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Im Dollar-Rausch

Endlich Bewegung in der Drogenpolitik?

Von Tobias Riegel *

Die Air America brachte nur den besten Stoff. Reinstes Kokain aus Lateinamerika. Kisten-, paletten-, tonnenweise. Die Bäuche regierungseigener Frachtflugzeuge, vollgestopft mit weißem Pulver, gesteuert von Piloten des Geheimdienstes CIA. Desperados, denen die US-Army das Landen auf Buckelpisten im Dschungel antrainiert hatte. Potenzielle Kunden: die US-Bevölkerung. Die Ladung auf dem Rückflug gen Süden: Bargeld und Waffen für rechtsextreme Rebellen gegen eine nicht genehme Regierung.

Vergangene Woche hat Uruguay als erstes Land der Erde den Cannabishandel und -Konsum vollständig entkriminalisiert. Es ist möglich, dass auch das oben geschilderte Szenario des Iran-Contra-Skandals aus den 80er Jahren zu jener klugen Entscheidung geführt hat. Die kann nur ein erster Schritt sein, hat aber das Zeug zum Symbol im Kampf gegen den Wahnsinn des internationalen Drogenverbots. Sie beglückt weniger den Kiffer, als dass sie für politische Schockwellen sorgen kann.

Denn für Konsumenten ändert sich nicht viel. Bereits jetzt kann man ohne Orts- und Szenekenntnis in jeder mittleren Großstadt der westlichen Hemisphäre die gesamte Drogenpalette besorgen – vom Joint bis zum Heroin. Das beschreibt die eine, harmlosere, Seite des »Kriegs gegen die Drogen«: seine totale Wirkungslosigkeit.

Wer Gras rauchen möchte, tut das bereits. Dasselbe gilt für Heroin-Konsumenten. Bei geltender Rechtslage setzen sich diese Menschen allerdings der Willkür von Dealern und Polizei aus. Und sie speisen ihr Geld in einen Kreislauf ein, der in Form von Spekulationsblasen und automatischen Waffen seine zerstörerische Kraft weltweit entfaltet.

Es geht nicht darum, Drogenkonsum zu glorifizieren. Ein drogenfreies Leben ist anzustreben. Es ist jedoch nicht die Regel. Die Frage ist nicht, ob man auf dem Marktplatz einen Joint rauchen darf. Sondern ob es sich ein Staat leisten kann, große Mengen an Steuergeldern nicht zu nutzen und sie statt dessen destabilisierenden Gruppen internationaler Gangster zu überlassen.

Westeuropa und die USA gehören zu den größten Drogenimporteuren. Die Staaten mit der schrillsten Moral im Vokabular – sie sind die erbärmlichsten Junkies. Doch büßen müssen für unsere natürliche Gier nach Rausch vor allem die Herkunfts- und Transitländer in Asien und Lateinamerika.

Nicht nur, dass die Verteilungskämpfe dort stattfinden. Dadurch, dass große Teile der Profite in EU- oder US-Banken gewaschen werden, fließt zudem ein steter Strom an Kapital aus Mexiko, Afghanistan oder Laos in den »westlichen« Finanzkreislauf.

Kein Wunder, dass Vicente Fox, Ex-Präsident von Mexiko, laut »Spiegel« mittlerweile ebenfalls die Entkriminalisierung von Drogen fordert. Einst schickte er das Militär gegen das organisierte Verbrechen in die »Mutter aller Schlachten«. Heute sagt er, der Krieg sei »total gescheitert«. Otto Pérez Molina, Präsident von Guatemala, hat sich ähnlich geäußert.

Bis zu einer Billion an Drogen-Dollar werden laut US-Senat jedes Jahr durch das Bankensystem geschleust. Die Hälfte davon waschen laut Senatoren US-Banken – bis zu 500 Milliarden Dollar jährlich. Eine gewaltige Summe, die gar nicht ohne Weiteres aus dem Kreislauf entfernt werden kann: Ein beachtlicher Teil des jährlichen Cashflows der Wall Street entspringt der Koka-, Cannabis- oder Schlafmohnpflanze.

Ertappt beim Reibach mit der »Geißel der Menschheit« Kokain wurde zuletzt die größte europäische Bank, die britische HSBC. 1,9 Milliarden Dollar musste sie im Dezember bezahlen, um ein Strafverfahren wegen Drogengeldwäsche abzuwenden. Es ist das größte Bußgeld aller Zeiten – für die Investmentbank (Bilanzsumme 2012: 2,6 Billionen Dollar) dennoch ein Trinkgeld.

Sieben Milliarden Dollar soll die HSBC allein 2007/08 für Teile der mexikanischen Drogenelite gewaschen haben, die mit dem Geld sehr wahrscheinlich auch Waffen zur Machtsicherung kauften. Laut mexikanischer Regierung kamen in dem Land bei Verteilungskämpfen von 2006 bis 2012 etwa 70 000 Menschen ums Leben. Bürgerinitiativen sprechen sogar von bis zu 100 000 Opfern.

