Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Marketinginstrument Kind

Der entwicklungspolitische Nutzen von Patenschaften ist umstritten

Von Astrid Gilewski *

Deutsche und ausländische Hilfsorganisationen werben in der Vorweihnachtszeit wieder verstärkt für die Übernahme von Kinderpatenschaften. In der entwicklungspolitischen Diskussion ist das nicht unumstritten.

Es ist nur ein Beispiel unter mehreren: Eine große Kinderhilfsorganisation preist gezielt Kinderpatenschaften als Geschenkidee zu feierlichen Anlässen für Freunde und Familienmitglieder an. Die Meinungen über den entwicklungspolitischen Nutzen von Kinderpatenschaften gehen indes auseinander. Aus diesem Anlass veranstaltete die Stiftung Nord-Süd-Brücken am 3. Dezember in Berlin einen Workshop zu diesem Thema. Mehr als 20 Vertreter, zumeist von kleinen Hilfsorganisationen, die Kinderpatenschaften anbieten, diskutierten gemeinsam die entwicklungspolitische Sinnhaftigkeit von Kinderpatenschaften.

In den 70er Jahren gerieten die Kinderpatenschaftsprogramme von Hilfswerken wie Terre des hommes und Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt verstärkt in die entwicklungspolitische Kritik, betonte Ursula Pattberg, Vorstandsvorsitzende von Terre des hommes. Der Vorwurf lautete konkret, dass einzelne Kinder bevorzugt werden und Neid zwischen den Kindern, auch innerhalb von Familien, entstehen kann. Schluss-endlich, so die Kritiker seinerzeit, profitiere das Kind von der Patenschaft nur wenig und die strukturellen Ursachen von Armut werden nicht aufgegriffen und bekämpft.

Seit der Diskussion in den 70/80er Jahren haben sich die Patenschaftsprogramme vieler Hilfsorganisationen gewandelt. Die Spendengelder kommen nicht mehr nur dem einzelnen Kind zugute, sondern auch der Gemeinde. Durch projektbezogene Patenspenden sollen lokale Strukturen verändert und gestärkt werden. So kommt der Bau einer Schule immer mehreren Kindern aus der Gemeinde zugute.

Generell wird auch eine Abkehr von paternalistischen Strukturen gefordert. Die »Geförderten« dürfen nicht mehr nur passive Empfänger sein. Sie müssen als handelnde Subjekte zur Selbsthilfe befähigt werden. »Gib den Menschen keinen Fisch, sondern bringe ihnen das Angeln bei«, formulierte Virginia Hetze, entwicklungspolitische Bildungsreferentin aus Simbabwe.

Die Teilnehmer des Workshops kritisierten zudem die Art und Weise der Patenschaftswerbung. Kinder werden oft mit den Auswahlkriterien Land und Geschlecht wie »Katalogware« beworben. Aus einer Liste kann der zukünftige Pate sein »Wunschkind« auswählen. Den Paten wird oft der Eindruck vermittelt, sie würden ein ganz bestimmtes Kind mit ihrer Spende unterstützen. Tatsächlich profitieren aber mehrere Kinder oder die Gemeinde insgesamt von der Spende. Den Organisationen wird hier mangelnde Transparenz vorgeworfen.

Gleichzeitig betonte eine Teilnehmerin vom Berliner Missionswerk, dass es nicht einfach ist, die Paten davon zu überzeugen, lieber ein Projekt zu fördern, statt eine Patenschaft zu übernehmen. Erfahrungen verschiedener Teilnehmer zeigen, dass seitens der Paten der tiefe Wunsch besteht, ein bestimmtes Kind fördern zu wollen. Lucia Muriel von der Migrantenberatung moveGLOBAL forderte in diesem Zusammenhang, dass die Beweggründe von Paten zur Übernahme von Patenschaften thematisiert werden sollten. Denn oft verbinden sich hiermit Erwartungen an das Patenkind oder Projektionen des Helfen-Wollens, die entwicklungspolitisch nicht förderlich sind.

Aufgrund der Kritik an den Kinderpatenschaften haben sich einige Hilfsorganisationen wie Terre des hommes oder die Welthungerhilfe von solchen Programmen verabschiedet. Andere Organisationen haben ihre Patenschaftsprogramme in eine projektbezogene Förderung eingebunden. Beate Schuhmann vom Eine Welt Haus Jena e.V., die Partner in San Marcos/Nicaragua haben und dort auch mit Kinderpatenschaften arbeiten, berichtete, dass einige Paten im Verlauf ihrer Unterstützung des Welthauses dazu übergegangen seien, Projekte statt Einzelpersonen zu unterstützen. Allerdings gebe es auch die gegenläufige Bewegung unter den Spendern.

So uneinig sich die Teilnehmenden letztendlich über den entwicklungspolitischen Nutzen von Kinderpatenschaften waren, so einig waren sich alle darin, dass es ein sehr wirksames Fundraising- und Marketinginstrument ist. Mit Kindern lässt sich eben gut Emotionen wecken, die auch den Geldbeutel öffnen helfen können.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Dezember 2010


Zurück zur Seite "Entwicklungspolitik"

Zurück zur Homepage