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"Norden. Süden. Cyberspace."

Ein Buch von Hanna Hacker - rezensiert von Ines Zanelle

Im österreichischen Südwind Magazin ist eine Rezension des Buches von Hanna Hacker: "Norden. Süden. Cyberspace." erschienen - zusammen mit einem Interview, das die Redaktion mit der Autorin führte.
Wir dokumentieren im Folgenden beides.



Hanna Hacker: Norden. Süden. Cyberspace. Text und Technik gegen die Ungleichheit
Promedia Verlag, Wien 2007, 208 Seiten, € 17,90

Rezension

Von Ines Zanelle

Die Imagination Cyberspace in vielen Aspekten - eine Annäherung aus verschiedensten Blickwinkeln liefert Hanna Hacker in ihrem Buch, in dem sie den Überschneidungsbereich von Technowissenschaften, Cyberphilosophien und internationaler Entwicklung in feministischer und postkolonialer Perspektive untersucht.

Am Beginn steht, was nicht so selten fehlt: eine umfangreiche Selbstverortung der Forscherin und eine Begriffsanalyse. Das oft benannte "Nord - Süd - Verhältnis" wird in seinen widersprüchlichen Seiten beleuchtet, majoritäre und minoritäre AkteurInnen in den beforschten Regionen benannt, der Einfluss von Staatlichkeit und Kirche analysiert, eine Eingrenzung des zeitlichen Beobachtungsraums ebenso vorgenommen wie eine Einbettung in die globale "Cybergeschichte". Die Beschreibung afrikanischer politischer und kultureller postkolonialer Entwürfe und ihr Wirken in der Cyberwelt - Stichwort: Metissacana als erstes Internetzentrum außerhalb Südafrikas, 1996 u.a. von Oumou Sy in Dakar gegründet - wird ergänzt durch eine umfangreiche Analyse der europäischen Interventionen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, von den World Summits on the Information Society bis hin zum Engagement einzelner österreichischer Initiativen in diesem Bereich. Ergänzt werden diese Blickwinkel durch eine spannende Analyse von Information und Informationsgesellschaft und die Hinterfragung von Chimären wie "Le Cyber", dem europäisch imaginierten Telezentrum, das so nicht wirklich existierte.

Mit diesem Kaleidoskop entführt die Autorin auf eine spannende Reise durch das vielschichtige postkoloniale Verhältnis zwischen Nord und Süd, das in manchen Aspekten nicht so "post-" ist, wie es scheint. Eine spannende Lektüre für alle Cyberinteressierten, die zur Hinterfragung eigener Positionen, ob als Individuum oder als Organisation, einlädt - aber auch Konzentration erfordert: Die wissenschaftlichen, sehr exakten, aber damit auch hochgestochenen Formulierungen gehen bisweilen auf Kosten der Lesbarkeit.

* Aus: Südwind Magazin 04 / 2008, Seite 40


"Zugang allein verändert nichts"

Verringert oder verschärft das Internet die Kluft zwischen Nord und Süd? Dieser Frage geht die Soziologin Hanna Hacker in ihrem kürzlich erschienenen Buch nach. Mit ihr sprach Südwind-Redakteurin Irmgard Kirchner.

Südwind: Haben die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien das Potenzial, so etwas wie eine globale Solidarität zu schaffen?

Hanna Hacker: Die Hoffnungen, die man in NICTs setzt, sind manchmal sehr groß und idealistisch. Es gibt die Position, dass jetzt ganz viele neue Möglichkeiten für Informationsaustausch oder politische Bündnisse existieren. Andere Positionen halten diesen Optimismus für eine Falle, eine strategische Behauptung beispielsweise von Konzernen, die am Einsatz und Ausbau dieser Technologien verdienen.

Ich selbst betrachte es schon als eine Neuentwicklung, dass das Internet zugänglich und mitgestaltbar ist - auch von Gruppen, die bislang sehr wenig weltweit über sich sprechen konnten. Die Vorstellung, dass die NICTs Zerrissenheiten heilen, Klüfte überbrücken oder Gerechtigkeit herstellen, die es bislang nicht gab, halte ich für überzogen. Für mich war es spannend zu sehen, dass viele Initiativen und Netzwerke in afrikanischen Ländern viel kompetenter und ideenreicher mit den NICTs verfahren als zum Beispiel einige meiner GesprächspartnerInnen in Österreich, die in der Entwicklungsszenerie tätig sind.

