Uran-Geschosse: Lügen und Versäumnisse
Die Politiker verstricken sich immer mehr in Widersprüche
Es vergeht kein Tag, an dem in der Debatte um die Uran-Munition nicht irgend eine Politikerlüge aufgedeckt wird oder irgend eine Entwarnung sich als voreilig herausstellt. Am 12. Januar 2001 war in verschiedenen Berichten vor allem über zwei Vorgänge zu lesen: Das Herumlavieren der britischen Regierung und die alarmierenden Messergebnisse aus Jugoslawien.
Die Veröffentlichung eines vier Jahre alten internen Berichts des britischen
Verteidigungsministeriums zu den Gefahren von uranhaltigen Geschossen
hat die Regierung Blair in Verlegenheit gebracht. Entgegen den Behauptungen Londons warnte der Bericht schon im März
1997 vor Gesundheitsgefahren beim Umgang mit den Geschossen. In dem Bericht hieß es z.B.: Alle Truppen-Angehörigen sollten darauf hingewiesen werden, "dass das Einatmen von
Uranstaub langfristige Risiken mit sich bringt". Der Staub erhöhe die
Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von "Lungen-, Lymph- oder Gehirnkrebs". Das
Einatmen von unlösbaren Staubteilen führe "zu einer Akkumulation in
den Lungen, die sich nur sehr langsam abbaut - wenn überhaupt". Obwohl der
chemische Giftgehalt gering sei, "können stellenweise Strahlenschäden in der
Lunge auftreten, die zu Krebs führen können".
Ein Regierungssprecher erklärte nun, der Bericht sei unmaßgeblich und "von einem
Mitarbeiter in der Ausbildung" verfasst. Er sei "fehlerhaft und
wissenschaftlich ungenau" und habe zu keinem Zeitpunkt offiziellen Charakter
gehabt.
Dies musste die Londoner Regierung auch erklären, denn seit dem Wiederaufleben der Diskussion vor zwei Wochen beteuert das britische Verteidigungsministerium gebetsmühlenartig, es bestehe absolut kein Zusammenhang zwischen den Uran-Geschossen, wie sie auf dem Balkan und zuvor am Golf von
Nato-Streitkräften verwendet wurden, und Krebs- und sonstigen Erkrankungen. Am 9. Januar erst hatte Staatssekretär John Spellar
erklärt, es gebe "kein echtes Risiko".
Diese Beschwichtigungen haben im Land zu Protesten geführt. DieFrankfurter Rundschau zitiert Malcolm Hooper, einen Medizinprofessor der Universität Sunderland, der sich für den Verband der
Golfkriegs-Veteranen seit Jahren mit dem Problem befasst. Er nannte es "skandalös",
dass die Regierung im Besitz eines entsprechenden Reports sei und dennoch auf
der Unbedenklichkeit bestehe. Auch warnte er vor den "echten Gefahren", denen
britische Zivilisten nahe Testgeländen und Waffen-Produktionsstätten ausgesetzt
seien. (FR, 12.10.2001)
Eingestehen musste das Ministerium auch, dass bereits frühere offizielle Mahnungen an
die Truppen zum vorsichtigen Umgang mit Uran-Geschossen britische
Frontsoldaten im Golf-Krieg 1991 nicht erreicht hatten. Soldaten, die beschossene
irakische Panzer untersuchten und zerlegten, arbeiteten offenbar ohne
Schutzkleidung. Der Veteranen-Verband warf dem Verteidigungsministerium nun
"Irreführung des Parlaments" und der Öffentlichkeit vor. Die Opposition verlangte
"klaren Aufschluss" über die Fakten.
