IPPNW-Erklärung im Wortlaut / Artikel von Robert Fisk im "Independent" (englisch) und weitere Beiträge (deutsch)
Israel könnte während des Libanon-Feldzugs im Sommer 2006 nicht nur Streubomben, sondern auch uranhaltige Munition eingesetzt haben. So lautet jedenfalls der Verdacht, den das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und nach ihr die IPPNW erhoben haben. Genauere Überprüfungen stehen noch aus.
Im Folgenden dokumentieren wir einen einführenden Artikel aus der Tagespresse, die Erklärung der IPPNW sowie einen (englischen) Artikel von Robert Fisk aus "The Independent".
Uranwaffen gegen die Hisbollah?
UNO-Untersuchung nach schweren Vorwürfen gegen Israel / IPPNW fordert Verbot
Von Olaf Standke *
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) untersucht zur Zeit Vorwürfe, Israel habe im Krieg gegen Libanon uranhaltige Waffen eingesetzt. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) fordern von der israelischen Regierung umgehende Aufklärung.
Wenn die belgische Koalition »Stop Uranium Weapons!« an diesem Freitag ihren alljährlichen Aktionstag zum Verbot so genannter Uranwaffen organisiert, will sie einen höchst aktuellen Fall aufgreifen: Die britische Tageszeitung »Independent« hat berichtet, dass angereichertes Uran in Erdproben von Bombenkratern israelischer Präzisionsgeschosse in Khiam und At-Tiri gefunden wurde. 20 Wissenschaftler untersuchen nun im Auftrag der UNO die Proben aus Südlibanon. Der UNEP-Leiter für den Nahen Osten, Butros al-Harb, konnte den Einsatz entsprechender Munition noch nicht bestätigen, endgültige Ergebnisse sollen im Dezember vorliegen. Doch sprächen nach Meinung von Experten starke Indizien für die Vorwürfe. Das Harwell-Labor in Oxfordshire, das ebenfalls einbezogen wurde, hat die Existenz von Uran-Isotopen in den Proben bestätigt. Die gesundheitlichen Gefahren für die Zivilbevölkerung auf Grund der freigesetzten Uranoxidpartikel seien erheblich.
Israel hat die Vorwürfe unterdessen zurückgewiesen. Man setze keine Waffen ein, die nach internationalem Recht nicht benutzt werden dürfen, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums – allerdings sind Uran-Waffen und -Munition trotz der Bemühungen zahlreicher Nichtregierungsorganisationen völkerrechtlich noch nicht verboten.
Britische Friedensaktivisten hatten während des Krieges mit Protestaktionen darauf aufmerksam gemacht, dass der Rüstungskonzern EDO MBM in Brighton Teile für uranhaltige Hellfire-Raketen nach Israel liefert. Doug Rokke, einst Direktor des Pentagon Depleted Uranium Project, ist sich sicher, in den Fernsehberichten aus dem Kriegsgebiet 120-mm-DU-Panzermunition erkannt zu haben.
Zuvor hatte die israelische Regierung schon einräumen müssen, dass ihre Streitkräfte im Libanon-Krieg Hisbollah-Stellungen auch mit hochgiftigen Phosphorgranaten, die zu schweren Verbrennungen führen, angegriffen haben. Internationale Kritik fand auch der massive Einsatz von Streubomben auf beiden Kriegsseiten. Anderen Recherchen zufolge sollen die israelischen Truppen im Gaza-Streifen neuartige Munition aus Drohnen abgefeuert haben, die besonders grausame Verletzungen und tödliche Verbrennungen verursacht. Experten meinen, es könnte sich um die von der US-Luftwaffe entwickelte DIME-Munition (Dense Inert Metal Explosive) für Präzisionswaffen zum urbanen Einsatz handeln, bei der dem Sprengstoff Krebs verursachender Wolfram-Staub beigemischt wird.
Der libanesische Nuklearphysiker Mohammad Ali Qobeissi hatte bei Khiam in einem Bombenkrater »hohe Strahlung von unidentifizierten radioaktiven Materialien« gemessen. Wie der britische Wissenschaftler Chris Bellamy jetzt erläuterte, enthalte die Khiam-Probe mit 108 Teilen U-238 und einem Teil U-235 eindeutig angereichteres Uran. Wahrscheinlich habe man sich von der ungewöhnlichen Mischung einen militärischen Vorteil versprochen. Chris Busby vom European Committee on Radiation Risk vermutet sogar den Test einer neuartigen kleinen »Fusionsatombombe« oder einer thermobarischen Bombe. Um Panzer oder andere verhärtete Materialen zu durchbrechen, wurde bisher häufig abgereichertes Uran eingesetzt, das für Mensch und Umwelt höchst gefährlich ist.