Wer heute noch der Prohibition das Wort redet, erledigt das Geschäft der Mafia. Doch in der deutschen Drogendebatte wirkt es noch immer: das angestaubte Schreckgespenst des Dealers, der unseren Kindern auf dem Schulhof auflauert. Wird das beschworen, ist eine sachliche Diskussion meist nicht mehr möglich. Auch wenn das Bild grundfalsch ist: Eher rennen unsere Kinder dem Dealer die Türe ein. Und wer sie schützen möchte, sorgt für Aufklärung und reinen Stoff – und für einen Therapieplatz.

Die gültige Einteilung in legale und illegale Drogen ist nicht nachvollziehbar. Eine körperliche Abhängigkeit von Cannabis ist nicht belegt. Ein Alkoholentzug dagegen ist langwierig und qualvoll. Der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung kennt zwei Millionen Konsumenten – aber keine Cannabistoten. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind dagegen pro Jahr etwa 74 000 Alkoholtote zu beklagen. Diese verursachen einen volkswirtschaftlichen Schaden von 24 Milliarden Euro. Zigaretten töten nach Angaben der Deutschen Krebshilfe in Deutschland jährlich etwa 140 000 Menschen.

Was dieser Text aber nicht einfordert, ist eine Beschränkung des Alkohol- oder Zigarettenhandels. Vielmehr sollten alle verbotenen Substanzen, einschließlich Heroin, komplett legalisiert und unter strenges staatliches Monopol gestellt werden. Ein konsequentes Werbeverbot für Drogen indessen muss Alkohol und Zigaretten einschließen.

Eine Legalisierung wird drogenbedingte Probleme nicht aus der Welt schaffen – aber sie steht am Anfang jeder positiven Veränderung. Ein mögliches Modell: Der afghanische Staat kauft die Opiumernte seiner Bauern. Der deutsche Staat kauft von ihm die benötigte Menge, verarbeitet sie zu Heroin und verteilt es an Apotheken. Der Verkauf wird besteuert. Zusätzliche Mittel werden durch die entfallende Strafverfolgung verfügbar. Auch die Kosten durch Beschaffungskriminalität sinken. Mit all diesen Geldern werden massive Aufklärungs- und Anti-Drogen-Programme gestartet. Jedem Suchtkranken wird ein Therapieplatz angeboten. Fixerstuben mit geschulten Streetworkern und Einwegspritzen werden in jeder Großstadt eingerichtet. Aids und Hepatitis werden nicht mehr übertragen. Verelendung ist nicht mehr Strafe für Suchtkrankheit. Die offenen Szenen verschwinden aus dem Stadtbild. Gegen verbleibende Schwarzmärkte wird konsequent eingeschritten. Um die Polizei-Korruption einzudämmen, werden die wenigen verbliebenen Drogendezernate erheblich besser bezahlt, das Personal muss rotieren. Afghanistan investiert die Opiumgelder in nachhaltige Projekte, um den Bauern langfristig Alternativen zum Drogenanbau zu bieten.

Vorerst jedoch steht der Verfolgungseifer gegenüber Konsumenten »harter« Drogen noch in keinem Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Relevanz und den Opferzahlen. 2011 gab es laut Bundesregierung 279 Tote durch eine Überdosis Heroin. Und auch die wären möglicherweise vermeidbar gewesen. Heroin von konstanter Reinheit kann mit der nötigen Aufklärung über Jahrzehnte zumindest theoretisch ohne Lebensgefahr konsumiert werden.

Fehlinformation über bestimmte Substanzen wird betrieben, seit US-Verleger Randolph Hearst in den 30er Jahren begann, Hanf aus wirtschaftlichen Gründen zu dämonisieren. Ein Fundament, auf das US-Präsident Richard Nixon 1970 mit seinem Drug-Control-Act aufbauen konnte. Über 40 Jahre wütet er nun, der von ihm ausgerufene »Krieg gegen die Drogen« – auf ausgesuchten Kokafeldern, vor allem aber in den Medien.

Dieser virtuelle Krieg erlaubte den USA nicht nur, sich wiederholt in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Auch rechtfertigt er astronomische Ausgaben: laut US-Regierung weit über 1000 Milliarden Dollar seit 1972. Einfluss auf die Konsumentenzahlen hatte das nicht. Ebensowenig auf die Schwarzmarktpreise. Im Gegenteil: Laut einem Expertenbericht für die britische Regierung haben sich trotz ständig erhöhten Fahndungskosten die Preise für Kokain und Heroin zwischen 1995 und 2005 halbiert. Dennoch sei die Gewinnspanne so hoch, dass für permanenten Nachschub gesorgt sei.

