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Das ist kein Zufall

Die afghanische Opium-Produktion erreicht eine neue Rekordhöhe

Von Mike Whitney *

2014 war ein höchst erfolgreiches Jahr für Afghanistans boomende Opium-Industrie. Laut einer letzten Mittwoch veröffentlichten jährlichen UN-Untersuchung erreichte der Opium-Anbau einen neuen Rekord, mit einem eindrucksvollen Jahr-für-Jahr Anstieg um 7 Prozent und beinahe 50 Prozent seit 2012. Gegenwärtig produziert Afghanistan 80 Prozent des Heroins der Welt, was Milliarden von Dollars an illegalen Profiten für die mächtige Drogenmafia generiert. Der Heroin-Handel und Anbau blühten unter der militärischen US-Besatzung und verwandelten Afghanistan in eine dysfunktionale Drogen-Kolonie.

Leser, die die Ereignisse in Afghanistan verfolgen, werden sich erinnern, dass die Taliban den Mohn-Anbau praktisch ausgeschaltet hatten, bevor Bush und Cheney ihren Krieg in 2001 starteten. Das Pentagon verkehrte diese Leistung in ihr Gegenteil durch die Einsetzung genau der blutrünstigen Warlords, die vor den Taliban an der Macht waren. Natürlich begann diese Ansammlung von Psychopathen, die von westlichen Medien als „Nord-Allianz“ gepriesen wurden, genau dort, wo sie aufgehört hatte und sie nahmen ihre Drogen-Operation wieder auf, womit sie ihren eigenen Reichtum und ihre Macht um ein vielfaches steigerten und gleichzeitig die schier unersättliche Nachfrage nach Heroin in den Metropolen Europas und Amerikas bedienten.

In einem Artikel Donnerstag in der New York Times behauptet Rod Nordland, dass der kürzliche Anstieg in der Produktion den afghanischen Wahlen zugeschrieben werden kann. Er äußerte sich folgendermaßen:

„Die acht-monatigen Präsidentschafts- und Provinz-Wahlen… beeinflussten die Opium-Produktion nicht nur durch die steigenden Forderungen seitens der Politiker nach Wahlkampf-Geldern, sondern auch durch das Umlenken von polizeilichen und militärischen Ressourcen auf die Wahlen und weg von der Opiumanbau-Zerstörung."

Die Opiumernten-Vernichtung fiel um 63 Prozent von 2013 bis 2014, sagte der Bericht. Derartige Änderungen wurde in nahezu allen Provinzen beobachtet, wo Ernte-Zerstörungen im Gange waren…

Andrey Avetisyan, eine früherer russischer Botschafter in Afghanistan und jetzt Leiter der UN-Drogen-Agentur vor Ort, sagte, dass UN-Offizielle sich mit den neu-gewählten Präsidenten Ashraf Ghani kürzlich getroffen hätten und von seinem besorgten Interesse ermutigt wurden. Er verstand sehr gut, dass Drogenhandel die normale wirtschaftliche Entwicklung erstickt“, sagte Mr. Avetisyan. „Wir sind sehr optimistisch.“ (Afghanischer Opium-Anbau steigt auf Rekordhöhen, New York Times).

Darüber lohnt es sich eine Minute nachzudenken. Nordland gibt zu, dass die Produktion anstieg wegen der „steigenden Nachfrage seitens der Politiker für Wahlkampf-Finanzierung“, nimmt dann aber eine Kehrtwendung vor und sagt, dass dieselben Politiker (wie der neue Präsident Ashraf Ghani) die Vernichtung der Opiumernte unterstützen. Was für einen Sinn soll das ergeben? Will Nordland etwa sagen, dass afghanische Politiker die Vernichtung nur unterstützen, wenn sie kein Geld benötigen, aber im anderen Falle sofort eine Kehrtwendung vornehmen?

Es verdient festgehalten zu werden, dass Washingtons neuer Mann in Kabul, Präsident Ashraf Ghani Ahmadzai, einen Master-Abschluss der Columbia-University erhielt, an der John Hopkins University von 1983 bis 1991 lehrte und 1991 zur Weltbank kam. In anderen Worten, er besitzt den perfekten Stammbaum für die Rolle einer einfachen Handpuppe, die das tut, was Washington ihr diktiert.

