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"Der Handlungsdruck ist enorm gestiegen"

Bei der Bilanzpressekonferenz von "Brot für die Welt" überlagern die globalen Probleme die Mühen der Hilfsorganisation

Von Martin Ling *

Bei der Pressekonferenz des Hilfswerks »Brot für die Welt« stand neben dem Resümee der eigenen Arbeit das der Nachhaltigkeitskonferenz von Rio 1992, deren Folgetreffen kommende Woche beginnt, im Mittelpunkt. Die Bilanz von Rio sieht dürftig aus. Brot für die Welt erzielte 2011 sein zweitbestes Spendenergebnis in den vergangenen zehn Jahren.

Der Blick über den Tellerrand macht Cornelia Füllkrug-Weitzel Sorgen: »20 Jahre nach Rio ist der Handlungsdruck enorm gestiegen. Die Welt steht unter dem Eindruck globaler Krisen, allen voran der Hungerkrise, der Klimakrise und der Finanzkrise.« Füllkrug-Weitzel ist die Direktorin des evangelischen Hilfswerks »Brot für die Welt«, das mit Entwicklungsprojekten auf lokaler Ebene in vielen Ländern der Welt den globalen Verwerfungen zu trotzen versucht. Angewiesen ist das kirchliche Hilfswerk dabei auf private Spenden. Die sind auch 2011 durchaus reichlich geflossen: Mit 56,3 Millionen Euro wurde das zweitbeste Spendenergebnis der vergangenen zehn Jahre erreicht. »Eine Spendenmüdigkeit kann ich nicht erkennen«, erklärte Füllkrug-Weitzel, die allen Spenderinnen und Spendern für ihre große Hilfsbereitschaft dankte. »Von den Spenden flossen 46,3 Millionen Euro in die Arbeit der 968 Projekte. Den Schwerpunkt bildete die Sicherung der Ernährung, vor allem die Förderung nachhaltiger kleinbäuerlicher Landwirtschaft, besonders angesichts des Klimawandels«, führte sie die Arbeit des Hilfswerks aus.

Während der Klimawandel hierzulande noch nicht spürbar im Alltag angekommen ist, sieht das in vielen Teilen des Globalen Südens anders aus. In Bangladesch machte sich Füllkrug-Weitzel selbst ein Bild und sprach mit vielen Betroffenen. Das Land liege in der Zone, in der die meisten aller tropischen Wirbelstürme entstehen, und deren Häufigkeit nehme aufgrund des Klimawandels zu. Mit desaströsen Folgen: Immer mehr Menschen müssten die Küstenregionen verlassen, die bisher als Reiskammer des Landes dienen und diese Funktion wegen Versalzung der fruchtbaren Schwemmlandböden mehr und mehr einbüßten. »Wenn es so weitergeht, werden bald 50 Millionen Menschen nicht mehr dort leben können«, malte Füllkrug-Weitzel ein düsteres Zukunftsszenario.

Um die Zukunft nicht nur von Bangladesch geht es in der kommenden Woche bei der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro - 20 Jahre nach der Rio-Konferenz, die auf dem Papier Maßstäbe für eine nachhaltige Entwicklung setzte. Real warten die Rio-Beschlüsse auch 20 Jahre danach noch auf tatkräftige Umsetzung. Deswegen plädierte Füllkrug-Weitzel gestern in Berlin für neue globale Allianzen und sieht dort die Bundesregierung in der Pflicht. Nur eine gemeinsame »Allianz der Willigen« könne gegenüber »zögerlichen« Schwellenländern wie Südafrika, China, Indien und Brasilien den nötigen Druck aufbauen, nicht die Fehler der alten Industrieländer zu wiederholen, sagte die Pfarrerin. Auch entstünde so ein Hebel, um notorische Blockierer wie vor allem die USA zu einem globalen und völkerrechtlich verbindlichen Klimaregime zu zwingen.

