren sowie geistige Eigentumsrechte auszudehnen. Das gefährdet die Ernährungssicherheit in den AKP-Staaten und zieht den Zusammenbruch lokaler und nationaler Produktionszweige nach sich.

»Es gibt realistische und armutsorientierte Alternativen zu EPA, allein der politische Wille fehlt, um diese im EU-Ministerrat umzusetzen«, sagt Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst. Es sei von Seiten der EU entwicklungspolitisch kontraproduktiv, angesichts der Fülle ungelöster Fragen auf einem Abschluss der EPA-Verhandlungen bis Jahresende zu beharren.

Während in den afrikanischen Staaten der Protest hauptsächlich von sozialen Bewegungen getragen wird, setzen sich in Europa in erster Linie nichtstaatliche Organisationen und kirchliche Gruppen für ein Ende der Verhandlungen ein. Auf dem Weltsozialforum in Nairobi zu Beginn dieses Jahres sah man an jeder Ecke Plakate und Aufrufe gegen die Freihandelsabkommen. In der europäischen Kampagne StopEPA setzte man eher auf den Dialog mit den Institutionen. Auch in Deutschland ist es in den fünf Jahren nicht gelungen, den Widerstand auf eine breite Basis zu stellen.


Zahlen und Fakten

Von Lomé über Cotonou zu EPA

Die Europäische Union schreibt sich faire Handelsbeziehungen seit langem auf die Fahnen. Zwischen 1975 und 2000 wurden die nach dem Verhandlungsort in Togos Hauptstadt benannten Lomé-Abkommen geschlossen, insgesamt vier an der Zahl. Vertragspartner waren die AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik). Der Begriff bezeichnet eine Gruppe von zurzeit 78 Staaten dieser Regionen – zumeist frühere Kolonien Frankreichs und Großbritanniens. Das AKP-Mitglied Kuba war und ist aus politischen Gründen von den Abkommen ausgeschlossen.

Lomé war alles andere als perfekt, doch immerhin genossen die AKP-Länder dadurch zollfreien Marktzugang für einen Großteil ihrer Produkte, ohne dass sie selbst auf Zollschutz verzichten mussten. Solch ein asymmetrischer Marktzugang ist ein fundamentaler Pfeiler für nachholende Entwicklung. Ein Problem von Lomé war, dass wichtige Exportprodukte davon ausgenommen waren.

2000 wurde in der Hauptstadt Benins das gleichnamige Cotonou-Abkommen als Lomé-Nachfolger geschlossen. Die Ziele waren ehrgeizig: »Die Bekämpfung der Armut durch Förderung nachhaltiger Entwicklung und die schrittweise Integration der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft«. Doch schon mit Cotonou wurden trotz Übergangsregelungen eindeutig die Weichen auf Freihandel zwischen ungleichen Partnern gestellt, womit die Unterentwicklung fortgeschrieben wurde. Dass sich die EU-Politiker bei den Verhandlungen immer wieder hinter den Bestimmungen der Welthandelsorganisation verschanzten, zeigte, wohin die Reise geht:
Zwangsliberalisierung im Süden, Protektionismus mit neuen Etiketten im Norden. »Cotonou« ist das Rahmenabkommen, das die künftige »Zusammenarbeit« von EU und AKP-Staaten auf wirtschaftlicher und handelspolitischer Ebene regelt. Die Umsetzung obliegt den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), die derzeit verhandelt werden.
ML




Südafrikas bittere Erfahrungen

Mehr Schaden als Nutzen durch EU-Abkommen

Von Haidy Damm *


Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südafrika gilt als Modell für die geplanten Abkommen mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik).

Vier Jahre lang hatte Südafrika mit der Europäischen Union (EU) über ein Freihandelsabkommen verhandelt. 1999 war es unterschriftsreif. Bis 2012 soll, so das Abkommen über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit (TDCA), beinahe der gesamte Handel zwischen den beiden Vertragspartnern liberalisiert werden. Während die EU ihre Türen für mehr als 95 Prozent der Importe öffnet, hat sich Südafrika verpflichtet, rund 86 Prozent seines Handels zu liberalisieren. Dieses Abkommen gilt auch als ein Modell für die gegenwärtig laufenden Verhandlungen zum Abschluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit den AKP-Staaten.

Wirtschaftswissenschaftler kritisieren daher in der Auseinandersetzung um die EPA, dass die Chancen und Risiken der bestehenden Freihandelsabkommen – wie im Fall Südafrika – in ihrer Wirkungsweise ungenügend analysiert wurden. »Wenn sie die Erfahrungen Südafrikas mit seinem TDCA-Freihandelsvertrag in den letzten sechs Jahren betrachten und das vergleichen mit dem, was sie als AKP-Gruppe mit dem Cotonou-Abkommen (dem EPA-Vorläufer, d. Red.) im selben Zeitraum erreichen konnten, wird deutlich: Das aktuelle Handelsabkommen ist eindeutig günstiger als das, was vom Freihandel zu erwarten ist«, schreibt Gottfried Wellmer in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift »afrika-süd«. »Nach den Angaben der Europäischen Kommission steigerten sich zwischen 2000 bis 2005 die EU-Importe aus den AKP-Staaten um durchschnittlich 4,2 Prozent im Jahr, während die Freihandelsimporte aus Südafrika sich jährlich nur um 2,6 Prozent steigerten.« In der verarbeitenden Industrie sind die Zahlen noch ernüchternder: Hier steigerten die AKP-Staaten ihre EU-Exporte jährlich um 5,5 Prozent, Südafrika jedoch nur um 0,7 Prozent. Südafrika bleibt also wie andere afrikanische Staaten in erster Linie Rohstofflieferant. Der erhoffte Wirtschaftsmotor »Liberalisierung« erwies sich bereits nach fünf Jahren als Trugschluss. In der Folge bauen Unternehmen massiv Arbeitsplätze ab.

