Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zweiter Krebsfall bei der Bundeswehr: Aber es besteht "kein Anlass zur Beunruhigung"

Alarmierendes aus dem Irak - und zwei Kommentare

Am 14. Januar meldeten einige Sonntagszeitungen zwei weitere Leukämieerkrankungen von Bundeswehrsoldaten, einer aus Bayern und einer aus dem Saarland. Dies gab der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Oberst Bernhard Gertz inzwischen bekannt. Der Soldat aus Bayern befürchtet, dass er sich bei Überlandfahrten in Bosnien durch uranhaltige Stäube vergiftet hat. In bisher nicht gekannter Deutlichkeit kritisierte Gertz seinen Verteidigungsminister Scharping. Es sei "definitiv falsch", sagte er gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Focus", wenn Scharping behaupte, das erste Bundeswehr-Kontingent im Kosovo sei auf die Existenz von uranhaltiger Munition vorbereitet gewesen.

Nach Recherchen des Fernsehmagazins "Spiegel TV" soll 1988 bei einem Absturz eines amerikanischen Militärflugzeugs vom Typ Fairchild A-10 auch uranhaltige Munition an Bord gewesen sein. Das Flugzeug brannte vollständig aus. Zwei Jahre später starb ein Junge an Leukämie und es traten "zahlreiche mysteriöse Erkrankungen" auf.

In der Süddeutschen Zeitung vom 13. Januar 2001 war auf die Gefährdung der irakischen Bevölkerung hingewiesen worden. Unter dem Titel "Frische Wunden eines alten Kriegs - Zehn Jahre nach dem Golfkonflikt kämpfen die Iraker gegen die hohe Zahl der Krebsfälle – ihre Ursache ist jedoch strittig" berichtet der Nahost-Korrespondent Heiko Flottau u.a.:
"Dschihan Hassan hat eine Passion. Seit einem halben Jahrzehnt empfängt die Ärztin im Kinderkrankenhaus der südirakischen Stadt Basra immer wieder ausländische Journalisten und erklärt ihnen die Folgen des Golfkriegs. Die Zahl der Krebserkrankungen bei Kindern habe sich im Raum Basra im Vergleich zur Zeit vor dem Golfkrieg vor zehn Jahren um 242 Prozent erhöht, sagt sie. Die Fälle von Blutkrebs seien um 100 Prozent gestiegen. Schuld an dieser Entwicklung sei die Verwendung uranhaltiger Munition durch die USA im Krieg um Kuwait. Geschosse, deren Spitzen aus angereichertem Uran bestehen, sind extrem durchschlagsfähig, besonders im Kampf gegen Panzer.
Jeden Besucher führt Dschihan in einen Raum, in dem sie die Bilder deformierter Neugeborener ausgestellt hat. Die meisten Kamerateams weigern sich zu filmen – die Bilder seien den Zuschauern nicht zuzumuten. Jungen ohne Hoden, Kinder mit nur einem Arm, mit deformierten Bäuchen oder Gesichtern. Dschihan berichtet auch von seltenen Krebserkrankungen, die seit 1995 immer öfter vorkämen: Brustkrebs bei 14-jährigen Mädchen, Brustkrebs bei kleinen Jungen. Die Genesungsaussichten bei Kindern mit Blutkrebs seien gering, klagt Dschihan, wegen des Embargos fehle es an Medikamenten."
"Unstrittig ist", so heißt es in der SZ weiter, "dass sich die Zahl der Fälle von Krebserkrankungen in den letzten fünf Jahren in Basra dramatisch erhöht hat, umstritten ist lediglich die Ursache. Wie einige Kritiker des Kosovo-Kriegs sehen die Iraker die Ursachen einseitig in der Verwendung von Munition, die abgereichertes Uran enthält. Zunächst ist seine Strahlung weit weniger intensiv als die Uranstrahlung, der jeder Mensch in geringer Konzentration ausgesetzt ist. Doch werde Staub mit abgereichertem Uran eingeatmet, sagen Kritiker, setze sich das Schwermetall in den Organen ab und führe durch beständige leichte Strahlung zu Krebserkrankungen."
Einschränkend fügt Flottau hinzu: "Aber gerade im Südirak kann es auch andere Ursachen geben. Während des Golfkriegs bombardierten die Alliierten chemische Fabriken, giftige Stoffe wurden freigesetzt. Die Iraker selbst haben immer wieder Giftgas verwendet, in den späten achtziger Jahren gegen die Kurden im Nordirak, davor wohl auch im Süden, als sie von 1980 bis 1988 gegen Iran zu Felde zogen. Der Giftcocktail kann sich in Pflanzen, im Staub, im Wüstensand abgesetzt haben oder in die Nahrungskette gelangt sein und heute zu den neuen Krebserkrankungen beitragen."