Vom Rio-Gipfel erhofft sich Füllkrug-Weitzel unter anderem auch konkrete Umsetzungsstrategien für die »Green Economy«. Auf nd-Nachfrage machte sie deutlich, dass es nicht ausreiche, einen grünen Wirtschaftssektor zu etablieren, sondern es eines grundlegenden Umsteuerns bedürfe. Nicht nur effizienter, sondern auch genügsamer zu wirtschaften als bis dato, gab sie als Richtschnur aus. Die Politik wird sich daran nur ungern messen lassen. Doch die Alternative ist eine weitere Zunahme von inner- und zwischenstaatlichen Konflikten um knapper werdende Ressourcen wie Land, Wasser und Rohstoffe, wie sie Füllkrug-Weitzel in Bezug auf die vergangenen Jahre bereits ausmachte.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Juni 2012

Dokumentiert:

Rio plus 20: Hilfswerk für Vorreiterrolle Deutschlands

BILANZ 2011: ZWEITBESTES ERGEBNIS DER LETZTEN ZEHN JAHRE

Presseinformation, Stuttgart, 12. Juni 2012


„Brot für die Welt“ hat an die Bundesregierung appelliert, neue Allianzen für einen schnelleren Übergang hin zu einer ressourcen- und energieeffizienten Wirtschafts- und Lebensweise zu schmieden. „Deutschland spielt hier nicht erst seit der Energiewende eine gewisse Vorreiterrolle“, sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel in Berlin. „Wir brauchen neue Allianzen zwischen klimapoli-tisch ambitionierten Regionen und Ländern wie Europa, Südkorea, Mexiko und Ländern, die bereits unter dem Klimawandel leiden wie Bangladesch“, erklärte die Direktorin des evangelischen Hilfswerks eine Woche vor Beginn des Klimagipfels Rio plus 20 bei der Vorlage der Jahresbilanz 2011. Sie dank-te für das Vertrauen der Spenderinnen und Spender und hob hervor, dass „Brot für die Welt“ mit 56,3 Millionen Euro das zweitbeste Spendenergebnis der letzten zehn Jahre erreicht hat.

Eine „Allianz der Willigen“ könne Schwellenländer wie Südafrika, China, Indien und Brasilien ermutigen, nicht die Fehler der alten Industrieländer zu wiederholen. Den Verlierern des Klimawandels bleibe nicht mehr viel Zeit. „In Bangladesch verlassen schon heute jeden Tag Tausende Menschen aufgrund des steigenden Meeresspiegels und der versalzenden Felder die Küstenregionen und ziehen in die Städte“, so Füllkrug-Weitzel. Die Gerechtigkeit der Weltgesellschaft entscheide sich an der Situation der Ärmsten: „Für Millionen Menschen haben sich die Lebensbedingungen aufgrund von Klimawandel, Bodenerosion, Wasserman-gel und Landraub verschlechtert.“

„Brot für die Welt“ präsentierte in Berlin die Bilanz für 2011. Im vergangenen Jahr erhielt das evangelische Hilfswerk 56,3 Millionen Euro an Spenden und erzielte damit das zweitbeste Ergebnis der letzten zehn Jahre. „Wir danken allen Spenderinnen und Spendern für ihre große Hilfsbereitschaft“, sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel. Von den Spenden flossen 46,3 Millionen Euro in die Arbeit der 968 Projekte. Den Schwerpunkt bildete die Sicherung der Ernährung, vor allem die Förderung nachhaltiger kleinbäuerlicher Landwirtschaft, besonders angesichts des Klimawandels. Die meisten Spenden gingen nach Afrika. Vier Millionen Euro waren für die Hilfe bei Katastrophen bestimmt, vor allem bei der Dürre in Ostafrika.


Statement zur Bilanzpressekonferenz von „Brot für die Welt“ am 12. Juni 2012 in Berlin

Pfarrerin Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von „Brot für die Welt“

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass Sie heute zu unserer Bilanzpressekonferenz gekommen sind. „Brot für die Welt“ hat im vergangenen Jahr das zweitbeste Ergebnis der letzten zehn Jahre erzielt – wir freuen uns über dieses Vertrauen in unsere Arbeit und danken den Gemeinden, Aktionsgruppen, Schulen und Einzelpersonen sehr, die uns tatkräftig und mit Spenden und Kollekten unterstützen. Dazu gleich mehr. Zwanzig Jahre nach der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung kommen in Rio de Janeiro vom 20. bis 22. Juni 2012 erneut Regierungen, internationale Organisationen und zivilgesellschaftliche Akteure aus aller Welt zu einem Gipfel für nachhaltige Entwicklung zusammen. Mit drei völkerrechtlich verbindlichen Abkommen und einer Vielzahl von Vereinbarungen hatte die UN-Konferenz 1992 ein politisches Fundament an der Schnittstelle von Umwelt, Entwicklung und sozialer Teilhabe geschaffen.

