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Zwischen Engagement und Übermotivation

Kritischer Dialog von Partnern aus Nord und Süd zum Freiwilligendienst "weltwärts"

Von Kai Walter *

Mit Einführung des staatlich geförderten »weltwärts«-Programms, haben sich vor gut einem Jahr die Möglichkeiten eines Engagements im Freiwilligendienst schlagartig geändert. Die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste und die Stiftung Nord-Süd-Brücken zogen im Rahmen ihrer kritischen Begleitung der Pilotphase in Berlin eine Zwischenbilanz.

Früher seien Freiwillige oft nur für drei oder sechs Monate gekommen. »Das war eine Beziehung wie Freund und Freundin«, sagte Rose Otieno aus Kenia. Häufige personelle Wechsel in Projekten seien wenig nachhaltig gewesen. Das »weltwärts«-Programm biete die Möglichkeit einer längerfristigen Zusammenarbeit von bis zu zwei Jahren. Dadurch entstünden laut Rose Otieno Beziehungen, die einer Ehe gleichkämen. Andere Vertreter von Partnerorganisationen aus dem Süden fügten hinzu, dass mit »weltwärts« auch eine größere Verbindlichkeit und Standards Einzug in die Entsendung deutscher Freiwilliger gehalten haben. Das sei nach dem ersten Jahr festzustellen.

Mit Partnern aus dem Süden wurden am 25. Februar auf Einladung der Stiftung Nord-Süd-Brücken und der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD) erste Erfahrungen mit dem »weltwärts«-Programm ausgetauscht. Gemeinsam wurde diskutiert, ob weltwärts einen Mehrwert bringt oder ob die vielen Freiwilligen gar eine Belastung für die Menschen im Süden sein könnten?

Annähernd 200 Entsendeorganisationen wurden im ersten Jahr vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) anerkannt. Die angestrebte Zahl von 3000 Entsendungen wurde 2008 zwar nicht erreicht, aber mit 2257 Freiwilligen machten sich mehr deutsche Jugendliche als je zuvor auf in die weite Welt. Fast zwei Drittel davon waren junge Frauen. Als Hauptausreiseländer nennt das BMZ Südafrika, Indien und Brasilien.

Die meist gering qualifizierten Jugendlichen unterstützen Lehrer in Togo bei der Unterrichtsvorbereitung, machen Englischkurse in mexikanischen Dörfern oder organisieren Freizeitaktivitäten für benachteiligte Kinder in Indien. Trotz der meist geringen Qualifikation der Freiwilligen gebe es durchaus positive Wirkungen, die über ein reines Erfahrungssammeln seitens der Freiwilligen hinausgehen. Allein durch die Begegnung mit den Freiwilligen aus Deutschland komme bei der lokalen Bevölkerung ein Prozess in Gang. So würden Menschen zu eigenem Tun ermuntert, wenn sie sehen, dass Menschen aus dem Norden kommen und an ihrer Situation interessiert sind.

Pujiarti Pujiarti aus Indien stellte eine Aufwertung des zivilgesellschaftlichen Engagements in ihrem Land fest, wo Freiwilligenarbeit bisher ein geringes Ansehen hat. Henry Yanney aus Ghana sieht den wesentlichen Wert von »weltwärts« darin, dass die Freiwilligen während ihres Dienstes vor allem viel über die Gastländer und die Probleme dort lernen, um sich nach ihrer Rückkehr nach Deutschland entwicklungspolitisch zu engagieren.

Vidal Flores Girón aus Mexiko nahm das Bild der Kenianerin Rose Otieno auf und sprach Probleme an. Wie in mancher Ehe komme es auch in der Beziehung zwischen Freiwilligen und Partnerorganisation zur Ernüchterung, wenn nach der ersten Euphorie plötzlich Krisen eintreten. Freiwillige seien seiner Meinung nach oft übermotiviert und nicht auf den Umgang mit Krisen vorbereitet. Statt mit den Partnern im Gastland über ihre Probleme zu reden, zögen sich die jungen Deutschen oft frustriert zurück und riefen damit großes Unverständnis hervor.

Schon bei der Auswahl der Freiwilligen und in der Vorbereitung müssten unrealistische Erwartungen abgebaut werden. Nur so könnten Frustrationen vermieden werden, die weder der Partnerorganisation noch den Freiwilligen helfen.

Dass es durch »weltwärts« erstmals möglich ist, ohne eigene Kostenbeteiligung als Freiwilliger in ein Entwicklungsland zu gehen, ist offenbar nicht nur ein Vorteil. So gibt es mittlerweile Anzeichen dafür, dass manche Jugendliche nur mal eben so beschließen, für ein Jahr wegzugehen. Die nötige Einstellung und Motivation für einen solchen Einsatz sei bei solchen Bewerbern nicht gegeben. Lourens de Jong von den IJGD wies auf dieses Problem bei der Rekrutierung von Freiwilligen hin: »Vielleicht zieht das Programm die falschen Freiwilligen an, weil es zu billig ist.« Wer sich in Deutschland nicht engagiere, sei auch im Freiwilligendienst nicht richtig.

Auch in den Partnerländern wird die finanzielle Seite des »weltwärts«-Programms kritisch betrachtet. Mit einhundert Euro monatlichem Taschengeld seien die »weltwärts«-Freiwilligen oft finanziell nicht nur besser ausgestattet als Freiwillige anderer Dienste oder anderer Länder, sondern hätten auch mehr Geld als ihre Gastfamilien. »Um das etwas auszugleichen, geben wir unseren Gastfamilien 100 Euro aus den 'weltwärts'-Projektgeldern«, sagt Sylvestre Aklamanu aus Togo.

Dass »weltwärts« nicht Entwicklungszusammenarbeit, sondern ein Lerndienst sein soll, wurde seitens des BMZ stets betont. Da jedoch der angestrebte entwicklungspolitische Effekt durch verstärkte Bildungsarbeit mangels zurückgekehrter Freiwilliger und breitenwirksamer Rückkehrprogramme noch etwas auf sich warten lassen wird, geht die Diskussion um den Wert des Programms derweil andere Wege. Die Hoffnung etwa, durch Bewerber aus den Altersgruppen 24 bis 28 Jahre automatisch eine höhere Qualifikation der Freiwilligen zu bekommen, hat sich bisher nicht erfüllt. Die »weltwärts«-Freiwilligen sind bisher 18 bis 23 Jahre alt.

Neben einer Nachbesserung bei Auswahl und Vorbereitung der Freiwilligen wird es für die Entsendeorganisationen in diesem Jahr darauf ankommen, die Nachbereitung auf das gewünschte Niveau zu bringen. Nur wenn auch in Deutschland erkennbar wird, warum es wichtig ist, den Freiwilligendienst deutscher Jugendlicher in Entwicklungsländern so massiv zu fördern, kann sich weltwärts in der dreijährigen Pilotphase zu einem sinnvollen Programm entwickeln.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2009


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