Welchen Eindruck haben Sie von den entsprechenden Akteurinnen und Akteuren in Österreich bekommen?

Die strategischen Überlegungen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit fand ich zu meiner Überraschung reflektierter und fundierter als das, was ich an Positionspapieren der Nichtregierungsorganisationen im Entwicklungsbereich kennen gelernt habe.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass neue Technologien neue Minderheiten schaffen.

Neue Technologien schaffen neue Minderheiten im Sinne von Benachteiligungen: Gruppen, die noch mehr abgeschnitten werden von dem, was globale Modernisierung ist oder sein soll. Das sind Frauen in ländlichen Gebieten in Ländern der so genannten Dritten Welt. Zu den Gewinnern zählen natürlich weiße westliche Männer.

Es geht auch um Minderheiten im Sinne von sozialen Gruppierungen, die nicht unbedingt neu entstehen, sich aber auf neue Weise selbst artikulieren oder von Seiten politischer Akteurinnen und Akteure definiert werden. Mein Eindruck ist, dass die NICTs stark dazu beitragen, Jugendliche und Jugend als eine neue, auf besondere Weise sichtbare Gruppierung zu definieren. Ebenso zeichnet sich ein verstärktes Augenmerk auf Menschen mit Behinderungen ab.

Sie kritisieren, dass es in der Entwicklungszusammenarbeit meist nur darum geht, Zugang zum Internet zu schaffen.

Ich finde es ganz wichtig, nicht in diese Zugangs- und Versorgungsrhetorik zu verfallen, wie gut es auch gemeint sein mag. Zugang allein ändert nichts an globalen Ungleichheitsverhältnissen. Grundsätzlich ist mir aufgefallen, dass in den Reden und Stellungnahmen auch sehr kritischer Menschen Information und Informationsgesellschaft per se als etwas Positives gesehen werden. Das ist so, als würden wir Industriegesellschaft per se als wunderbar definieren.

Wie wird die Ungleichheit im Netz in Ländern der so genannten Dritten Welt reflektiert?

Ich würde sagen, massiver, aber nicht unbedingt kritischer oder pessimistischer als bei uns. Es herrscht ein gewisser Optimismus hinsichtlich der Möglichkeiten, die das Netz eröffnet. Auf dem afrikanischen Kontinent ist die postkoloniale Situation ja sehr präsent. Bei NICT-AkteurInnen fällt eine starke Bezugnahme auf Open-Source-Software auf, zum Beispiel, eine selbstverständlichere Politik dazu als in vielen westlichen Ländern. In vielen politischen Aktionen, Vernetzungen und Bildungsprojekten geht es um Befreiung und politisches Selbstverständnis, und dabei sehr oft in einem betont panafrikanischen Ansatz.

Werden NICTs in Afrika kulturell speziell konsumiert?

Es gibt eine kollektivere Nutzung der NICTs, in so genannten Telecentern oder Cybercafés.

Untersuchungen zeigen, dass lokale Eliten, die Beamtenschaft, traditionelle Würdenträger und spirituelle Ratgeber sehr schnell die Online-Kommunikation für sich genutzt haben. Das hat allerdings nichts an den Hierarchien verändert.

Andere Studien wiederum sprechen eher davon, dass in den Familien elterliche Autorität dadurch ein Stück weit aufgebrochen wird, dass die Kids das Internet benutzen.

* Hanna Hacker, Dozentin für Soziologie, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Cultural und Postcolonial Studies aus feministischer und queerer Perspektive.
In ihrer neuesten Forschungsarbeit setzt sie sich kritisch mit den Neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (NICTs) und ihrem Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit auseinander.


* Aus: Südwind Magazin 04 / 2008


Seit mehr als 20 Jahren berichtet das Südwind-Magazin (vormals EPN) als einziges Monatsmagazin in Österreich über Entwicklungen in den Ländern und Regionen des Südens. Das Magazin wird vom Verein Südwind- Entwicklungspolitik herausgegeben und von der Südwind-Agentur produziert.
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