Die EU drängte in Südafrika auch auf zunehmende Privatisierung im Dienstleistungssektor. In Johannesburg wurden die Betroffenen längst selbst aktiv. So wird der Versuch der Wasserkonzerne, die von Siemens hergestellten Pre-Paid-Zähler durchzusetzen, wegen massiver Proteste immer wieder unterbrochen. Aktivisten des Anti-Privatisierungsforums kämpfen in Südafrika besonders gegen die Liberalisierung der Grundversorgung: Strom, Wasser und Telekommunikation sind privatisiert und versorgen längst nicht alle Teile der Bevölkerung. Die Erfahrungen in Südafrika zeigen, was EPA-Kritiker befürchten: die Freihandelsabkommen schaffen weitere soziale Ungleichheit, statt sie abzubauen.


"Mandelson bekommt mehr Gegenwind"

Handelsexperte Helmuth Markov (Europäisches Parlament, Die LINKE) fordert Entwicklungs- statt reines Handelsabkommen. Interview *

Frage: Welche Ziele verfolgt die EU mit den geplanten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA)?

Markov: Mit den EPA in ihrer jetzigen Form soll nach Aussage von Handelskommissar Peter Mandelson ein besserer Marktzugang für global operierende europäische Unternehmen ermöglicht werden. Zölle und nicht tarifäre Beschränkungen, wie Regeln zum Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge, sollen in den AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik) abgebaut werden. Profitieren davon werden nur die europäischen Großunternehmen. Entwicklungspolitische Komponenten für die AKP-Staaten hingegen fehlen völlig.

Mit welchen Folgen?

Die AKP-Staaten haben nichts von der geplanten gegenseitigen Zollfreiheit. Sie haben zumeist gar keine Exportgüter für den europäischen Markt oder sie sind gegen subventionierte EU-Produkte nicht wettbewerbsfähig. Zölle sind jedoch für viele der Staaten die Haupteinnahmequelle, ohne die sie nicht in der Lage sind, ihre öffentliche Daseinsvorsorge zu finanzieren. Das Gesundheits- und Bildungssystem kommt so unter die Räder und die Millenniumsentwicklungsziele zur Armutsbekämpfung sind so nicht zu realisieren. Was fordern Sie? Die Handelsabkommen müssen auf die individuellen Bedürfnisse der Länder abgestimmt werden. In jedem Land sind die Entwicklungsbedingungen anders. Die Staaten sollten selbst entscheiden können, wie schnell sie ihre Märkte öffnen wollen. Statt reiner Wirtschafts- bedarf es Entwicklungsabkommen. Ich bin für Handel – aber für fairen Handel.

Sind denn die Verhandlungen fair?

Nein. Die EU-Kommission nimmt oft keine Rücksicht auf bestehende Handelsabkommen und - strukturen und versucht zunehmend, bilaterale Abkommen zu schließen. Wir brauchen aber multilaterale Verträge, bei denen die Schwächeren in eine starke Gemeinschaft eingebunden sind. Zur Zeit fehlt es bei den Verhandlungen auch an Respekt gegenüber den AKP-Staaten. Die EU versucht, ihnen im neokolonialen Stil Bedingungen aufzuzwingen. Lenin hat gesagt, der Märkte wegen werden Kriege geführt. Heute werden Handelsverträge abgeschlossen.

Wer ist für diesen Kurs verantwortlich?

Handelskommissar Peter Mandelson. Letztendlich hat er aber sein Verhandlungsmandat von den EU-Mitgliedstaaten erhalten. Diese sind für den Kurs verantwortlich und wohl auch voll zufrieden mit den Verhandlungen, die ein Spiegelbild des neoliberalen Zeitgeistes in den EU-Ländern sind.

Wie können sich die AKP-Staaten wehren?

Indem sie sich zusammenschließen und sich weigern, die Verträge abzuschließen – was sie auch tun. Boliviens Präsident Evo Morales hat für die Andenstaaten zur Bedingung gemacht, dass die Abkommen keine Reziprozität (symmetrische Liberalisierung) und keine Einmischung in die öffentliche Daseinsvorsorge enthalten dürfen.

Was geschieht, wenn die AKP-Staaten die Zustimmung weiter verweigern?

Erzielt man bis Jahresende keine Einigung, fallen für viele Länder Vergünstigungen weg und die Zölle würden steigen. Ich glaube aber nicht, dass die EU es so weit kommen lässt, schließlich heißt das Ziel ja Zollabbau. Die Lösung könnten Rahmenverträge sein, in denen eine Einigung zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart wird. Somit könnte eine Verlängerung der Verhandlungen erreicht werden.

Mehr Zeit ist gut. Aber müssten sich nicht auch die Verhandlungsziele ändern?

Natürlich, aber das ist schwierig. Der Handelsausschuss kann den eingeschlagenen Weg der Europäischen Kommission zwar kritisieren, hat aber nur wenig legislativen Einfluss. Zumindest versucht er nun aber, verstärkt seinen politischen Einfluss auszuschöpfen. Mandelson bekommt immer mehr Gegenwind

* Aus: Neues Deutschland 27. September 2007


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