Verteidigungsminister Scharping gerät unter Druck
Alle haben alles schon gewusst - oder es wissen können!
Der Druck auf Scharping nimmt zu. Hätte er nur zugenommen, als Scharping, zusammen mit Fischer und Schröder, den Krieg gegen Jugoslawien am 14. März 1999 unterstützte und mit den abstrusesten Horrorgeschichten lautstark rechtfertigte! Der Skandal des Einsatzes von uranhaltiger Munition gehört natürlich angeklagt, nicht vergessen werden darf aber der Skandal des NATO-Krieges selbst. Und alle haben von dessen Völkerrechtswidrigkeit gewusst, alle haben auch wissen können, dass eine höchst gefährliche Art von Munition in diesem Krieg zum Einsatz kam. Im Folgenden dokumentieren wir eine Online-Meldung der Süddeutschen Zeitung vom Sonntag, den 7. Januar, und den Leitartikel aus der taz vom 6. Januar, für den Andreas Zumach verantwortlich zeichnete.
Krebs-Verdacht wegen Uran-
Munition: Druck auf Scharping
Alle Parteien fordern Aufklärung / Ex-Admiral hat Scharping angeblich schon
1999 gewarnt / London wusste seit zehn Jahren von Gefährdung
Massiver Druck auf Verteidigungsminister Scharping hat der
erste Fall eines nach dem Balkan-Einsatz an Krebs
erkrankten deutschen Soldaten verursacht. Sprecher aller
Parteien forderten eine Untersuchung. Der Minister ist
bereits seit Sommer '99 über die Gefährdung durch
Uran-haltige Munition informiert gewesen.
Ex-Admiral Elmar Schmähling habe im Juli 1999 in einem Brief
den Verteidigungsminister auf die Gefährdung von Soldaten
aufmerksam gemacht. Das berichtet der Bayerische Rundfunk.
Wie aus einem internen Schreiben des
Bundesverteidigungsministeriums hervorgeht, sind
Bundeswehr und die anderen Bündnisarmeen bereits zu
Beginn des Kosovo-Einsatzes von der NATO vor den möglichen
Gefahren der Uran-Munition gewarnt und zu entsprechenden
Vorsichtsmaßnahmen aufgefordert worden.
Die Existenz des von der Berliner Morgenpostzitierten
Schreibens wurde von einem Sprecher des Ministeriums in
Berlin bestätigt. Die Bundeswehr hat den Angaben zufolge
seinerzeit sofort reagiert. Eindeutige Befehle für das Verhalten
bei radioaktiv verseuchten Gebieten und von Uran-Munition
zerstörten Zielen seien erteilt worden, hieß es.
Scharping unter Druck
Unterdessen geriet Verteidigungsminister Rudolf Scharping
nach dem Bekanntwerden der Leukämie-Erkrankung eines in
Bosnien eingesetzten ehemaligen Zeitsoldaten der
Bundeswehr unter Druck.
Bis Freitag hatten das Verteidigungsministerium und der
Deutsche Bundeswehr-Verband erklärt, es gebe unter den
deutschen Soldaten keine Krebs-Fälle, die auf Uran-Munition
zurückzuführen seien.
Darauf hin meldete sich der 24-jährige ehemalige Zeitsoldat
Christian Büthe aus Uelzen, der nach einem Bosnien-Einsatz
mit der Drohnenbatterie 1 aus Delmenhorst 1998 an Blutkrebs
erkrankt war.
Alle Parteien fordern Untersuchung
Die Grünen und die CDU verlangten darauf hin die
Untersuchung aller 50.000 in Bosnien und dem Kosovo
eingesetzten Bundeswehr-Soldaten. Die Vorsitzende der
Ethikkommission des Bundestags, Margot von Renesse (SPD),
forderte einen Untersuchungsausschuss.
Erstens müsse geklärt werden, wer in der Bundesregierung
von der Verwendung dieser Munition wusste. „Zweitens muss
das Verteidigungsministerium endlich alle Karten auf den Tisch
legen und vor allem Klarheit darüber schaffen, wo heute noch
Uran-Munition oder Rückstände auf dem Balkan lagern.“ Sie
halte den Einsatz von Uran-Munition für ein Kriegsverbrechen,
schrieb sie in der Bild am Sonntag .