Zwanzig Jahre nach Rio ist der Handlungsdruck enorm gestiegen. Die Welt steht unter dem Eindruck globaler Krisen, allen voran der Hungerkrise, der Klimakrise und der Finanzkrise. Damit eng verbunden ist eine Zunahme von inner- und zwischenstaatlichen Konflikten um knapper werdende Ressourcen wie Land, Wasser und Rohstoffe. Deutlich werden die ökologische Begrenztheit des Planeten und die Perspektivlosigkeit eines Entwicklungsmodells, dessen Ursprünge ins Europa zu Beginn der Industrialisierung zurückreichen. Das Aufeinandertreffen von unbegrenzten Wachstumsansprüchen und begrenzten Ressourcen führt zu Raubbau, gewaltsamen Konflikten und einer Vertiefung der sozialen Kluft.

Verschärfend wirkt sich aus, dass heute zu viele Konsumentinnen und Konsumenten zu viele Ressourcen in viel zu kurzer Zeit aufbrauchen. Kurzfristig gesehen scheinen zwar ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stehen, die Absorptionsfähigkeit der Ökosysteme scheint an vielen Orten intakt. Zurzeit benötigen die Ökosysteme jedoch eineinhalb Jahre, um den Naturverbrauch der Menschheit eines Jahres zu regenerieren.

Lassen Sie mich dies am Beispiel Bangladesch verdeutlichen: Das Land am Golf von Bengalen, das ich jüngst bereist und wo ich mit vielen betroffenen Menschen gesprochen habe, liegt in der Zone, in der die meisten aller tropischen Wirbelstürme entstehen. Sie nehmen aufgrund des Klimawandels zu – an Zahl und Heftigkeit. Mit bis zu 280 km/h Geschwindigkeit und bis zu neun Meter hohen Flutwellen prallen sie auf die gesamte Küstenlinie. Neben den Wirbelstürmen trägt auch der Anstieg des Meeresspiegels dazu bei, dass immer mehr Menschen die Küstenregionen verlassen müssen. Das fruchtbare Mündungsdelta vieler Flüsse, das die Südküste Bangladeschs bildet, versinkt immer schneller im Meer. Und damit eine Reiskammer des Landes. Das Meer drückt sein Wasser bis 100 km die Flüsse hinauf ins Land. 70% der fruchtbaren Schwemmlandböden sind schon versalzen. Wenn es so weitergeht, werden 50 Millionen Menschen nicht mehr dort leben können. Bereits heute verlassen jeden Tag Tausende Menschen die Küstenregionen und ziehen in die Städte. Allein die Megastadt Dhaka wächst jede Woche um 20 000 Menschen, die vor allem aus dem Süden des Landes kommen. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet für eine Stadt, die ohnehin schon 20 Millionen zumeist bitterarmer Einwohner zählt, die beherbergt werden müssen, Arbeit benötigen, die Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu Bildung und Gesundheitsversorgung brauchen? Eine Stadt, deren Budget einen Bruchteil des Budgets der zwanzigmal kleineren Stadt Hamburg umfasst?

Soviel nur als Vorgeschmack darauf, was auf unsere Städte zukäme, wenn wir es nicht schaffen, den Klimawandel jetzt wirklich schnell und wirksam einzudämmen. Wenn die wissenschaftlich basierten Prognosen etwa des angesehenen Stern-Reports wahr werden, werden bis zum Jahr 2050 weltweit 150 – 200 Millionen Menschen zu klimabedingten Migranten - die meisten davon in armen Ländern. Das, meine Damen und Herren, ist so apokalyptisch, wäre eine so tiefgreifende Verletzung des elementarsten aller Menschenrechte, des Rechts auf Leben, dass wir dagegen wirklich entschieden und mit allem Nachdruck angehen müssen – und wir als kirchliches Hilfswerk ganz besonders.