"Die Weltgesundheitsorganisation hatte sich zunächst der US-Argumentation angeschlossen und erklärt, es gebe keine Beweise für den Zusammenhang zwischen Krebs und uranhaltiger Munition. Dennoch begann sie inzwischen im Irak mit der Untersuchung möglicher Gesundheitsrisiken. US-Veteranen führen das 'Golfkriegssyndrom' – analog zum 'Balkansyndrom' – zum Teil auf uranhaltige Munition zurück. Nach einem Bericht der US-Zeitung Christian Science Monitor haben Nato-Experten Aufräumtrupps im Kosovo aufgefordert, sich von zerstörten Panzern fern zu halten, weil diese ein 'gefährlicher Aufenthaltsort' seien. Auch habe ein vorläufiger UN-Bericht vom Mai 1999 uranhaltige Munition als 'nuklearen Müll' bezeichnet, dessen Gebrauch gefährlich sei."

"Kein Risiko" für Soldaten durch Urangeschosse

Derweil geben deutsche Wissenschaftler Entwarnung: Deutsche Soldaten seien durch die im Kosovo-Krieg eingesetzte Uran-Munition keiner Gesundheitsgefahr ausgesetzt gewesen, verkündeten sie am Freitag (12.01.2000)in Berlin und Bonn. Die Forscher des GSF-Forschungszentrums hatten im Auftrag des Verteidigungsministeriums Urinproben von 122 Bundeswehr-Soldaten untersucht. Hätten die Männer das strahlende, giftige Schwermetall eingeatmet oder geschluckt, wäre das im Urin abzulesen gewesen, sagten die Wissenschaftler. Sie haben in den von der Bundeswehr gesammelten Proben zwar Uranspuren gefunden, aber im Durchschnitt keine höhere Belastung festgestellt als bei Vergleichspersonen.

Die aussagekräftigste Messung beruht allerdings nur auf Proben von 43 Soldaten, die vor ihrem Einsatz und noch mal währenddessen Urin abgegeben hatten. Ein Teil hatte nach Aussage der GSF höchstwahrscheinlich keinen Kontakt mit Uran (Kontrollgruppe), bei den übrigen sei dies prinzipiell möglich gewesen (Einsatzgruppe). Keiner der Soldaten wies bedenkliche oder gar gefährliche Befunde auf, doch bei drei Soldaten der Einsatzgruppe und zwei Soldaten der Kontrollgruppe war der Urangehalt des Urins deutlich gestiegen, bei anderen Getesteten aber auch deutlich gesunken. Das kann nach Auskunft der GSF auch an veränderter Ernährung liegen. Der Biophysiker Eckard Werner von der GSF empfahl bei der Vorstellung der Studie in Bonn, die im Kosovo lebenden Menschen auf die mögliche Gefährdung durch Uran auch im Hinblick auf dessen giftige Effekte hinzuweisen.

