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Jahresbericht 2010: Trotz Wirtschaftskrise können die Millenniumsentwicklungsziele noch erreicht werden

UNO: Kampf gegen Hunger ist von der Krise am stärksten betroffen

New York/Vereinte Nationen, 23. Juni 2010 – Die Wirtschaftskrise gefährdet nicht das Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) bis zum Jahr 2015, obwohl sie weltweit viele Arbeitsplätze und Einkommen vernichtet hat. Zu diesem Ergebnis kommen die Vereinten Nationen in ihrem heute vorgestellten Jahresbericht zu den MDGs. Ziel ist es, die Zahl der Armen weltweit bis 2015 zu halbieren. In dem Bericht werden einige Erfolge präsentiert, aber auch Gründe aufgezeigt, weshalb keine ausreichenden Fortschritte erzielt werden.

Der Bericht, der heute von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon vorgestellt wird, dient der Vorbereitung auf den UNO-Sondergipfel im September. Er erscheint nur wenige Tage vor dem G-8 Gipfel in Kanada, bei dem die Vertreter der großen Wirtschaftsnationen über ihre Hilfszusagen diskutieren werden.

„Der Bericht zeigt, dass die Ziele erreichbar sind, wenn nationale Strategien zur Entwicklungszusammenarbeit durch internationale Partner unterstützt werden“, schreibt UNO-Generalsekretär Ban in seinem Vorwort. „Es ist aber auch klar, dass wir das Leben der Armen nur inakzeptabel langsam verbessert haben. Einige hart errungene Erfolge sind durch den Klimawandel sowie die Nahrungs- und Wirtschaftskrise gefährdet worden. Milliarden Menschen blicken auf die internationale Gemeinschaft, die die MDGs umsetzen soll. Wir müssen dieses Versprechen einhalten.“

In dem UNO-Bericht werden einige große Fortschritte beschrieben: Immer mehr Kinder können Grundschulen besuchen, vor allem in Afrika. Es gibt Fortschritte bei der Bekämpfung von AIDS und Malaria. Außerdem hat sich die Gesundheit von Kindern verbessert. Aber in vielen anderen Bereichen gibt es keine Fortschritte. Das hat vor allem Folgen für die Ärmsten, die Landbevölkerung, Behinderte und Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts diskriminiert werden.

Nur die Hälfte aller Menschen in den Entwicklungsländern hat Zugang zu ausreichenden Sanitäranlagen, wie Toiletten oder Latrinen. Mädchen, die zum ärmsten Fünftel gehören, haben eine 3,5 Mal geringere Wahrscheinlichkeit, eine Schule besuchen zu können, als diejenigen aus den reichsten Haushalten. Weniger als die Hälfte aller Frauen in einigen Regionen erhalten bei der Geburt angemessene medizinische Hilfe durch Fachpersonal.

Die Zahl der Menschen in den Entwicklungsländern, die mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag leben müssen, ist von 46 Prozent (Ausgangsjahr 1990) auf 27 Prozent im Jahr 2005 gesunken. Grund sind Fortschritte in China, Süd- und Südostasien. Es wird erwartet, dass diese Zahl auf 15 Prozent bis 2015 sinken wird.

Der Jahresbericht zeigt auch, dass der Kampf gegen Hunger durch die Wirtschaftskrise erschwert wurde. Die Fähigkeit der Ärmsten, ihre Familien zu ernähren, wurde beständig erschwert: 2008 durch steigende Nahrungsmittelpreise, 2009 durch sinkende Einkommen. Die Zahl der Unterernährten ist nach 2008 schneller gestiegen, diese Entwicklung ist bereits seit Beginn dieses Jahrzehnts zu beobachten.

Prognosen für Entwicklungszusammenarbeit verursachen Besorgnis

Die Untersuchung von Ziel 8 (eine globale Partnerschaft für Entwicklung) durch die UNO belegt, dass trotz der wirtschaftlichen Probleme die internationale Kooperation nicht geschwächt wird. Die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) stieg sowohl 2008 als auch 2009 und beträgt insgesamt knapp 120 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Entwicklungsländer haben einen besseren Marktzugang in reichen Ländern durchgesetzt. Durch weiteren Schuldenerlass konnten die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer verringert werden.

