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"Gegen die Praxis gezielter außergerichtlicher Tötungen"

Europäisches Parlament verabschiedet eine Erklärung zu den Kampfdrohnen. Beschluss im Wortlaut (deutsch)


Am 27. Februar 2014 verabschiedete das Europäische Parlament einen Beschluss, der sich sehr kritisch mit dem Einsatz bewaffneter Drohnen (Kampfdrohnen) befasst. Die Begründung des Antrags ähnelt sehr stark den Argumenten, wie sich auch von der Friedensbewegung vertreten werden. Sabine Lösing, die außen- und friedenspolitische Sprecherin der LINKEN im Europaparlament, begrüßt in einer ersten Stellungnahme den Beschluss. Sie hebt insbesondere positiv hervor, dass sich das Europaparlament
  • "für ein Verbot außergerichtlicher gezielter Tötungen,
  • für ein Verbot der Entwicklung, der Produktion und des Einsatzes von voll autonomen Waffen ausgesprochen hat und
  • dafür eintritt, bewaffnete Drohnen in die internationalen und europäischen Regime zur Abrüstung und Rüstungsexportkontrolle aufzunehmen."
Es sei das erste Mal, dass das Europaparlament "sich klar und deutlich gegen gezielte Tötungen positioniert" habe. Und sie fährt fort:
"Dennoch bedauere ich sehr, dass sich das EU-Parlament nicht dazu durchringen konnte, den Einsatz von Kampfdrohnen grundsätzlich abzulehnen. Denn Drohnen töten tagtäglich Zivilisten, die als Kollateralschäden entmenschlicht werden. Die Menschen sind der Willkür und ständigen Angst vor einem Angriff ausgeliefert. Sie können weder zu Hochzeiten noch Beerdigungen noch auf den Markt. Eltern schicken ihre Kinder nicht mehr in die Schule, weil sie dort ihr Leben riskieren. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Terror lässt sich nicht mit Terror bekämpfen."
Abschließend fordert die Europaabgeordnete:
"Ich fordere ein vollkommenes Verbot von Kampfdrohnen. Kampfdrohnen sind ein Bombengeschäft für Rüstungskonzerne. Die EU finanziert dieses Geschäft über Forschungsprogramme mit. Die EU muss jegliche Finanzierung von Drohnenprogrammen sofort einstellen."

Dieser Kritik wollen wir uns gern anschließen. Dennoch bleibt der Fortschritt, dass sich das EU-Parlament mit der Thematik befasst und der Entwicklung von Kampfdrohnen, insbesondere ihrer automatisierten Form, eine Absage erteilt hat.

Im Folgenden dokumentieren wir den vollständigen Wortlaut der Resolution, die mit 534 gegen 49 Stimmen verabschiedet wurde.


GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

zum Einsatz von bewaffneten Drohnen ((2014/2567(RSP))
eingereicht gemäß Artikel 110 Absätze 2 und 4 der Geschäftsordnung (...)

José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, Arnaud Danjean, Michael Gahler, Tunne Kelam, Krzysztof Lisek, Elena Băsescu, Roberta Angelilli, Anne Delvaux im Namen der PPE-Fraktion
Libor Rouček, Maria Eleni Koppa, Ana Gomes, Richard Howitt, Tonino Picula, Pino Arlacchi, Liisa Jaakonsaari im Namen der S&D-Fraktion
Annemie Neyts-Uyttebroeck, Sarah Ludford, Phil Bennion, Marietje Schaake, Norica Nicolai, Ramon Tremosa i Balcells, Louis Michel, Jelko Kacin, Nathalie Griesbeck, Izaskun Bilbao Barandica, Sonia Alfano im Namen der ALDE-Fraktion
Barbara Lochbihler, Tarja Cronberg, Jean Lambert, Rui Tavares, Reinhard Bütikofer, Judith Sargentini, Ulrike Lunacek, Nicole Kiil-Nielsen, Raül Romeva i Rueda, Iñaki Irazabalbeitia Fernández im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Sabine Lösing im Namen der GUE/NGL-Fraktion

Entschließung des Europäischen Parlaments zum Einsatz von bewaffneten Drohnen ((2014/2567(RSP))

Das Europäische Parlament,

– unter Hinweis auf die Berichte über den Einsatz bewaffneter Drohnen, die vom UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen am 28. Mai 2010 und am 13. September 2013 sowie vom UN-Sonderberichterstatter über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus am 18. September 2013 vorgelegt wurden,

– unter Hinweis auf die Erklärung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon vom 13. August 2013 über den Einsatz bewaffneter Drohnen,

– unter Hinweis auf die Anhörung vom 25. April 2013 zu den Folgen des Einsatzes von Drohnen für die Menschenrechte, die vom Unterausschuss Menschenrechte des Europäischen Parlaments gemeinsam mit dem Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung organisiert wurde,

– unter Hinweis auf seine Studie mit dem Titel „Folgen des Einsatzes von Drohnen und unbemannten Robotern in der Kriegsführung für die Menschenrechte“ vom 3. Mai 2013,

– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 19. und 20. Dezember 2013 über die Vorarbeiten zu einem Programm für die nächste Generation von europäischen ferngesteuerten Flugsystemen (RPAS) für mittlere Flughöhen mit großer Reichweite,