In der "jungen welt" vom 13. Januar 2001 konnte man über die Ergebnisse der Wissenschaftler noch etwas mehr herauslesen. Während Bundeswehrsoldaten so gut wie nicht gefährdet seien, tragen Kinder in den betroffenen Regionen aber ein großes Risiko. Für spielende Kinder, bestehe in den 1999 von der NATO mit Uranmunition beschossenen Gebieten auf dem Balkan "die Gefahr einer Vergiftung durch Uran-Rückstände". Darin waren sich der Medizinphysiker Dr. Paul Roth, Mitarbeiter des bayrischen Institutes für Strahlenschutz beim Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF), sowie Prof. Dr. Karl.-H. Summer, Leiter der Gruppe Toxikologie von Metallen, während einer Pressekonferenz am Freitag in Berlin einig. "Eine Vergiftung", betonte Roth, "ist gefährlicher als eine mögliche Strahlenbelastung." Anders als die im Einsatzgebiet operierenden Truppen wären die Kinder nicht im Besitz von ABC-Schutzanzügen. Gerade für kleinere Kinder, die naturgemäß ihre Umwelt mit dem Mund erforschten, bestehe beim Spielen in Gebieten mit Rückständen der beim Beschuß zerstäubten Uran-Geschosse Vergiftungsgefahr. Zerschossene Panzer und sonstiges zerstörtes Kriegsgerät seien besonders gefährlich, so die Experten.

Zur Diskussion um die Urangeschosse nun noch zwei Kommentare. Der erste aus der Wochenzeitung "Die Zeit", den zweiten hat uns freundlicherweise die Autorin selbst zur Verfügung gestellt.

Clausewitz, Kosovo und postmoderner Krieg

Uran-Munition und die tiefere Wahrheit: Demokratien wollen den absolut schadenfreien Militäreinsatz
Von Josef Joffe


Im Kosovo-Krieg, berichtet der New Yorker, saß ein Militäranwalt vor dem Computer, "um das Bombenziel unter dem Aspekt der Genfer Konvention zu analysieren". War es ein gerechtfertigter Angriff, ein militärisches oder rein ziviles Ziel?

So war es noch in keinem Krieg, so wird es aber in jedem weiteren "Gewissenskrieg" ŕ la Kosovo sein - auch wenn die medienwirksame Inszenierung namens "Uranverseuchung" vergessen sein wird. Denn jenseits des Wahrheitsgehaltes zeigt sich nun das "Balkan-Syndrom" in seiner ganzen Größe: Der Krieg muss absolut opferlos sein - auf unserer wie auf der anderen Seite, in bello wie auch post bellum.

Konkret: Neben dem Militäranwalt werden künftig Ärzte, Umweltexperten und Sammelklagen-Advokaten sitzen. Welche Munition darf verwendet, welche Langzeiteffekte müssen ausgeschlossen, welche Ansprüche abgewehrt werden? Fazit: Der nächste Kosovo-Krieg wird so gut wie unmöglich.

Denn inzwischen geht es nicht nur um die eigenen Opfer, um das "Zinksarg-Syndrom". Dieses hat nämlich das nächste, das "Abscheu-Syndrom" erzeugt. Weil wir die eigenen Leute nicht riskieren wollten, haben wir Bomber statt Bodentruppen eingesetzt. Weil wir aber auch um die Piloten fürchteten, haben wir am Golf, auf dem Balkan Ziele angegriffen, die nicht zurückschießen konnten: die zivile Infrastruktur wie Brücken und Kraftwerke. Und so wurden aus den Sloboisten und Saddamisten von gestern die geschundenen Serben und Iraker von heute, dank CNN und Co. Verblasst waren plötzlich die Ursachen des Krieges, ob "ethnische Säuberung" oder kuwaitischer Staatenmord, verdreht auch die Rolle von Opfern und Aggressoren.

Und nun der dritte Akt im Drama des postmodernen Krieges, das kein Clausewitz je verstehen könnte. Dass sich die Medien und interessierte Parteien so schnell auf das "Uran-Syndrom" geeinigt haben, zeugt zwar nicht von Recherchierlust, aber von einer tieferen Wahrheit: Wir wollen den absolut schadenfreien Krieg, auch und gerade auf der anderen Seite. Die Militärs und ihre zivilen Chefs mögen sich ärgern, aber sie müssen umdenken: Entweder nie wieder "Kosovo" oder nur noch Krieg mit "nichtletalen" Mitteln, die weder Mensch noch Umwelt behelligen.
Aus: DIE ZEIT, Nr. 3/2001

NATO-Wahnsinnspotenzial:
Weiterer Eskapismus dieser Spaßgesellschaft?

