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Einsatz von abgereichertem Uran: Ein Verbrechen gegen die Menschheit

Von Doug Rokke (Ph. D., Jacksonville State University)

In dem kürzlich (20.-23. März 2000) vor dem Baltimore County Court durchgeführten Verfahren von Plowshares gegen Depleted Uranium protestierten die Beteiligten gegen den fortgesetzten Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium , Anmerk. d. Übers.) und gegen die anhaltend hartnäckige Mißachtung von Gesundheit und Umwelt durch Vertreter des US-Verteidigungsministeriums. Die Weigerung des Gerichts, Beweismittel zu DU-Folgewirkungen zuzulassen, ist erneut ein weiterer Beweis dafür, daß US-Regierungsvertreter aus politischen und wirtschaftlichen Gründen umgehen wollen, die für Gesundheit und Umwelt verderblichen Folgen anzuerkennen. Die Vereinigten Staaten verwendeten bewußt Urangeschosse in Irak, Kuwait, Kosovo, Serbien, Bosnien, Puerto Rico, Okinawa sowie innerhalb der Vereinigten Staaten. UNO-Dokumente stellen als erwiesen fest, daß mehr als 31.000 DU-Salven (über 10 Tonnen) im Kosovo abgefeuert wurden. Doch weder eine medizinische Versorgung noch umweltbezogene Abhilfemaßnahmen sind vollständig durchgeführt worden. Tausende von Personen wurden belastet und heute sind viele krank oder tot. Abgereichertes Uran ist eine Gefahr für die Gesundheit, wenn es eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen wird, sowie wenn es in offene Wunden gerät. Dokumente des US-Energieministeriums, die am 29. Januar 2000 freigegeben wurden, bestätigen die Gefahren von Uran-Einwirkungen. Bei DU-verseuchtem Gerät muß im Umkreis von 80 Fuß (ca. 24 Meter; Anmerk. d. Übers.) von jedem Atem- und Hautschutz getragen werden. Eine DU-Verseuchung macht Nahrung und Wasser unbrauchbar. Unbestreitbare Beweise belegen heute, daß für Gesundheit und Umwelt verderbliche Folgen auftreten, wenn die Verseuchung nicht gänzlich beseitigt ist! Diese Beweise wurden in dem jüngsten Verfahren wissentlich unterdrückt.

Hergestellt wird abgereichertes Uran (U-238) aus Uran-Hexafluorid, einem nicht-spaltbaren Nebenprodukt des Uran-Anreicherungsverfahrens, das in Anlagen in Tennessee, Ohio und Kentucky angewandt wird, wobei spaltbares U-234 und U-235 zur Herstellung von Bomben und Reaktorbrennstoff abfällt. Verwendung findet DU in Geschossen, in Gegengewichten (counterweights), in Panzerungen (shielding) und nunmehr auch in kommerziellem Beton (DUCRETE). DU-Munition umfaßt Eindringgeschosse (penetrators) der Kaliber 7,62 mm, 50 cal., 20 mm (180 gr.), 25 mm (200 gr.), 30 mm (280 gr.), 105 mm (3500 gr.) und 120 mm (4500 gr.) sowie ADAM- und PDM-Streubomben. DU-Munition ist, im Widerspruch zu früheren Berichten, nicht mit einer Spitze oder einem Mantel aus DU versehen sondern besteht aus solidem Uran 238 mit den vorstehend angegebenen ungefähren Bestandteilen. Beim Aufschlag entstehen radioaktive und Schwermetallgift enthaltende U-238-Splitter und gefährliche Dioxide, die beseitigt werden müssen, um künftige Gefährdungen zu vermeiden.

Obgleich medizinische Versorgung, umweltbezogene Abhilfemaßnahmen und DU-Ausbildungsmaßnahmen per Gesetz und durch Verordnungen des US-Department of Defense vorgeschrieben sind, weigert sich dieses,
  1. medizinische Versorgung für alle DU-Schadensfälle zu gewährleisten,
  2. umweltbezogene Abhilfemaßnahmen vorzunehmen,
  3. eine gründliche DU-Ausbildung sicherzustellen,
  4. Verfahren des Management bei DU-Verseuchung allgemein bekannt zu machen.