Viele Teilnehmer des Golfkrieges Anfang der 90er leiden noch immer an den Folgen. Gerade berichtete eine Veteranenorganisation in den USA, dass das »Golfkriegssyndrom« nunmehr 11 000 Todesopfer gefordert habe; 56 Prozent der damals eingesetzten 580 000 GIs hätten dauerhafte medizinische Probleme. Diese Rate habe nach dem Zweiten Weltkrieg nur bei fünf und nach dem Vietnamkrieg bei zehn Prozent gelegen. Renommierte Wissenschaftler wie Leuren Moret hätten angereichertes Uran als definitive Ursache für das Syndrom benannt. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam man auch in Großbritannien. Umso mehr sei es ein »Skandal«, dass das US-Militär weiter Uranmunition benutze. IPPNW ruft zu einem Verbot von uranhaltigen Waffen aus, wie sie u. a. im Golfkrieg, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Irak eingesetzt wurden.
* Aus: Neues Deutschland, 1. November 2006
UN untersucht Uranwaffeneinsatz
Setzte Israel Uranbomben in Libanon ein?
Pressemitteilung der IPPNW
Berlin, 30.Oktober 2006: Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) fordern von der israelischen Regierung Aufklärung über den Einsatz von uranhaltigen Waffen im Krieg gegen den Libanon. In der britischen Zeitung »Independent« vom 28.09.06 wurde berichtet, daß angereichertes Uran in Erdproben von Bombenkratern in Khiam und At-Tiri gefunden wurden.
Das UN-Programm für die Umwelt (UNEP) untersucht die Vorwürfe, Israel habe solche Waffen eingesetzt. Zwanzig Wissenschaftler untersuchen die Proben seit bereits zwei Wochen und werden laut Independent von heute voraussichtlich im Dezember zu einem Ergebnis kommen. Der UNEP-Leiter für den Nahen Osten, Butros al-Harb, konnte den Einsatz von Uran noch nicht bestätigen, versicherte jedoch gegenüber den Medien, eine definitive Aussage darüber zu machen.
Der britische Wissenschaftler Chris Bellamy sagte: »Die Khiam-Probe enthält mit 108 Teilen U-238 und einem Teil U-235 eindeutig angereichertes Uran«. Es stelle sich die Frage, warum dieses Material und nicht abgereichertes Uran verwendet wurde, wenn es keinen offensichtlichen militärischen Vorteil gäbe. Abgereichertes Uran (U-238) wird häufig durch Militär eingesetzt, um Panzer oder andere verhärtete Materialen zu durchbrechen und ist für Mensch und Umwelt gefährlich. Je stärker das Uran angereichert ist, desto gefährlicher ist es.
Das Labor für Massenspektrometrie in Harwell, Oxfordshire, bestätigte eine Konzentration von Uranisotopen in den Proben, konnte aber nicht sagen, von welcher Art Waffen sie stammen. Palästinensische Vertreter haben der israelischen Armee (IDF) oft vorgeworfen, Geschosse mit uranummantelten Spitzen gegen Ziele in Gaza eingesetzt zu haben. Bisher wurden solche Einsätze von Israel dementiert. Auch am Sonntag dementierte IDF-Sprecher Major Avital Leibovitz den Einsatz von uranhaltigen Waffen und meinte, es müsse eine andere Erklärung geben, wie die Isotope in die Erde gekommen seien.
Die IPPNW ruft zu einem Verbot von uranhaltigen Waffen aus, wie sei im Golfkrieg (1991), in Bosnien, Jugoslawien, Afghanistan und Irak eingesetzt wurden.
Alarm over radioactive legacy left by attack on Lebanon
by Robert Fisk **
Did Israel use a secret new uranium-based weapon in
southern Lebanon this summer in the 34-day assault that
cost more than 1,300 Lebanese lives, most of them
civilians?
We know that the Israelis used American "bunker-buster"
bombs on Hizbollah's Beirut headquarters. We know that
they drenched southern Lebanon with cluster bombs in
the last 72 hours of the war, leaving tens of thousands
of bomblets which are still killing Lebanese civilians
every week. And we now know - after it first
categorically denied using such munitions - that the
Israeli army also used phosphorous bombs, weapons which
are supposed to be restricted under the third protocol
of the Geneva Conventions, which neither Israel nor the
United States have signed.
But scientific evidence gathered from at least two bomb
craters in Khiam and At-Tiri, the scene of fierce
fighting between Hizbollah guerrillas and Israeli
troops last July and August, suggests that uranium-
based munitions may now also be included in Israel's
weapons inventory - and were used against targets in
Lebanon. According to Dr Chris Busby, the British
Scientific Secretary of the European Committee on
Radiation Risk, two soil samples thrown up by Israeli
heavy or guided bombs showed "elevated radiation
signatures". Both have been forwarded for further
examination to the Harwell laboratory in Oxfordshire
for mass spectrometry - used by the Ministry of Defence
- which has confirmed the concentration of uranium
isotopes in the samples.
Dr Busby's initial report states that there are two
possible reasons for the contamination. "The first is
that the weapon was some novel small experimental
nuclear fission device or other experimental weapon
(eg, a thermobaric weapon) based on the high
temperature of a uranium oxidation flash ... The second
is that the weapon was a bunker-busting conventional
uranium penetrator weapon employing enriched uranium
rather than depleted uranium." A photograph of the
explosion of the first bomb shows large clouds of black
smoke that might result from burning uranium.