Nicht überall sind die Folgen des Klimawandels so dramatisch wie in Bangladesch. In anderen Regionen fallen „nur“ die Ernten geringer aus, weil sich die Regenzeit verschiebt. Oder Mensch und Vieh verdursten, weil der Regen über Jahre ausfällt wie jüngst in Ostafrika. Für Millionen Menschen haben sich die Lebensbedingungen aufgrund von Klimawandel, Bodenerosion, Wassermangel und Landraub verschlechtert. Die Ärmsten zahlen die Zeche. „Brot für die Welt“ kämpft mit seinen über 1000 Projektpartnern rund um den Globus dagegen an, dass die Folgen des Klimawandels die Erfolge der Entwicklungsarbeit zunichte machen. Und müssen uns doch noch von den Verursachern des Klimawandels, also der Bevölkerung in Industrienationen, sagen lassen, dass Entwicklung ja nicht voran kommt – Entwicklungshilfe also nichts bringt!

Wir haben im vergangenen Jahr in vielen Ländern geholfen, die Landwirtschaft umzustellen, etwa auf dürretolerantes Saatgut, und die Lebensweise an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels anzupassen. Auch in Bangladesch. Wir unterstützen die Bevölkerung bei lokalen Risikoanalysen und dabei, sich auf noch schlimmere Naturkatastrophen vorzubereiten. Wir tragen dazu bei, dass besonders erfolgreiche Modelle der Klimarisikoanalyse, Klimaanpassung und Katastrophenprävention dokumentiert und anderen betroffenen Regionen zur Verfügung gestellt werden. Wir organisieren Austausch und Vernetzung der Projektpartner. Das gilt auch für die Unterstützung lokaler Forschungsansätze zu kohlenstoffarmer Entwicklung – z.B. gemeinsam mit Umweltorganisationen wie dem WWF in Indien. Wir haben mit anderen kirchlichen Organisationen mit der ‚Klima-Kollekte‘ eine Möglichkeit zur Kompensation nicht vermeidbarer Emissionen durch unsere Reisen geschaffen. Sie steht jedem offen und kommt zertifizierten Klimaschutz-Projekten unserer Partner im Süden zugute.

In Sachen Klimaanpassung und –prävention sind wir innerhalb und mit unserem globalen ACT Alliance-Netzwerk Vorbild für andere. Aber es ist nicht genug, bildlich gesprochen: Schäden zu heilen. Es ist unsere Verantwortung und Pflicht, im Namen der Menschen, deren Schicksal wir täglich in unserer Arbeit begegnen, unsere Stimme in den internationalen klimapolitischen Debatten zu erheben. Das braucht breite Bündnisse - international und national. Gerade am vergangenen Wochenende haben wir mit dem DGB und seinen Einzelgewerkschaften, dem Deutschen Naturschutzring und anderen evangelischen Einrichtungen einen großen Transformationskongress in Berlin veranstaltet.

Transformation bedeutet:
  • Der Ressourcenverbrauch muss, vor allem in den Industrieländern, deutlich reduziert,
  • die Energieerzeugung dekarbonisiert,
  • der wirtschaftlichen Verwertung der Natur Grenzen auferlegt,
  • die Ökonomisierung vieler Lebensbereiche zurückgedrängt
  • und weltweite Verteilungs- und Chancengerechtigkeit hergestellt werden.
Gewerkschaften, evangelische Kirchen und Umweltverbände haben in Berlin das Tor weit aufgestoßen für ein breites gesellschaftliches Bündnis, das neue Visionen, Ambitionen und Energien für den anstehenden Übergang in eine zukunftsfähige, solidarische und klimafreundliche Weltgesellschaft mobilisieren kann. Neue Allianzen sind auch in Rio nötig: Die Klimakrise ist vermutlich das erste weltpolitische Konfliktfeld, das nicht mehr von einer Weltmacht bzw. einem Staatenblock allein gelöst werden kann. Die Klimapolitik ist auch kein Nord-Süd-Konflikt, denn die Konfliktlinien liegen nicht zwischen Nord und Süd, sondern verlaufen innerhalb der Blöcke. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, neue Allianzen zu schmieden zwischen klimapolitisch ambitionierten Ländern und Regionen wie Europa, Südkorea, Mexiko einerseits – plus den besonders verletzbaren Ländern, die bereits unter dem Klimawandel leiden wie die Inselstaaten oder Bangladesch. Nur gemeinsam kann eine „Allianz der Willigen“ den nötigen Druck aufbauen, um zögerliche Schwellenländer wie Südafrika, China, Indien und Brasilien an Bord zu holen. Erst damit entstünde ein Hebel, der genügend Kraft entwickelt, um notorische Blockierer wie die ölexportierenden Länder, Russland, Kanada und vor allem die USA unter das gemeinsame Dach eines globalen, ambitionierten, fairen und völkerrechtlich verbindlichen Klimaregimes zu zwingen. Deutschland kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen - die Teilnahme der Kanzlerin an der Rio-Konferenz könnte dieses Anliegen wesentlich befördern! Wir hoffen, dass sie sich noch dazu entschließt.