Es verdient weiterhin festgehalten zu werden, dass Ghani eine umstrittene Sicherheitsvereinbarung unterzeichnete, die US-Kampftruppen erlaubt, auch nach der formalen Beendigung der Besatzung im Land zu bleiben. (Die US-Truppen werden auch vollständige Strafverfolgungs-Immunität genießen.) Karzai hatte sich geweigert in diesem Punkt nachzugeben, was ihn zur persona non grata im Weißen Haus machte, aber der nur zu gern willfährige Ashraf unterzeichnete das Dokument am Tag nach seinem Amtseid. Hier ist der Beitrag dazu von der Washington Post:

„Die Vereinigten Staaten und Afghanistan unterzeichneten am Dienstag eine unerlässliche (vital), lang aufgeschobene Sicherheitsvereinbarung, die fast 10.000 amerikanischen Truppen erlaubt, noch nach dem endgültigen Abzug der US- und internationalen Kampftruppen dieses Jahr im Land zu bleiben."

Das Bilaterale Sicherheits-Abkommen (BSA) und ein gesonderter Pakt mit der NATO erlauben das fortgesetzte Ausbilden und Beraten afghanischer Sicherheitskräfte, wie auch Anti-Terrorismus-Operationen gegen die Reste von al-Kaida. Die Unterschriften unter diese Dokumente erfolgen zu einem Zeitpunkt, an dem aufständische Taliban ihre Angriffe steigern in dem Bemühen, in Antizipation des Abzugs der Kampftruppen ihre Kontrolle über Gebiete zu erweitern.

Die Vereinbarung wurde einen Tag nach dem Amtseid des neuen afghanischen Präsidenten in einer die Macht aufteilenden Regierung unterzeichnet, womit die erste demokratische Machtübergabe in der Geschichte des Landes erfolgte. Ghanis Vorgänger, Hamid Karzai, der dem Land vorstand seit kurz nach der Vertreibung der Taliban von der Macht in 2001, hatte sich geweigert, diese Vereinbarung zu unterschreiben und damit die Beziehungen mit Washington empfindlich verschlechtert.“ (Die USA und Afghanistan unterzeichnen einen unerlässlichen und lang aufgeschobenen Sicherheits-Pakt, Washington Post)

Man kann also sehen, warum sie Ghani in Washington lieben. Der Mann ist eindeutig bereit, seinen Strippenziehern im Weißen Haus jeden Gefallen zu erfüllen.

Es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass Ghani härter mit den Mohn-Anbauern oder Drogen-Händlern umspringen wird. Das ganz ist doch ein Witz. Und außerdem verfügt Ghani nicht über die Ressourcen für einen derartigen Krieg. Er kann keine Kampftruppen entsenden zur Zerstörung der Felder, oder zur Jagd auf die Hauptpersonen, oder die Gelder auf verdächtigen Bankkonten einfrieren. Nur die USA verfügen über diese Art von Macht, und die sind daran nicht interessiert. So erklärt der Bericht des Office of the Special Inspector General für Afghanistan Reconstruction:

„Der gegenwärtige Höchststand des Opium-Anbaus stellt die langfristige Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der bisherigen Bemühungen in Frage…Bei der Schwere des Opium-Problems und seinem Potenzial, die US-Ziele für Afghanistan zu unterminieren, schlage ich dringend vor, dass ihr Ministerium bei der Planung zukünftiger Initiativen die Trends im Opium-Anbau und die Wirksamkeit der Drogenbekämpfungsmaßnahmen der Vergangenheit berücksichtigt.“ (CNN)

„Drogenbekämpfungsmaßnahmen“? Es gab keine Drogenbekämpfungsmaßnahmen! Die USA hat während der letzten 14 Jahre keinen Finger gerührt gegen den ansteigenden Drogenhandel.

