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Abgereichertes Uran - die unterschätzte Gefahr

Von Dr. Silke Reinecke (Göttinger Friedensbündnis)

Im Juni wurde eine im Auftrag des Bundesverteidigungsministers erstellte Studie veröffentlicht, in der einerseits festgestellt wurde, dass zwischen 400 und 1.000 Bundeswehrsoldaten in den 60er und 70er Jahren durch Röntgenstrahlen von Radargeräten geschädigt worden seien, andererseits aber die Anfang 2001 viel diskutierte Uranmunition keine Gefährdung für Soldaten und Bevölkerung darstelle. Silke Reinecke vom Göttinger Friedensbündnis und Mitarbeiterin im Bundesausschuss Friedensratschlag hat sich noch einmal grundlegend mit den medizinischen Aspekten von Uranmunition auseinandergesetzt. Ihr Artikel, den wir im Folgenden dokumentieren, erschien in Heft 2/2001 der Friedenspolitischen Korrespondenz.

In der Friedenspolitischen Korrespondenz Nr. 1 / März 2001 schreibt Helmut Aichele, die Diskussion um abgereichertes Uran sei ein "Ablenkungsmanöver der Nachkriegsdiskussion". Ich stimme der These uneingeschränkt zu, dass es keine "antiseptischen" Kriege geben kann, und Aufgabe der Friedensbewegung selbstverständlich sein muss, jeglichen Krieg zu verhindern. Dies hat jedoch bislang nicht daran gehindert, auf die besondere Grausamkeit spezieller Waffen, wie Atomwaffen, Giftgas oder Landminen hinzuweisen, besonders dann, wenn der Einsatz dieser Waffen wie bei den Atomraketen zur Verwüstung ganzer Landstriche für Jahrtausende führen könnte oder wie bei den Landminen noch Jahre später fast ausschließlich die Zivilbevölkerung trifft.

Deshalb halte ich es für wichtig, auch auf die Besonderheiten des abgereicherten Urans (DU) hinzuweisen, so weit bislang Informationen vorliegen.

Es ist sicher richtig, dass über Langzeitwirkungen insbesondere bei Aufnahme in den menschlichen Organismus zu wenig bekannt ist, um sichere Prognosen über die zu erwartenden Spätfolgen zu treffen. Ebenso richtig ist aber, dass allein aufgrund der Kenntnisse der naturwissenschaftlichen Grundlagen ausreichende Argumente vorliegen, um abgereichertes Uran als Bestandteil von panzerbrechenden Waffen zu ächten.

Zur Zeit werden - gezielt oder absichtlich? - Missverständnisse und Fehlinformationen in die Welt gesetzt, um das Problem zu verharmlosen.

"Natürliches" Uran ist nicht das Uran in seinem natürlichen Vorkommen

Eines der Hauptargumente zur Bagatellisierung von DU lautet: "Abgereichertes Uran hat nur 60 % der Radioaktivität von natürlichem Uran". Dies ist nur dann richtig, wenn mit "natürlichem Uran" ausschließlich die in der Natur vorkommende Isotopenverteilung des Urans gemeint ist (99,27% U238, 0,72% U235, und 0,0054% U234). In Reaktoren wird eine Anreicherung des U235 auf ca. 3 % benötigt, übrig bleibt das "abgereicherte" Uran mit einer Isotopenverteilung in der Größenordnung von 99,8% U238, 0,2% U235 und 0,006% U234. Auf diese Weise reduziert sich die Aktivität des "natürlichen" Urans von 25,4 Bq/mg auf 14,8 Bq/mg bei "abgereichertem" Uran.

Doch bei einem Waldspaziergang liegt keineswegs ein metallischer Klumpen reinen Urans vor meinen Füßen. Uran kommt natürlicherweise in der Erdkruste mit lediglich 2 mg / kg (0,1 - 20 mg / kg) vor, bevorzugt in vulkanischen Gesteinen und verschiedenen Sedimentgesteinen. Durch geochemische Prozesse bildeten sich Uranerze mit 0,1 bis 5 % Uran. Das "natürliche" Uran, das immer als Vergleich zu DU herangezogen wird und so viel gefährlicher als DU sei, ist bereits ein industrielles Produkt.

Abgereichertes Uran als Industrieprodukt hat zwar eine geringere Radioaktivität als das Industrieprodukt Uran in seiner natürlichen Isotopenverteilung, doch eine höhere Gefährlichkeit als Uran in seinem natürlichen Vorkommen.

Wenn DU aus atomarem Müll aus der Wiederaufbereitung stammt, findet man zusätzlich Spuren von U236, Plutonium, Neptunium und Americium (wie von der UNEP im Kosovo). Bei diesem Thema findet sich ein ideales Feld für eine Zusammenarbeit mit der Anti-AKW-Bewegung: DU ist eine besonders grausame Möglichkeit, atomaren Müll zu entsorgen.