Veränderung braucht Treiber und Pioniere. Deutschland spielt in vielen Teilbereichen nachhaltiger Entwicklung nicht erst seit der Energiewende eine gewisse Vorreiterrolle. Diese kontrastiert jedoch mit der viel zu langsamen Umsetzung in Deutschland und der EU. Deutschland wird in Rio deutlich erklären müssen, ob es vorwiegend solche Ansätze nachhaltigen Wirtschaftens verfolgt, die der eigenen exportorientierten Wirtschaft nützen können, oder ob es das Wohl aller Menschen auf dem Planeten im Blick hat. Den Menschen in Deutschland muss dabei klar sein, dass auch ihr Wohlergehen auf Dauer nur erhalten bleiben kann, wenn die weltweite Schere zwischen arm und reich nicht weiter auseinander geht, wenn nicht immer größere Flächen aufgrund der Klimaveränderungen unbewohnbar und nicht hunderte Millionen Menschen zu klimabedingten Migranten werden. Nur dann ist eine Form des Wachstumswahns zu überwinden, die die Ressourcen dieser und der kommenden Generationen verzehrt. Dafür bedarf es technologischer Innovationen, politischer Visionen mit einer handlungsleitenden Ethik des rechten Maßes und der sozialen Gerechtigkeit und – last but not least – geeigneter politischer Rahmenbedingungen. Die Gerechtigkeit der Weltgesellschaft entscheidet sich an der Situation der Ärmsten.

Konkret erwarten wir von Rio + 20 sechs Ergebnisse, die nach unserer Auffassung maßgeblich sind für den Erfolg des Gipfels. Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, ob sie sich in Rio mit aller Kraft für diese Ziele eingesetzt hat:

1. „Do no harm“ - Verbindlichkeit bei der Festlegung ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Leitplanken für das globale Wirtschaften. Es reicht nicht aus, sich auf höhere Prinzipien – etwa des gleichen Rechtes aller Menschen bei der Nutzung der Umwelt – zu verständigen. Diese Prinzipien müssen verbindlich gemacht und durchgesetzt werden. Die dramatisch zunehmenden Landkonflikte Nahrung versus Futter versus Bioenergie, die fast immer zu Lasten der lokalen Bevölkerung ausgehen, illustrieren dies. Das menschenrechtliche Do-no-harm-Prinzip muss bedingungslos gelten.

2. Institutionelle Stärkung des UN-Umweltprogramms UNEP, Schaffung eines Rates für Nachhaltige Entwicklung nach dem Vorbild des UN-Menschenrechtsrates und Einsetzung eines Hochkommissariats für nachhaltige Entwicklung und die Rechte künftiger Generationen. Starke Institutionen sind eine Grundvoraussetzung, um Nachhaltigkeitsziele durchzusetzen und um endlich auch zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu kommen.

3. Verabschiedung konkreter Umsetzungsstrategien und –programme für eine „Green Economy“ innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen des Planeten. Die Industrieländer stehen in der Verantwortung, Vorreiter bei der Transformation des Wirtschafts- und Entwicklungsmodells zu sein. Dafür braucht es neben Prinzipien und Zielen die Vereinbarung von Umsetzungsstrategien für alle Transformationsbereiche, beginnend mit Low Carbon Development Strategies und Low Carbon Action Plans.