Verstrahlte Gebiete in Jugoslawien
Jugoslawische Experten
haben nach Angaben der Armee stark erhöhte radioaktive
Werte an Stellen gemessen, wo während des NATO-Kriegs uranhaltige Munition eingesetzt wurde. An einigen Stellen habe die
Radioaktivität den Normalwert um mehr als das Tausendfache
überschritten, teilte ein Offizier mit. Die Armee schätzt, dass
während der elfwöchigen Nato-Offensive 1999 zwischen einer
und 1,5 Tonnen Uran-Munition auf jugoslawische Ziele
abgefeuert worden seien. Dabei sei eine Fläche von 2,5 Hektar
Land radioaktiv verseucht worden. Der Offizier gab an, die fünf
betroffenen Stellen seien markiert worden. Sie befänden sich
außerhalb von Städten, zumeist in ländlichen Regionen. Es
handele sich um vier Gebiete in Südserbien und eines in
Montenegro. Die höchste Radioaktivität sei in der Nähe der
südserbischen Stadt Vranje gemessen worden.
Ein Experte des Vinca-Instituts für Nuklearphysik, das die
Messungen ausgeführt hatte, sagte laut Süddeutscher Zeitung vom 12.01.2001, es bestehe aber keine Gefahr
für die Bevölkerung, weil die betroffenen Gebiete markiert
seien. Demgegenüber erklärte der Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms (UNEP),
Klaus Töpfer, bei der Entnahme von
Bodenproben und der Untersuchung von Geschossresten an
elf Orten hätten UNEP-Mitarbeiter und unabhängige Experten
Ende November des vergangenen Jahres feststellen müssen,
dass keine der besuchten Gebiete gesichert worden seien.
Dem UNEP lägen zudem keine Hinweise darauf vor, dass an
den 101 übrigen betroffenen Orten Maßnahmen zum Schutz
der Bevölkerung ergriffen worden seien. Töpfer und der Leiter
der UNEP-Untersuchungskommission im Kosovo, Peka
Haavisto, zeigten sich erstaunt darüber, dass zwar die
Angehörigen der ausländischen Armee-Einheiten gut über
mögliche Gesundheitsrisiken durch die Uran-Munition informiert
worden seien, nicht aber die lokale Bevölkerung. "Es ist höchste Zeit, die mit
Uran-Munition beschossenen Gelände zu markieren und zu säubern", sagte
Haavisto. Das laut Nato am massivsten angegriffene Gebiet ist ein Hügel bei
Vranovac, der nun im von italienischen Einheiten kontrollierten Sektor liegt.
Töpfer und Haavisto beklagten, dass die NATO auf die erste Bitte von UNEP um
Bereitstellung eines Plans mit den eingezeichneten Zielen der Kampfeinsätze mit
Uran-Munition überhaupt keine Antwort gab. Erst als UN-Generalsekretär Kofi
Annan in Brüssel intervenierte, wurde die NATO kooperativ. Inzwischen sei die
Zusammenarbeit "vorbildlich", sagte Haavisto. Die aus Brüssel gelieferten
Informationen seien zuverlässig. Die Experten der UNEP gingen auch Hinweisen auf
andere Umweltschädigungen durch den NATO-Beschuss nach, wurden aber bisher nicht
fündig.
Das aus 14 prominenten Wissenschaftlern bestehende Team hat bisher elf der von
der Nato angegebenen 123 Ziele ihrer Kampfflugzeuge im Kosovo-Krieg
durchkämmt. 112 Ziele liegen im Süden der Provinz Kosovo, die restlichen in
Montenegro und Serbien. An einigen Orten maßen die Fachleute schwache
Radioaktivität von Beta-Strahlen. Das Team sammelte 340 Proben, darunter
herumliegende, zum Teil intakte Geschosse mit Kernen aus abgereichertem Uran
sowie Erdreich, Wasser und sogar Kuhmilch. Diese Proben werden derzeit in
Speziallabors mehrerer Länder auf Radioaktivität und chemische Giftigkeit
untersucht. Bevor die Ergebnisse vorliegen, will UNEP kein Urteil über die
gesundheitlichen Auswirkungen des Einsatzes von Uran-Munition abgeben. Ein
abschließender Bericht soll Anfang März veröffentlicht werden. Vom Ergebnis
hänge auch ab, ob UNEP in Bosnien und Irak ebenfalls nach Langzeitschäden
durch Uran-Munition forschen werde, sagte Töpfer. (FR, 12.01.2001)
Weitere Beiträge zu den DU-Geschossen
Zurück zur Homepage