Von Luz María Destéfano de Lenkait Luz María Destéfano de Lenkait Es darf nicht nur um die Leukämiefälle unter NATO-Soldaten gehen, nicht nur um die radioaktiven Urangeschosse der NATO, die im alten Jugoslawien Menschen und Landstriche verseucht haben. Die Forderung der Ächtung aller nuklearen Waffen ist seit langem fällig. Jetzt ist die Auflösung der NATO selbst auf der europäischen Tagesordnung, denn diese Organisation mit ihrer Strategie setzt alle in Europa lebenden Menschen unsäglicher Gefahr aus. Heuchelei und Wegsehen helfen nicht weiter, sondern führen nur zu weiterem unverantwortlichen Eskapismus dieser Spaßgesellschaft.

Die BSE-Gefahr wurde ebenso lange verharmlost und vertuscht in Deutschland. Dasselbe Verharmlosen und Vertuschen beim NATO-Wahnsinnspotenzial. Ein halbes Jahrhundert ist der NATO-Irrsinn als Mythos in der konservativen Gesellschaft verankert, als Mythos einer angeblichen "Sicherheit". Und jene eher staatsgefährdende als staatstragende Meinungsmacher sind jetzt abgeneigt, sich mit ihrem geglaubten Wahn zu konfrontieren. Es scheint, sie wollten den Irrsinn nicht einsehen. Psychologen sind hier gefragt.

Von jenen Meinungsmachern ist keine Aufklärung zu erwarten, sondern ein zynisches "weiter so", um Fehler nicht einzugestehen. Ihre erste Sorge ist, die Fehlentscheidung der erst liberal, dann grünen Außenpolitik zu decken, keineswegs sie aufzudecken, da sie in der Haß-Kampagne gegen Serbien eine Hauptrolle spielten. So entstand durch ein bizarres Bemühen, die angeblichen ehrbaren Prinzipien des alten deutschen Bürgertums mit dem Zynismus der gegenwärtigen Kriegsmilitanz der neuen Generation in Einklang zu bringen, ein sonderbares Gemisch von Gewissenhaftigkeit und Eigennutz, ein Gemisch, das einen recht widerlichen Geruch von Heuchelei an sich hat, die darauf hinausläuft, aus deutscher Kraft, Geldgier und Interessensucht das Symbol allen Rechtes, aller Gerechtigkeit und aller Wahrheit zu gestalten.

Was sind das für Zustände, wo sich alle Kritiker der Gleichschaltung von Medien und Politik unterwerfen müssen und Beamte, die es wagen, die Wahrheit an die Öffentlichkeit zu bringen, auf Anordnung von höchster Ebene bestraft werden. Der Fall von Brigadegeneral Heinz Loquai spricht für sich selbst. Nach einer Intervention des Bundesverteidigungsministeriums hat er seinen Posten bei der OSZE in Wien verloren, gegen den erklärten Willen der OSZE. Was für ein Zustand der Demokratie in Deutschland! Der Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Willy Wimmer (MdB/CDU), beschreibt diese besorgniserregenden Verhältnisse von fehlender politischer Lauterkeit so: "Noch nie haben so wenige so viele gründlich belogen ... Dafür sind Menschen gestorben".

Aus der Perspektive der Charta der Vereinten Nationen war der NATO-Krieg gegen Jugoslawien ein Völkerrechtsbruch mit unabsehbaren Folgen für die künftige Entwicklung der internationalen Ordnung. Aus der Sicht des Grundgesetzes war er ein verfassungswidriger Angriffskrieg mit verheerenden Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit von Politik. Aus der Wahrnehmung der Menschlichkeit geht es um ein Attentat gegen das Leben, es geht um Bedrohung und Ausrottung der Existenz. Ein déjŕ-vu-Szenarium im alten Deutschland, das bei heutigen Redaktionen bisher keine angemessene Reaktion findet.

Jetzt sind alle mutigen Journalisten in ihrer Würde herausgefordert. Die Öffentlichkeit hat das Recht, die Wahrheit zu erfahren und Konsequenzen zu ziehen, wenn man mit dem besten Willen weiter daran glauben will, daß ein Rest von Verantwortungsethik, Demokratie und freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit in Deutschland noch zu retten ist.

Weitere Beiträge zu den DU-Geschossen

Zurück zur Homepage