Man zeige mir auch nur eine Schlagzeile der letzten zehn Jahre, wo US-Agenten auch nur einen großen Drogen-Händler in Afghanistan aufgriffen. Die PR-Abteilung in Washington macht sich noch nicht einmal die Mühe, mit gefälschten Fotos von haushohen Stapeln ergriffener Kilopackungen Heroins oder von zweifelhaft aussehen Ganoven, die mit Augenbinden und in Handschellen den Medien vorgeführt werden. Das wird nicht gemacht, weil man sich nicht darum schert, was die Öffentlichkeit darüber denkt. Man tut sogar einen UN-Bericht mit einem Achselzucken ab. Das Außenministerium gab eine nichtssagende Erklärung ab, man sei „enttäuscht“, während ein Sprecher des Pentagons, Michael Lumpkin, äußerte, „Unserer Meinung nach beruht das Versagen bei der Reduzierung der Mohnernte und der Steigerung von deren Zerstörung auf einem Mangel an afghanischer Regierungsunterstützung für das Unternehmen.“

Also klar: in anderen Worten, gebt Karzai die Schuld. Wie aber steht es da mit der Verantwortlichkeit?

Was läuft hier also ab? Erlauben die USA tatsächlich einer illegalen multi-milliarden-Dollar Industrie unter ihren Augen sich zu entwickeln (ohne irgendein Eingreifen), oder gibt es da eine Dimension in dieser Angelegenheit, die in den Schlagzeilen fehlt? Das führt uns natürlich in den Bereich der Spekulationen, den die Medien für Tabu halten, nämlich die Aussicht, dass US-Geheimdienst-Agenturen irgendwie darin verwickelt sind. Wie der Journalist Alexander Cockburn vor einigen Jahren aufzeigte:

„Es gibt gewisse Dinge, die man in den Amerika nicht öffentlich sagen sollte… Ein Haupt „No-no“ ist, zu sagen, dass die Komplizenschaft der CIA mit kriminellen Drogenbanden vom heutigen Afghanistan zurückreicht bis in das Gründungsjahr der Behörde in 1947.“ (Warum sie Gary Webb hassten, Alexander Cockburn, in: CounterPunch)

Ist das der Grund, warum Afghanistan zum größten Heroin-Produzenten aufgestiegen ist, weil die CIA irgendwie darin involviert ist?

Das ist schon recht wahrscheinlich, auch wenn ich vermute, dass es weniger mit Gier zu tun hat als mit Politik. Schließlich verhilft die Produktion und der Handel mit Drogen den USA dazu, ihre strategischen Ziele in Afghanistan zu erreichen, als da wären, die Öffentlichkeit zu beruhigen, die Loyalität der Warlords zu bewahren und das Land für die Ausbeutung der Bodenschätze und Errichtung militärischer Stützpunkte zu öffnen. Solange die Warlords ihr Schmiergeld erhalten, sind die USA in der Lage, eine gewisse Kontrolle über das Hinterland abseits von Kabul zu bewahren, was einen großen Teil der Strategie darstellt. Und hier ist der Klappentext eines Artikels von Alexander Mercouris, betitelt „Das Reich des Chaos und der Krieg gegen die Drogen“ (The Empire of Chaos und the War on Drugs) der eine kurze Geschichte der Verwicklung der CIA in den Drogenhandel gibt:

„…während des französischen Kriegs in Indochina wandte sich der SDECE (der französische Geheimdienst)… an die French Connection (die französische Drogen-Mafia, d. Übers.), um den Heroinhandel zu organisieren, teilweise, um die eigenen Operationen gegen die vietnamesischen Kommunisten zu finanzieren. Nach dem Abzug der Franzosen wurde diese Operation von der CIA übernommen, mit Mohnpflanzen, die in dem jetzt als Goldenes Dreieck bekannten Gebiet von CIA-unterstützen chinesischen Drogenhändlern, die mit der anti-kommunistischen Kuomintang, die China vor der kommunistischen Machtübernahme 1949 regierten, liiert waren, angebaut und verarbeitet wurden. Das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen des USA und den Drogenhändlern ging so weit, dass in den 1960ern die CIA sogar Flüge organisierte, die Heroin von Südost-Asien in die USA transportierten."