Nach der Explosion des Geschosses führt der fehlende Selbstabschirmungseffekt zu einer deutlich erhöhten Gefahr

Bei der Explosion der DU-Munition nach einem Treffer entstehen feinst verteilte Partikel aus verschiedenen Uranoxiden. Informationen über die Partikelgröße und die chemische Zusammensetzung der einzelnen Partikel liegen überwiegend aus Experimenten unter kontrollierten Bedingungen vor, die die Realität im Krieg nur unzureichend widerspiegeln, da zahlreiche Faktoren wie Art des Ziels, Aufprallwinkel/-geschwindigkeit und Luftzufuhr die Vorgänge nach Explosion des Geschosses beeinflussen. Eine realistische Schätzung geht davon aus, dass bis zu 70% des im Geschoss vorhandenen Urans als Feinstaub freigesetzt werden und ein überwiegender Teil der Partikel kleiner als 10 µm ist, dass heißt, so klein ist, dass er beim Einatmen in die tieferen Atemwege gelangt.

Nun ist Uran ja im wesentlichen ein Alphastrahler. Diese Strahlung wird bereits auf kürzesten Distanzen absorbiert. Das heißt für die Uranmunition, dass ein Großteil der Radioaktivität bereits im unzerstörten Geschoss selbst abgeschirmt wird. Bei der oben beschriebenen Bildung feinster Partikel durch die Explosion fällt jedoch ein Großteil dieses Selbstabschirmungseffektes weg. Von jedem dieser kleinen Teilchen, das in die tiefen Atemwege und die Lunge gelangt, geht damit permanent und auf engstem Raum eine unmittelbare Gefahr auf den menschlichen Organismus aus. Alphastrahlung ist dabei besonders gefährlich. Sie hat eine wesentlich höhere biologische Wirkung als beispielsweise Gammastrahlung, kann Genmutationen und Chromosomenaberration hervorrufen und damit zur Krebsentstehung führen.

Auch die unzerstörten Geschosse im Boden bedeuten eine Gefahr für Tausende von Jahren

Einem Szenario der US-Airforce zufolge treffen bei einer "typischen A10-Thunderbolt-Bombardierung" eines Panzers nur 10% der Geschosse tatsächlich ihr Ziel. Ein Großteil landet also im Boden, bis mindestens 30 cm unter der Erdoberfläche. In dieser Tiefe wird es der Routinemessung von Radioaktivität an der Erdoberfläche nicht sicher zugänglich. Die relativ niedrigen Werte an Radioaktivität, die die UNEP in Jugoslawien publiziert hat, könnten demnach möglicherweise einen relevanten Teil der Gefahr unterschätzen. Durch Korrosion im Boden (0,05 - 1 cm /Jahr) werden von einem 30mm-Geschoss im Jahr ca. 90 g Uran, von einem 120mm-Geschoss 500 g Uran freigesetzt. Nach 5 - 10 Jahren ist bereits das gesamte metallische Uran korrodiert. Die Reaktionsprodukte gelangen noch nach Jahren in das Grundwasser und die Nahrungskette. Bei einer Halbwertszeit des U238 von 4,5 Milliarden Jahren mag man über die Bedeutung für kommende Generationen nur spekulieren. Durch die Zerfallsprodukte kommt es zu einer weiteren Zunahme der Radioaktivität in den kommenden Milliarden Jahren.

Es gibt keine ungefährliche Dosis für Schwermetallbelastung oder Niedrigstrahlung

Im Organismus verteilt sich Uran zu 66 % im Skelett, 16 % in der Leber, 8 % in den Nieren und 10 % in anderen Geweben (andere Werte wird man bei massiver Inhalation von Uranstaub im Krieg ansetzen müssen). Uran ist sowohl chemotoxisch als auch radiotoxisch. Es kann -dosisabhängig- zu Nierenschäden, Blutarmut und bösartigen Erkrankungen führen. Es passiert die Plazenta und kann bereits das ungeborene Kind im Mutterleib schädigen. Es ist heute anerkannter Wissenstand, dass eine sicher ungefährliche Obergrenze für Niedrigstrahlung nicht existiert. Jede noch so geringe radioaktive Strahlung birgt eine Gefährdung in sich, besonders für kindliches Gewebe.

Prof. Dr. Ulrich Gottstein (IPPNW) berichtet bereits 1995 von starken Verdachtsmomenten über die gravierende Zunahme von Missbildungen und Leukämien im Irak. Das noch immer bestehende Embargo gegen den Irak erschwert dabei die Erhebung von zuverlässigen Daten. Hier ist weitere Forschung dringend geboten. Bereits jetzt aber kann DU nicht mehr, wie noch von der NATO deklariert, als "konventionelle" Waffe bezeichnet werden.

Die Forderung muss lauten: Weltweites Verbot abgereicherten Urans

Mindestens 9 Staaten sollen bereits jetzt DU-Munition besitzen. Im Golfkrieg verschoss die NATO schätzungsweise 300 Tonnen, in Südserbien / Kosovo 10 Tonnen und in Bosnien-Herzegowina 2 Tonnen. Auch durch Unfälle in der zivilen Luftfahrt (z. B. 1992 beim Absturz einer Boeing-747 bei Amsterdam) ist bereits DU freigesetzt worden, da DU als Gegengewicht und Ballast Verwendung findet.

Die gesicherten Kenntnisse über die chemische und physikalische Natur des Urans und seine Wirkungen auf den menschlichen Organismus sowie die bislang bekannten Hinweise über bereits aufgetretene Schäden machen es unbedingt erforderlich, eine sofortige weltweite Ächtung abgereicherten Urans zu fordern!

Aus: Friedenspolitische Korrespondenz, 2/2001, S. 13 f

Die Friedenspolitische Korrespondenz wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegeben und erscheint vier Mal im Jahr. Bestellungen per e-mail sind zu richten an:
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