„Trotz sinkender Exporte in Folge der weltweiten Wirtschaftskrise ist 2008 das Verhältnis zwischen Schuldendienst und Exporten stabil geblieben oder sank in den meisten Entwicklungsregionen weiter“, heißt es in dem Bericht. „Die Verschuldung wird keinen historischen Höchststand erreichen, obwohl die Exporteinnahmen weiter sinken und in einigen Ländern das Wachstum zurückgeht.“

Über die allgemeine Entwicklung der globalen Partnerschaft ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen. Im UNO-Bericht wird gewarnt, dass die Zunahme der ODA 2009 in realen Werten lediglich 0,7 Prozent gegenüber 2008 beträgt. Gemessen am gegenwärtigen Kurs des US-Dollars bedeutet das sogar einen Rückgang um zwei Prozent. In dem Bericht werden die Prognosen für die ODA 2010 mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Grund sind die wirtschaftlichen Probleme der Geberländer. Es klaffen noch große Lücken beim Versprechen von 2005, die Hilfe für Afrika zu verdoppeln. Außerdem haben sich die Hoffnungen, die Doha-Entwicklungsrunde abzuschließen, bisher nicht erfüllt. Sie läuft seit 2001.

Jedes Jahr werden 13 Millionen Hektar Wald vernichtet

Für Ziel 7 (ökologische Nachhaltigkeit sichern) enthält der UNO-Bericht alarmierende Zahlen. Im letzten Jahrzehnt sind auf der Welt jedes Jahr 13 Millionen Hektar Wald vernichtet worden. Ein Jahrzehnt zuvor waren es jährlich 16 Millionen Hektar.

Der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid ist zwischen 1991 und 2007 aufgrund des Bevölkerungswachstums und des Wirtschaftswachstums um fast 50 Prozent gestiegen. Zahlen für 2008 zeigen, dass sich dieser Anstieg verlangsamt hat, vor allem wegen der Rezession. Es ist sogar möglich, dass der Gesamtausstoß an Emissionen 2009 gesunken ist. Klar ist aber, dass er rasant steigen wird, wenn die Weltwirtschaft wieder wächst und keine geeigneten Maßnahmen getroffen werden. Ende 2010 organisiert die UNO im mexikanischen Cancun die nächsten Klimaschutzverhandlungen.

Sterblichkeit von Müttern und Kindern sinkt weltweit

Die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern sinkt weltweit. Dennoch genügen diese Erfolge nicht, um die Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 zu erreichen. Die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren ist von 12,6 Millionen (1990) auf geschätzt 8,8 Millionen (2008) gesunken. Das Sterbeverhältnis betrug 1990 100 tote Kinder auf 1000 Lebendgeburten. 2008 betrug es 72:1000. Das ist ein Rückgang von 28 Prozent, der aber nicht ausreicht, um das vierte Millenniumsentwicklungsziel zu erreichen: Zwischen 1990 und 2015 soll die Sterblichkeitsrate von Kindern um zwei Drittel sinken.

Bei der Sterblichkeit von Müttern gibt es in vielen Ländern Fortschritte. Nötig wäre aber ein Sinken von jährlich 5,5 Prozent, um das fünfte Millenniumsentwicklungsziel zu erreichen: Zwischen 1990 und 2015 soll die Sterblichkeitsrate von Müttern um drei Viertel sinken. Hunderttausende Frauen – 99 Prozent von ihnen leben in den Entwicklungsländern – sterben während der Schwangerschaft oder Geburt.

„Viel zu lange hatte die Gesundheit von Kindern und Müttern nicht genügend Aufmerksamkeit im Rahmen der MDGs erhalten“, sagte UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, als er im April 2010 einen gemeinsamen Aktionsplan von Regierungen, Unternehmen, Stiftungen und der Zivilgesellschaft vorstellte. „Wir wissen aber, dass dieses Thema ein Motor für Entwicklung sein kann“, sagte Ban.

Die Gesundheit von Müttern ist schwierig zu messen, häufig kann die Todesursache nicht eindeutig bestimmt werden. Der Jahresbericht 2010 belegt aber, dass die Unterschiede bei der Geburtshilfe zwischen Städten und ländlichen Gebieten geringer geworden sind und mehr Frauen während ihrer Schwangerschaft fachkundig betreut werden.

Der Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria

Als UNO-Generalsekretär Ban seinen gemeinsamen Aktionsplan vorstellte, nannte er den gemeinsamen Kampf gegen HIV/Aids als eines der hervorragenden Beispiele für gemeinsames Handeln. Die Zahlen des Jahresberichts belegen das.