Das Ausmaß der Absprache von CIA und SDECE mit der French Connection und den chinesischen Drogenhändlern in Südost-Asien wurde 1972 enthüllt von dem US-Historiker Alfred W. McCoy in dem bedeutenden Buch „The Politics of Heroin: CIA involvement in the Global Drug Trade“ (erste Ausgabe 1973, dritte Ausgabe 2003)…

Das Zentrum des Opium-Anbaus verschob sich dann nach Afghanistan, wo sich das gleiche Muster reproduzierte. Die Hauptanbauer und –händler von Opium und Heroin waren kooperierende Kriminelle und Gangster, die einen großen Teil der sogenannten Mudschahedin, dem islamischen Dschihad-Aufstand ausmachten, der in den 1980ern von der CIA unterstützt wurde, weil sie die Sowjetunion bekämpften. Diese Kriminellen, deren notorischster Vertreter der afghanische Warlord und Drogenhändler Gulbuddin Hekmatyar ist, nutzten den sowjetischen Krieg in Afghanistan als Deckmantel und Schutz für ihre kriminellen Aktivitäten. Später bildeten viele dieser Leute den Kern der sogenannten Nord-Allianz, die im Verbund mit den USA die Taliban 2001 stürzte und die neue Regierung bildete, die seither Afghanistan an der Macht ist. Die Taliban hatten versucht, den Opium-Anbau und den Heroin-Handel zu zerschlagen. Nach ihrem Sturz kam beides mit voller Wucht zurück…

Vielen Menschen ist vielleicht noch vage bewusst, dass die Kokain-Produktion in Kolumbien in den 1970ern und 1980ern losging, zu einer Zeit, als die rechte pro-US Regierung einen Krieg gegen eine links-gerichtete Guerilla, bekannt als FARC, führte, und dass dieser Krieg bis heute andauert…

Was noch weniger Menschen wissen ist, dass in diese Wiederholung der Ereignisse in Südost-Asien in den 1960ern und Afghanistan in den 1980ern und in die Ursache für den explosionsartigen Anstieg des lateinamerikanischen Kokainhandels, die CIA involviert war. In den 1980ern bildete die CIA eine Allianz mit den kolumbianischen Drogen-Baronen, um die Contras zu unterstützen, die rechte Aufstandsbewegung, die mit Unterstützung der CIA die linke Sandinistische Regierung in Nikaragua stürzen sollte. Mit CIA-Förderung wurden die Contras selbst involviert in den Kokain-Handel, wie auch die übrigen rechts-gerichteten para-militärischen Gruppen, die die CIA gleichzeitig in El Salvador während des Bürgerkrieges dort unterstützte. Der entscheidende Transit-Korridor für diese kolumbianischen Drogen war Mexiko; die Person, die den Kokain-Handel kontrollierte, Miguel Callardo, war ein Gangster der bekanntermaßen mit der CIA zusammenarbeitete. Gallardo ist der anerkannte Pate all der verschiedenen üblen mexikanischen Drogen-Kartelle, die seitdem in Mexiko emporgeschossen sind und die Teile des Landes in einen faktischen Kriegszustand versetzt haben…

Das Eingeständnis der CIA über ihre Rolle bei der Schaffung des modernen Kokain-Handles ist wenig bekannt und wird kaum erwähnt in den USA. Ein Blick auf den gegenwärtigen Zustand des Heroin-Handels macht es bitterlich offenbar, dass sich nichts geändert hat und dass nichts gelernt wurde.“ (Empire of Chaos and the War on Drugs, Alexander Mercouris, in: Sputnik)

Kann man da nicht ein Muster erkennen? Es geht dabei nicht um Profite. Es geht um das Zerschlagen von Arbeiter-Organisationen, linken Bewegungen und jeglicher Graswurzelbewegung, die das plutokratische System der Wohlstandsverteilung bedroht. Um dies Ziel zu erreichen würde sich Washington selbst mit Dschihadisten und Neo-Nazis ins Bett legen, wie auch mit Drogen-Baronen und Narco-Bossen. Was sie übrigens auch bereits getan haben!

Entscheidend ist, Afghanistans Rekordernte ist kein Zufall. Es ist eine Form der sozialen Kontrolle, die in Washingtons breitere strategische Ziele zur Bewahrung einer permanenten militärischen Präsenz in Zentral-Asien und der Öffnung des Landes für die Rohstoffausbeutung passt. Die Zunahme der Drogen hilft dabei, die „Kleinen“ bei der Stange zu halten, damit die Erwachsenen dann das Geschäft der Ausplünderung weiter betreiben können.

Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken

* Originalartikel: It's No Accident. Afghan Opium Production Hits All-Time High. by MIKE WHITNEY, Weekend Edition November 14-16, 2014. In: www.counterpunch.org


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