– gestützt auf Artikel 110 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass der Einsatz ferngesteuerter Flugsysteme (RPAS, nachfolgend „Drohnen“) im Rahmen tödlicher extraterritorialer Militäroperationen in den letzten 10 Jahren stark angestiegen ist;

B. in der Erwägung, dass die Zahl der Zivilisten, die bisher bei Drohnenangriffen außerhalb der als Konfliktgebiete deklarierten Gebiete getötet, schwer verletzt oder traumatisiert und aus ihrem Lebensalltag gerissen wurden, nicht bekannt ist;

C. in der Erwägung, dass Staaten verpflichtet sind, umgehend unabhängige Untersuchungen einzuleiten, wenn der Verdacht besteht, dass bei Drohnenangriffen Zivilisten getötet wurden, und dass sie, wenn dieser Verdacht sich bestätigt, dazu verpflichtet sind, die Verantwortlichen öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen und den Familien der Opfer Zugang zu Rechtsmitteln zu gewähren sowie Schadensersatz zu leisten;

D. in der Erwägung, dass nach Artikel 51 Absatz 2 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen gilt, dass „[d]ie Anwendung oder Androhung von Gewalt mit dem hauptsächlichen Ziel, Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, [...] verboten [ist]“;

E. in der Erwägung, dass Drohnenangriffe eines Staates auf außerhalb des erklärten Kriegsgebiets liegende Gebiete eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung oder die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats einen Verstoß gegen das Völkerrecht und eine Verletzung der territorialen Integrität und der Souveränität des betroffenen Landes darstellen;

F. in der Erwägung, dass nach den internationalen Menschenrechtsvorschriften willkürliche Tötungen grundsätzlich verboten sind; in der Erwägung, dass die gezielte Tötung von Menschen in nicht kriegsführenden Staaten nach dem humanitären Völkerrecht nicht zulässig ist;

G. in der Erwägung, dass sieben Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, die Niederlande, Polen und Spanien) mit der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) eine Absichtserklärung unterzeichnet haben, in der sie die Agentur mit einer Studie über die gemeinsame Produktion von MALE-Drohnen (Drohnen für mittlere Flughöhen mit großer Reichweite) beauftragen, die für Angriffe auf militärische Ziele oder zur Überwachung von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer eingesetzt werden können; in der Erwägung, dass damit die Arbeit an einem europäischen ferngesteuerten Flugsystem (RPAS) beginnt;

H. in der Erwägung, dass Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die der Konstruktion von Drohnen – sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke – gewidmet sind, mit EU-Mitteln gefördert wurden und dass diese Förderung in Zukunft fortgesetzt werden soll;

1. ist über den Einsatz bewaffneter Drohnen außerhalb des internationalen Rechtsrahmens zutiefst besorgt; fordert die EU nachdrücklich auf, sowohl auf der europäischen als auch auf der internationalen Ebene eine politische Lösung zu erarbeiten, um angemessen darauf zu reagieren und für die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts einzutreten;

2. fordert die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, die Mitgliedstaaten und den Rat auf,

a) sich gegen die Praxis gezielter außergerichtlicher Tötungen auszusprechen und diese Praxis zu verbieten,

b) dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren rechtlichen Verpflichtungen keine rechtswidrigen gezielten Tötungen verüben oder solche Tötungen durch andere Staaten begünstigen,

c) bewaffnete Drohnen in die einschlägigen europäischen und internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollregelungen aufzunehmen,

d) die Entwicklung, Produktion und Verwendung von vollkommen autonom funktionierenden Waffen, mit denen Militärangriffe ohne Mitwirkung des Menschen möglich sind, zu verbieten,

e) dafür zu sorgen, dass Maßnahmen im Einklang mit den Verpflichtungen im Rahmen des innerstaatlichen Rechts und des Völkerrechts getroffen werden, sobald Grund zu der Annahme besteht, dass eine Person oder eine Organisation in ihrem Rechtsgebiet mit im Ausland verübten rechtswidrigen gezielten Tötungen in Verbindung gebracht werden kann,

f) die Arbeit und die Umsetzung der Empfehlungen des UN-Sonderberichterstatters über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen und des UN-Sonderberichterstatters über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus zu unterstützen;

3. fordert den Rat auf, einen gemeinsamen Standpunkt der EU zum Einsatz bewaffneter Drohnen anzunehmen;

4. fordert die EU auf, darauf hinzuwirken, dass Drittländer in Bezug auf die Rechtsgrundlage für den Einsatz bewaffneter Drohnen und den verantwortungsvollen Umgang mit dieser Technologie mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht walten lassen, damit Drohnenangriffe gerichtlich überprüfbar sind und sichergestellt werden kann, dass die Opfer rechtswidriger Drohnenangriffe effektiv Zugang zu Rechtsbehelfen erhalten;

5. fordert die Kommission darüber hinaus auf, es über die Verwendung von EU-Mitteln für Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die der Konstruktion von Drohnen gewidmet sind, jederzeit ordnungsgemäß zu unterrichten; fordert, dass bei künftigen Projekten zur Entwicklung von Drohnen Folgenabschätzungen in Bezug auf die Menschenrechte durchgeführt werden;

6. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission / Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, den Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, dem UN-Sonderberichterstatter über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus und dem UN-Generalsekretär zu übermitteln.

Verabschiedet am 27. Februar 2014; Quelle: Website des Europäischen Parlaments; http://www.europarl.europa.eu


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