Scharping schweigt, Erklärung erst am 17.1.
Inzwischen erklärte das Verteidigungsministerium: Am 17.
Januar werde Scharping dem Verteidigungsausschuss des
Bundestags Rede und Antwort stehen.
Die britische Regierung wusste angeblich schon seit zehn
Jahren, dass Soldaten durch den Einsatz uranhaltiger Munition
im Golfkrieg und auf dem Balkan gefährdet waren. Dies räumte
das Verteidigungsministerium in London nach Presseberichten
ein.
...
Mit dem Thema wird sich kommende Woche der NATO-Rat
befassen. Die SFOR-Truppe in Bosnien-Herzegowina hält das
Risiko einer Gesundheitsgefährdung durch diese Munition für
gering.
Gefahr für Zivilbevölkerung
Der Sprecher der Vereinigung „Ärzte für die Verhinderung des
Atomkriegs“, Jens-Peter Steffen, sagte im Ostdeutschen
Rundfunk Brandenburg, die ehemaligen Kampfzonen seien mit
hoher Wahrscheinlichkeit noch immer strahlenverseucht.
Erfahrungen aus dem Golfkrieg zeigten, dass die Krebsrate
unter Kindern nach dem Einsatz von Uran-Munition um das
Siebenfache steigen könne.
Sueddeutsche Zeitung online, 7. Januar 2001
Vertuschung geht weiter
Die USA wollen auch weiterhin Munition einsetzen, die durch abgereichertes Uran gehärtet wurde. Man versteht die Aufregung der europäischen Nato-Verbündeten gar nicht: Das Uran sei nicht gefährlicher als andere Schwermetalle wie Quecksilber oder Blei; bei Golfkriegsveteranen habe sich kein Hinweis oder gar Beweis für Erkrankungen ergeben. Und die Verbündeten müssten sich keine Sorgen über ihre im Kosovo stationierten Soldaten machen, denn dort gebe es ohnehin keine Restbestände der Munition.
Kommentar von ANDREAS ZUMACH
Was in dieser Woche aus dem Pentagon und von amerikanischen Offizieren in der Nato-Zentrale verlautete, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Doch Kritik am großen Verbündeten ist wohlfeil. Die rot-grüne Koalition in Berlin ebenso wie alle anderen Nato-Regierungen wussten vorab und während des Luftkriegs gegen Jugoslawien, dass diese Munition von den USA eingesetzt wurde. Selbst die grüne Verteidigungsexpertin Beer hat diesen Einsatz mitgetragen und ihn wie Scharping zum Teil auch nach dem Krieg gerechtfertigt, obwohl die großen Risiken aus dem Golfkrieg bekannt waren.
Dazu passt die verantwortungslose Entwarnung, die das Verteidigungsministerium und der Vorsitzende des Bundeswehrverbands signalisieren. Warum wurden bislang nur 160 der über 6.000 Kosovo-Soldaten untersucht? Warum wurden die 5.000 Soldaten in Bosnien und Kroatien noch überhaupt nicht in die Überprüfung einbezogen? Welche Messmethoden wurden angewandt? Solange die Hardthöhe dazu schweigt, betreibt sie dieselben Täuschungs- und Vertuschungsmanöver wie das Pentagon seit zehn Jahren. Dann wären die deutschen Soldaten gut beraten, auf das Angebot der Ärzteorganisation IPPNW zu einer unabhängigen Untersuchung einzugehen.
So notwendig die Kritik der CDU ist: Das Thema eignet sich nicht zum innenpolitischen Streit. Zumal der erste Einsatz der DU-Munition durch die Nato bereits ab 1994 in Bosnien erfolgte, als die CDU noch die Regierung stellte. Angebracht wäre hingegen eine gemeinsame Politik von Regierung und Opposition, um DU-Munition sofort international zu ächten. Dies ist wahrscheinlich nur im Streit mit den USA durchzusetzen. Kurzfristig noch wichtiger sind Untersuchungs-, Vorsorge- und Dekontaminierungsmaßnahmen, insbesonders für die Zivilbevölkerung in Serbien, im Kosovo sowie in Bosnien. Dies fordert die UNO-Umweltorganisation bereits seit Mitte 1999 vergeblich.
Aus: taz, 6. Januar 2001
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