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"Präzise" gegen Zivilisten

US-Militärstudie: Drohnen wirken zehnmal mörderischer als Kampfflugzeuge. UN-Sonderberichterstatter fordert Offenlegung der Daten

Von Frank Brendle *

Angriffe mit bewaffneten Drohnen verursachen in Afghanistan zehnmal mehr zivile Opfer als Angriffe mit bemannten Kampfflugzeugen. Das ergibt eine Studie eines staatlich finanzierten US-Forschungszentrums, über die der britische Guardian in der vergangenen Woche berichtete. Offiziell verteidigen die USA Drohnenangriffe als Mittel, »gezielte« Schläge gegen Aufständische durchzuführen. Erst im Mai hatte Präsident Barack Obama behauptet, mit Drohnen würde »präziser« getötet als mit Flugzeugen. Diese Aussage wird in der Studie des Center for Naval Analyses [externer Link] widerlegt. Das Zentrum dient der wissenschaftlichen Beratung des Pentagon. Der Hauptautor, Larry Lewis, konnte interne Angaben des Militärs über zivile »Kollateralschäden« bei Angriffen mit Drohnen sowie mit Flugzeugen nutzen. Wegen der Geheimhaltung veröffentlicht er zwar keine konkreten Zahlen, das Fazit allerdings teilte er dem ­Guardian mit: Angriffe mit Drohnen »waren zehnmal tödlicher für afghanische Zivilisten als Angriffe mit Kampfflugzeugen«.

Im untersuchten Zeitraum von Mitte 2010 bis Mitte 2011 hatte es nach Angaben des Guardian die meisten Luftschläge des US-Militärs im Afghanistan-Krieg gegeben. Allein im Februar 2011 sollen es zehn Angriffe pro Tag gewesen sein. Seither ging die Gesamtzahl der Bombardements zurück, die Zahl der Drohnenattacken hat sich aber im Jahr 2012 noch um fünf Prozent auf 447 erhöht. Lewis schlußfolgert aus den Ergebnissen, Drohneneinsätze müßten »verbessert« werden. Die Studie nennt als Hauptursache der mörderischen Wirkung von Drohnen unter der Zivilbevölkerung ein Ausbildungsproblem: Drohnen-Lenker, die häufig fernab vom Kriegsgeschehen agieren, seien nicht ausreichend darauf trainiert worden, zivile Opfer zu vermeiden. Die schlechte Ausbildung wiederum sei eine Folge des politischen und militärischen Drucks, Drohnen-Angriffe auszuweiten.

Daß Drohnen-Lenker schneller auszubilden sind als »richtige« Piloten, kann man aber auch so interpretieren, daß Drohnen prädestiniert sind, noch mörderischer zu wirken. Eigen ist ihnen zudem der Einsatz in abgelegenen Regionen, wohingegen Angriffe von Kampfflugzeugen in der Regel auf Anforderung von Bodentruppen erfolgen, die zuvor eine mehr oder weniger sorgfältige Aufklärung des Schauplatzes vornehmen. Zudem operiert neben dem Militär auch die CIA mit Kampfdrohnen und folgt dabei anderen Einsatzregeln. Die deutlich fatalere Wirkung von Drohnen ist auch völkerrechtlich relevant: Kriegsparteien dürfen Zivilisten nicht »unverhältnismäßig« in Mitleidenschaft ziehen.

Der UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche Tötungen fordert nun, die US-Regierung müsse das gesamte Datenmaterial offenlegen, damit die Folgen der Angriffspraxis gründlich untersucht werden können. Die Informationslage über die militärische Entwicklung in Afghanistan wird allerdings tendenziell schlechter: Das ISAF-Kommando hat Ende Juni seine täglichen Operationsberichte eingestellt und verweist nun auf die offiziellen Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul. Über dessen Informationen urteilte aber selbst die Bundesregierung vor zwei Wochen gegenüber dem Bundestag, sie wiesen eine »deutlich abnehmende Belastbarkeit« auf. Dennoch überschrieb ISAF seine Mitteilung mit »Fortschritt in Afghanistan«.

Nachdem die EU-Geheimdienste intern schon das Scheitern des westlichen Besatzungskonzeptes eingestehen (jW vom 29. Juni 2013), wird dies jetzt auch durch den vor wenigen Tagen erschienenen Jahresbericht der UN-Drogenbehörde erhärtet: Afghanistan habe »seine Position als führender Hersteller von Opium gehalten«, heißt es darin. Mit 131000 Hektar befindet sich fast die Hälfte der weltweiten Anbaufläche des Rauschmittels am Hindukusch. Der afghanische Anteil an der weltweiten Opiumproduktion liegt bei 74 Prozent. Nicht Taliban und westliche Militärs, sondern allein ungünstige Wetterverhältnisse haben den Drogenbaronen im vergangenen Jahr die Ernte verhagelt.

* Aus: junge Welt, Montag, 8. Juli 2013

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