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Guten Willen gezeigt

Wenig konkrete Beschlüsse bei Sondergipfel zur Armutsbekämpfung. Bundeskanzlerin Merkel wirbt für einen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat

Von Philipp Schläger, New York *

Den Kampf gegen Armut, Hunger und Krankheiten hatten sie sich auf die Fahnen geschrieben: Bis 2015 sollten die sogenannten »Millennium Development Goals« Wirklichkeit werden. Doch nach der aktuellen Zwischenbilanz in New York steht fest, daß die Entwicklungsziele in den restlichen fünf Jahren nicht mehr erreicht werden können. Mehr als hundert Staats- und Regierungschefs debattierten die Fortschritte auf dem dreitägigen UN-Sondergipfel, doch trotz positiver Entwicklungen bleibt die Bilanz ernüchternd. Selbst das Abschlußdokument spricht von einer »mixed story«.

Nach den im Jahr 2000 beschlossenen acht »Millenniumszielen« sollten die Armut und der Hunger auf der ganzen Welt im Vergleich zu 1990 halbiert werden, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel und die Müttersterblichkeit um drei Viertel gesenkt sowie der Grundschulbesuch für alle Kinder ermöglicht werden. Auch der Zugang zu sauberem Wasser, eine nachhaltige Umweltpolitik, der Kampf gegen Geschlechterdiskriminierung und Krankheiten wie Malaria und AIDS sind Teil des Entwicklungsprogramms.

Doch zehn Jahre später leben nach Angaben der Vereinten Nationen immer noch mehr als eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag. 1990 waren es 1,25 Milliarden. Allein die Wirtschaftskrise wird in diesem Jahr rund 64 Millionen Menschen mehr in extreme Armut stürzen. Aufgrund des Bevölkerungswachstums sank der Anteil der Armen in Entwicklungsländern dennoch von 1990 bis 2005 von 46 auf 27 Prozent. Die Zahl der Hungernden wuchs dagegen um 13 Millionen auf 830 Millionen Menschen, so die UN. Dramatischer noch sieht es bei der Mütter- und Kindersterblichkeit aus. Jedes Jahr sterben knapp neun Millionen Kinder weltweit, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreichen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind nur zehn von 67 Ländern auf dem Weg, die Kindersterblichkeitsrate entsprechend den Vorgaben der »Millenniumsziele« um zwei Drittel zu senken. Auch die Müttersterblichkeit bleibt hoch. Jedes Jahr sterben rund 350000 Frauen wegen Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt.

Bundeskanzlerin Merkel sprach sich in ihrer Rede für eine stärkere Kontrolle der Empfängerländer aus. Entwicklungshilfe müsse von Resultaten abhängig gemacht werden. Deutschland habe »weiterhin das Ziel«, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe zu verwenden.

Dazu hatten sich die reichen Länder bereits 1970 verpflichtet, sind jedoch bis heute weit davon entfernt. Sie zahlen im Schnitt gerade einmal 0,31 Prozent. In Deutschland ging der Anteil der Entwicklungshilfe in den vergangenen Jahren sogar zurück. Waren es 2008 noch 0,38 Prozent, sank der Anteil nur ein Jahr später auf 0,35 Prozent. Um die von Merkel versprochenen 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen, müßte der Etat des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit um zwei Milliarden Euro wachsen. Bis 2014 ist jedoch eine Senkung des Etats um 380 Millionen Euro vorgesehen.

Neben ihrer rund zehnminütigen Rede zur Entwicklungspolitik nutzte Merkel ihre Zeit in New York, um in bilateralen Gesprächen mit Ländern wie Vietnam und Bhutan vor allem für Unterstützung für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu werben. Um einen der zwei frei werdenden Positionen der westlichen Staaten bewerben sich neben Deutschland auch Kanada und Portugal.

In seiner Rede am letzten Tag des Gipfels kündigte Barack Obama eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik der Vereinigten Staaten an. Der Ansatz müsse »großherzig«, aber zugleich »nüchtern« sein, sagte der US-Präsident. Die USA würden ihre Entwicklungshilfe auf Länder konzentrieren, die »Demokratie, eine verantwortungsbewußte Regierungsführung und den freien Handel« förderten. Dabei stehe nunmehr das Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe« auf der Grundlage wirtschaftlichen Wachstums im Vordergrund.

Nichtregierungsorganisationen kritisierten das Abschlußdokument, das schon vor dem Gipfel fertiggestellt wurde. Die Regierungen hätten zwar eingestanden, daß mehr getan werden müßte, um die vereinbarten Ziele bis zum Jahr 2015 zu verwirklichen, sagte Danuta Sacher, Geschäftsführerin von terre des hommes. »Sie haben daraus aber nicht die notwendigen politischen Konsequenzen gezogen.«

Die bolivarische Allianz ALBA kritisierten das kapitalistische Wirtschaftssystem, das in den vergangenen Jahren durch die Krise »mehr Armut, mehr Ungleichheit und mehr Ungerechtigkeit« erzeugt habe, so der Vertreter Venezuelas. Die extreme Armut könne niemals besiegt werden, wenn nicht die ungerechte Reichtumsverteilung auf der Erde überwunden werde, erklärte Boliviens Präsident Evo Morales. Für die G77 und China forderte Jemen die Geberländer zur Einhaltung ihrer Zusagen auf. Um die Entwicklungsziele zu erreichen, seien zudem mehr Mittel nötig.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verkündete zum Abschluß des Gipfels am Mittwoch Investitionen in Höhe von 40 Milliarden Dollar, um den Kampf gegen die Mütter- und Kindersterblichkeit zu beschleunigen. Woher die Summe kommen soll, ist bislang nicht klar. Neben Mitgliedsstaaten würden auch private Geldgeber wie Unternehmen und Stiftungen dazu beitragen. Neue Zusagen von deutscher Seite gab es nicht.

* Aus: junge Welt, 24. September 2010


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