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Afrikas letztes Hemd

Von Michael Frein *

Lange hatte die EU ihren ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik günstigere Zölle als anderen Entwicklungsländern eingeräumt. Der Clou an der Geschichte: Die AKP-Länder müssen ihre Märkte im Gegenzug nicht für die EU öffnen. Damit soll es nun bald vorbei sein. Wegen der WTO, sagt die EU. Hintergrund ist, dass die WTO-Ausnahmegenehmigung für die einseitigen Präferenzen Ende dieses Jahres ausläuft.

Die EU nutzt diese Chance für ihre Interessen. Sie will nicht nur die Gütermärkte liberalisieren, sondern auch den Handel mit Dienstleistungen. Das hilft den AKP-Ländern allerdings wenig. Es gibt keine afrikanischen Finanzkonzerne, Energieversorger und Telekommunikationsunternehmen, die auf die europäischen Märkte drängen. Für die Menschen, die in Europa ihre Dienste anbieten wollen, bleiben die Grenzen zudem weitgehend geschlossen. Ausnahme ist etwa das Angebot der EU an die karibischen Staaten, wonach es für Models und Küchenchefs künftig leichter werden soll, ihre Dienste in der EU zu erbringen.

Was die EU noch will, ist, dass ihre Unternehmen von lästigen Investitionsauflagen befreit und bei Staatsaufträgen wie einheimische Anbieter behandelt werden. Das lehnten die AKP-Länder bereits 2003 im mexikanischen Cancún ab, woraufhin die WTO-Konferenz platzte. Nun haben sie das gleiche Problem erneut.

Die EU überfrachtet die Agenda mit ihren offensiven Interessen. Die zahlreichen Erklärungen afrikanischer Handelsminister und Regierungschefs gegen die breite Palette der EU-Wünsche ficht in Brüssel niemanden wirklich an. Dort heißt es, man orientiere sich lediglich an den Wünschen der AKP-Länder. So versucht die EU Freihandelsabkommen durchzudrücken, die in euphemistischer Amtssprache Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) genannt werden. Betroffen sind auch die Gütermärkte, etwa im Bereich Landwirtschaft. Sollten die Abkommen wirklich wie geplant zustande kommen, wird es der EU künftig noch leichter fallen, ihre durch Subventionen künstlich verbilligten Agrarprodukte auf die afrikanischen Märkte zu drücken und die Kleinbauern dort von ihren Einkommensquellen abzuschneiden.

Deshalb fordern Nichtregierungsorganisationen aus AKP-Staaten und der EU einen Stopp der EPA-Verhandlungen (Informationen: www.epa2007.de). Die EU-Ratspräsidentin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat über 20 000 Mails von EU-Bürgerinnen und Bürgern erhalten, die dieses Anliegen unterstützen. In einem Brief an die Kanzlerin, den mehr als 250 europäische Organisationen mittragen, heißt es, die derzeitigen Vorschläge bedeuteten wahrscheinlich für Millionen Menschen weitere Armut und Umweltzerstörung. Vergangene Woche demonstrierten Aktivistinnen und Aktivisten in über 40 Ländern vor den deutschen Vertretungen, in London gab es Aktionen vor allen 26 EU-Botschaften, in Deutschland wurde vor dem Kanzleramt protestiert.

Statt Freihandelsabkommen, die einseitig den EU-Konzernen nutzen, fordern die NGO die EU auf, ihre breite Agenda abzuspecken. Lediglich im Bereich der Güterexporte haben die AKP-Länder wirkliche Exportinteressen. Und im Güterbereich ist Marktöffnung der AKP-Staaten für EU-Konzerne nicht das Gebot der Stunde. Vielmehr gilt es, Kleinbauern, kleine Handwerker und das Wenige, das diese Länder an Industrie haben, vor der überlegenen europäischen Konkurrenz zu schützen. In dieser Richtung muss die EU Alternativen anbieten. Ansonsten können die Armen ihr letztes Hemd gleich nach Brüssel schicken. Vermutlich mit einem europäischen Postdienstleister.

* Der Autor ist Referent für Welthandelspolitik beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in Bonn.

Aus: Neues Deutschland, 27. April 2007



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