4. Vereinbarung von armutsorientierten Low Carbon Development Partnerships zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Gerade auch in den armen Ländern bieten erneuerbare Energien, eine klimafreundliche Landwirtschaft und Ressourceneffizienz vielfältige Entwicklungschancen – wenn sie armuts- und beteiligungsorientiert genutzt werden. Erforderlich sind hierfür Finanzierungshilfen und Technologietransfer. Darauf muss die Entwicklungszusammenarbeit ebenso wie die wirtschaftliche Kooperation viel stärker ausgerichtet werden. Das ist uns als Entwicklungswerk ein ganz besonderes Anliegen.

5. Vereinbarung von Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs), die sehr konkret festlegen, wie die volle Verwirklichung der Menschenrechte, die Überwindung von Armut und die Verringerung sozialer Ungleichheit innerhalb der ökologischen Tragfähigkeitsgrenzen erreicht werden sollen. Die Selbstverpflichtungen der Millennium Development Goals zu konkreten Armutsbekämpfungszielen sollen damit erweitert werden.

6. Beendigung der Subventionierung fossiler Energieträger sowie die Regulierung der Finanzmärkte inklusive der Verankerung von Nachhaltigkeitsstandards. Transformation sollte beginnen mit der Beendigung bzw. dem Verbot von Praktiken, die sich als äußerst schädlich erwiesen haben – wie die weltweite Subventionierung von fossilen Energien in Höhe von jährlich rund 600 Milliarden US-Dollar oder die Deregulierung der Finanzmärkte.

Meine Damen und Herren, wir erwarten nicht, dass die Verhandlungen in Rio in allen sechs Punkten zum Abschluss kommen. Wir erwarten aber, dass sie sich in der Abschlusserklärung prominent wieder finden. Und dass mindestens Prozesse definiert und zeitlich festgelegt sind, wie diese Punkte bis spätestens 2015 bearbeitet und entschieden werden. Das ist unser Erfolgskriterium.

„Brot für die Welt“ hat 2011 mit 56,3 Millionen Euro ein sehr gutes Spendenergebnis erzielt. Im Vergleich der letzten zehn Jahre ist es das zweitbeste. Von Spendenmüdigkeit keine Rede! Als Direktorin danke ich allen Spenderinnen und Spendern herzlich für ihre Hilfsbereitschaft und ihr Vertrauen.

2011 haben wir 968 Projekte gefördert. Den Schwerpunkt unserer Arbeit bildete die Förderung nachhaltiger kleinbäuerlicher Landwirtschaft – besonders in Zeiten des Klimawandels. Dazu gehören Anbau, Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, der Faire Handel, Wiederaufforstung, Maßnahmen zum Ressourcenschutz und Finanzierungsinstrumente wie Kleinkreditprogramme.

Zum letzten Mal haben die evangelischen Hilfswerke ihre Bilanzen getrennt vorgestellt, der EED gestern in Bonn und wir heute in Berlin. In dieser Woche werden die Aufsichtsgremien von EED und „Brot für die Welt“ die notwendigen juristischen Beschlüsse fassen, die uns in Zukunft gemeinsam als „Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst“ arbeiten lassen. Wir werden – zusammen mit der Diakonie Deutschland - unter dem juristischen Dach des neuen „Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung“ in die Hauptstadt kommen.

Wir werden dann als Entwicklungswerk wie kein zweites Werk in Deutschland über alle Instrumente der Entwicklungspolitik unter einem Dach verfügen und so unseren Partnern noch besser, da umfassender, beistehen können. Wir werden durch unsere Präsenz in Berlin die Anliegen und Forderungen unserer Partner aus dem Süden und Osten noch umfangreicher und effektiver gegenüber der Politik zu Gehör bringen können – in gewohnter Unabhängigkeit und Freiheit!

Quelle: Website von "Brot für die Welt"; http://www.brot-fuer-die-welt.de

Hier geht es zum Jahresbericht 2011 [pdf, externer Link, 5,5 MB]





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