Es gibt zudem eine undurchsichtige Wechselwirkung des Drogenkriegs mit »echten« Kriegen. Laut UN hatten etwa die Taliban die Opiumproduktion in Afghanistan auf einen historischen Tiefpunkt reduziert. Mit der Ankunft der NATO wurde die Herstellung wieder hochgefahren – und laut UN mit den Jahren massiv gesteigert. Ob Hanoi, Managua oder Kabul: Wo die US-Armee operierte, schnellten die Zahlen der lokalen Drogenproduktion zum Teil rapide in die Höhe, sanken die Schwarzmarktpreise.

Indizien legen eine Unterstützung von Kriegsparteien durch Drogengelder nahe. Was wie eine Story aus dem Spukschloss klingt, hat Kronzeugen. John Kerry, heute US-Außenminister, wurde schon als Senator nicht müde zu mahnen: »Es kann kaum Zweifel an einer Komplizenschaft der CIA mit Drogenhändlern geben.« Laut Ron Paul, einem radikalen republikanischen US-Senator, wusste George Bush Senior als CIA-Chef »genau Bescheid«, dass Beschäftigte seiner Behörde in den 80er Jahren tonnenweise Kokain in den USA verkauften. Das Drogenverbot erfülle vor allem den Zweck, Gelder für verdeckte politische Operationen zu requirieren, so Paul. Robert Bonner, Ex-Chef der Drogenbehörde DEA, beschuldigte die CIA, 1993 über eine Tonne Kokain in die USA geschmuggelt zu haben. Ricky Ross, afroamerikanischer Kokain-Großdealer und einer der »Paten der Crack-Epedemie«, bezog sein Koks auch von CIA-Personal.

Kongressanhörungen von den 70er Jahren bis in die jüngste Vergangenheit legen wiederholte Kumpaneien zwischen Geheimdienst, Finanzwelt und Drogenbaronen zumindest sehr nahe. Wahrscheinlich praktizieren viele weitere Staaten eine solche Verquickung. Im Falle der USA ist es aber nicht nur gut dokumentiert – der Kontrast zur offiziellen Rhetorik ist auch besonders stark.

Die Dämonisierung des Drogenkonsums – bei gleichzeitigem Unwillen, dem Handel entgegenzutreten – zeigt Parallelen zum »Krieg gegen den Terror«. Erregung und Kosten stehen in keinem Verhältnis zu Bedrohung und Opferzahlen einerseits und erreichtem Nutzen andererseits. Seit den 70er Jahren hatten die Drogen, neben den Kommunisten, den Part der heutigen Islamisten als disziplinierendes Feindbild inne.

Die Regierung von Uruguay handelt mutig. Nicht nur, weil sie gegen die Stimmung in der eigenen Bevölkerung die richtige Entscheidung trifft. Sondern auch, weil der internationale Alleingang ein misstrauisch beäugter Schritt ist. Andererseits verspricht Cannabis eher geringe Gewinnspannen, zählt Uruguay nicht zu den Großen im Drogengeschäft. Insofern ist das Land gut gewählt für diesen Modellversuch, der einen wichtigen Impuls für eine neue, rationale Drogenpolitik setzen kann.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 10. August 2013

"Ein Labor für die Welt"

Uruguays Präsident will das historische Projekt der Marihuana-Legalisierung in seinem Land notfalls rückgängig machen, falls sich keine Erfolge im Kampf gegen die Drogenkriminalität einstellen. »Wie bei jedem Experiment gibt es natürlich Risiken«, sagte José Mujica. »Wir müssen so weitsichtig sein, auch den Rückwärtsgang einzulegen, wenn es uns über den Kopf wächst. Wir sind keine Fanatiker.«

Uruguay wird vermutlich in Kürze das weltweit erste Land sein, das den Anbau und Verkauf von Marihuana vollständig legalisiert und unter staatliche Aufsicht stellt. Mujica gab zu bedenken, dass der Kampf gegen die mächtige Drogenmafia mit den herkömmlichen Mitteln gescheitert sei: Alljährlich koste die Gegenoffensive sein kleines Land bis zu 80 Millionen Dollar (60 Millionen Euro), führe aber nur zur Beschlagnahmung von Rauschgift im Wert von vier bis fünf Millionen Dollar – was kaum mehr als einem Zehntel des Marktvolumens entspricht.

»Schon aus rein geschäftlicher Sicht wäre das ein Desaster«, sagte Mujica. »Aus moralischer Sicht ist es aber noch viel schlimmer, weil die Gewalt viele unschuldige Menschen tötet.« Von der internationalen Gemeinschaft erhoffe er sich Unterstützung für den Testlauf, der schließlich »im Interesse der ganzen Welt« sei: »Sie hat hier ein Labor, von dem sie lernen kann.«

Das Abgeordnetenhaus hatte das Gesetz vergangene Woche verabschiedet, der Senat wird ihm vermutlich ebenfalls zustimmen.

Sollte es in Kraft treten, dürften sich in Uruguay ansässige Bürger in ein Register eintragen lassen und bis zu 40 Gramm Marihuana pro Monat in lizenzierten Apotheken kaufen oder selbst sechs Cannabis-Pflanzen kultivieren. nd




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