Enriched uranium is produced from natural uranium ore
and is used as fuel for nuclear reactors. A waste
productof the enrichment process is depleted uranium,
it is an extremely hard metal used in anti-tank
missiles for penetrating armour. Depleted uranium is
less radioactive than natural uranium, which is less
radioactive than enriched uranium.
Israel has a poor reputation for telling the truth
about its use of weapons in Lebanon. In 1982, it denied
using phosphorous munitions on civilian areas - until
journalists discovered dying and dead civilians whose
wounds caught fire when exposed to air.
I saw two dead babies who, when taken from a mortuary
drawer in West Beirut during the Israeli siege of the
city, suddenly burst back into flames. Israel
officially denied using phosphorous again in Lebanon
during the summer - except for "marking" targets - even
after civilians were photographed in Lebanese hospitals
with burn wounds consistent with phosphorous munitions.
Then on Sunday, Israel suddenly admitted that it had
not been telling the truth. Jacob Edery, the Israeli
minister in charge of government-parliament relations,
confirmed that phosphorous shells were used in direct
attacks against Hizbollah, adding that "according to
international law, the use of phosphorous munitions is
authorised and the (Israeli) army keeps to the rules of
international norms".
Asked by The Independent if the Israeli army had been
using uranium-based munitions in Lebanon this summer,
Mark Regev, the Israeli Foreign Ministry spokesman,
said: "Israel does not use any weaponry which is not
authorised by international law or international
conventions." This, however, begs more questions than
it answers. Much international law does not cover
modern uranium weapons because they were not invented
when humanitarian rules such as the Geneva Conventions
were drawn up and because Western governments still
refuse to believe that their use can cause long-term
damage to the health of thousands of civilians living
in the area of the explosions.
American and British forces used hundreds of tons of
depleted uranium (DU) shells in Iraq in 1991 - their
hardened penetrator warheads manufactured from the
waste products of the nuclear industry - and five years
later, a plague of cancers emerged across the south of
Iraq.
Initial US military assessments warned of grave
consequences for public health if such weapons were
used against armoured vehicles. But the US
administration and the British government later went
out of their way to belittle these claims. Yet the
cancers continued to spread amid reports that civilians
in Bosnia - where DU was also used by Nato aircraft -
were suffering new forms of cancer. DU shells were
again used in the 2003 Anglo-American invasion of Iraq
but it is too early to register any health effects.
"When a uranium penetrator hits a hard target, the
particles of the explosion are very long-lived in the
environment," Dr Busby said yesterday. "They spread
over long distances. They can be inhaled into the
lungs. The military really seem to believe that this
stuff is not as dangerous as it is." Yet why would
Israel use such a weapon when its targets - in the case
of Khiam, for example - were only two miles from the
Israeli border? The dust ignited by DU munitions can be
blown across international borders, just as the
chlorine gas used in attacks by both sides in the First
World War often blew back on its perpetrators.
Chris Bellamy, the professor of military science and
doctrine at Cranfield University, who has reviewed the
Busby report, said: "At worst it's some sort of
experimental weapon with an enriched uranium component
the purpose of which we don't yet know. At best - if
you can say that - it shows a remarkably cavalier
attitude to the use of nuclear waste products."
The soil sample from Khiam - site of a notorious
torture prison when Israel occupied southern Lebanon
between 1978 and 2000, and a frontline Hizbollah
stronghold in the summer war - was a piece of impacted
red earth from an explosion; the isotope ratio was 108,
indicative of the presence of enriched uranium. "The
health effects on local civilian populations following
the use of large uranium penetrators and the large
amounts of respirable uranium oxide particles in the
atmosphere," the Busby report says, "are likely to be
significant ... we recommend that the area is examined
for further traces of these weapons with a view to
clean up."
This summer's Lebanon war began after Hizbollah
guerrillas crossed the Lebanese frontier into Israel,
captured two Israeli soldiers and killed three others,
prompting Israel to unleash a massive bombardment of
Lebanon's villages, cities, bridges and civilian
infrastructure. Human rights groups have said that
Israel committed war crimes when it attacked civilians,
but that Hizbollah was also guilty of such crimes
because it fired missiles into Israel which were also
filled with ball-bearings, turning their rockets into
primitive one-time-only cluster bombs.
Many Lebanese, however, long ago concluded that the
latest Lebanon war was a weapons testing ground for the
Americans and Iranians, who respectively supply Israel
and Hizbollah with munitions. Just as Israel used
hitherto-unproven US missiles in its attacks, so the
Iranians were able to test-fire a rocket which hit an
Israeli corvette off the Lebanese coast, killing four
Israeli sailors and almost sinking the vessel after it
suffered a 15-hour on-board fire.
What the weapons manufacturers make of the latest
scientific findings of potential uranium weapons use in
southern Lebanon is not yet known. Nor is their effect
on civilians.
** Source: The Independent (UK), October 28, 2006
http://news.independent.co.uk
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