„Die Verbreitung von HIV hat sich in den meisten Regionen stabilisiert und mehr Menschen haben bessere Überlebenschancen“, heißt es in dem Bericht. Ziel ist es, die Verbreitung von Aids zu stoppen und allmählich umzukehren. Die höchste Sterberate wurden 2004 mit 2,2 Millionen AIDS-Toten verzeichnet. 2008 betrug die Rate 2,0 Millionen.

In den Entwicklungsländern geht insgesamt auch die Tuberkulose zurück. 1990 war das Verhältnis 310: 1000. 2008 betrug es 210:1000. Im südlichen Afrika ist die Rate aber im selben Zeitraum von 300:1000 auf 490:1000 gestiegen. Die Sterberate war bis 2003 gestiegen. Seither ist eine Wende zu verzeichnen.

Die Hälfte der Weltbevölkerung hat das Risiko, sich mit Malaria anzustecken. Der Jahresbericht 2010 zeigt, dass 2008 daran 243 Millionen Menschen erkrankten und 863.000 starben. 89 Prozent der Fälle traten in Afrika auf. Die Zahl der Kinder in Afrika unter fünf Jahren, die unter Moskitonetzen schlafen, hat sich zwischen 2000 und 2009 vervielfacht. Auch das ist ein Grund, weshalb die Sterblichkeitsrate von Kindern gesunken ist.

UNO-Sondergipfel im September 2010 in New York

Im September 2000 hatten die Staats- und Regierungschefs die acht Millenniumsentwicklungsziele beschlossen, um extreme Armut und Hunger zu bekämpfen, Gesundheitsversorgung und Ausbildung zu verbessern, Frauen zu stärken und bis 2015 eine nachhaltige Umwelt zu schaffen. Die UNO hält vom 20. bis 22. September 2010 in New York einen Sondergipfel ab. Dort soll ein Plan verabschiedet werden, um die Ziele weltweit schneller zu erreichen. Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs werden erwartet, ebenso Vertreter von Unternehmen, Stiftungen und der Zivilgesellschaft.

Der MDG-Bericht enthält eine jährliche Bilanz, welche Fortschritte in einzelnen Regionen bisher erzielt worden sind. Er enthält die umfangreichsten und aktuellsten Daten und wird von über 25 UNO-Agenturen und –Programmen zusammengestellt. Herausgegeben wird er von der UNO-Hauptabteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten.

Den Jahresbericht 2010 (auf Englisch) können Sie unter folgendem link herunterladen: (PDF, 6,7MB, externer Link)

* Quelle: Deutschsprachige UNO-Website, 26. Juni 2010; www.unric.org/de


Millenniumsmühen

Von Olaf Standke *

Die UNO gibt die Hoffnung nicht auf. Doch vieles spricht dafür, dass die sogenannten Millenniumsziele nur mühsam wie geplant bis 2015 zu erreichen sind. Die Vereinten Nationen wollen die Zahl der Armen und Hungernden auf der Welt halbieren, allen Menschen Bildung bieten sowie die Kinder- und Müttersterblichkeit drastisch reduzieren. Zudem setzt sich die Weltorganisation für die Gleichbehandlung der Geschlechter, den nachhaltigen Umgang mit der Umwelt und den Kampf gegen Krankheiten wie Aids und Malaria ein. Bisher habe es nur »inakzeptabel langsame« Verbesserungen gegeben, so UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Noch immer müssen 1,4 Milliarden Menschen von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag leben. 1990 hungerten weltweit rund 800 Millionen Menschen, heute sind es über eine Milliarde. Doch bemüht sich der gestern vorgestellte Jahresbericht trotz der Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen in der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise um Optimismus. Voraussetzung für Fortschritte sei allerdings, dass die führenden Industrieländer, die sich am Wochenende auf dem G8-Gipfel in Kanada treffen, ihre Zusagen auch einhalten. Sie hatten eine Steigerung der staatlichen Entwicklungshilfe zugesagt, nur sind die Hilfsgelder zuletzt real um zwei Prozent geschrumpft. Weltbank und IWF gingen in ihrem jüngsten Report davon aus, dass sieben der acht Millenniumsziele so vermutlich verfehlt würden. Es wäre ein politisches Armutszeugnis.

** Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2010 (Kommentar)


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