Während des in Towson durchgeführten "Plowshares versus Depleted Uranium" - Verfahrens gaben Vertreter der US-Luftwaffe unter Eid zu, daß sie die vorgeschriebenen DU-Ausbildungsmaßnahmen nicht vollständig durchgeführt hatten. Der Bericht des U.S. Government Accounting Office (GAO) "Understanding of Health Effects From Depleted Uranium Evolving but Safety Training Needed" (GAO/NSAID-00-70, Seite 18) stellt fest daß, "die Luftwaffe eine Ausbildung zum bewußten Umgang mit DU (general awareness DU training) für sämtliches Personal verlangt, das zur Mobilisierung und zum Einsatz vorgesehen ist, und als Teil der Grundausbildung." Damit beweist das GAO-Dokument, daß das Luftwaffenpersonal, das die A-10 betreut (Spezialkampfflugzeuge, die mit Geschützen für DU-Munition bestückt sind; Anm. de. Übers.) vorsätzlich Gesetze und Verordnungen verletzen. Dieselben Personen sorgten nicht für angemessene Sicherheitsvorkehrungen, um die Angeklagten daran zu hindern, sich einem A-10-Kampfflugzeug zu nähern und es zu beschädigen.

Der Nachweis gesundheitsschädlicher Folgen von abgereichertem Uran ist heute erschwert, weil Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums medizinische Behandlung nicht nur versagen sondern auch verzögern. Dr. Bernhard Rostker (DOD) schrieb am 1. März 1999, daß Ärzte und Gesundheitsphysiker im Jahre 1991 entschieden hätten, daß medizinische Vorsorgeuntersuchungen wegen des Umgangs mit Uran nicht erforderlich seien. Offizielle DOD-Dokumente, die 1991 verfaßt wurden, weisen die Forderung zurück. Gesundheitliche Auswirkungen von radioaktiven und Schwermetallgiften, die beschrieben und verifiziert wurden, umfassen: Flugkrankheit (reactive airway diseases), neurologische Anomalien, Nierensteine, chronische Nierenschmerzen, Ausschläge, Sehkraftminderung, Nachtblindheit (night vision losses), Zahnfleischerkrankungen (gum tissue problems), Lymphome und andere Krebserkrankungen, neuro-psychologische Beschwerden, Uran in männlichen Keimzellen (uranium in semen), sexuelle Disfunktion, Geburtsfehler bei Nachkommen und Tod. Schädliche Folgewirkungen werden weiterhin auftreten, solange es sich Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums und andere Regierungsvertretern erlauben können,
  1. eindeutige Befunde zu ignorieren,
  2. medizinische Behandlung für alle mit DU in Berührung gekommenen Personen zu versagen,
  3. vollständige umweltbezogene Abhilfemaßnahmen zu verweigern und
  4. DU-Ausbildungsmaßnahmen durch Unterdrücken von wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen zu verzögern.

Der Stellvertretende Verteidigungsminister ordnete am 8. Juni 1993 eine medizinische Versorgung für jeden an, der durch Einatmung, Aufnahme mit der Nahrung oder Wundinfizierung betroffen ist. Das Hauptquartier des Heeres der USA erließ eine erneute Anordnung am 14. Oktober 1993. Gleichwohl werden medizinische Versorgung und umweltbezogene Abhilfemaßnahmen weiterhin aus politischen und wirtschaftlichen Gründen abgelehnt. Präsident Clinton kündigte am 12. April 2000 an, daß Personen, die als Beschäftigte des US-Energieministerium in Oak Ridge, Pudacah und an anderen ähnlichen Standorten mit radioaktiven Materialien in Berührung gekommen sind, eine Entschädigung sowie medizinische Versorgung erhalten sollen. Derselbe Anspruch müßte im Rahmen der Fürsorgepflicht auf alle Personen ausgedehnt werden, die mit abgereichertem Uran in Berührung gekommen sind.

Die Vereinten Nation nötigten offizielle Vertreter der USA, die absichtliche Verwendung von Urangeschossen im Kosovo endlich am 22. März 2000, fast ein Jahr nach dem Ersteinsatz, einzugestehen. Doch umgehend bestritten die US-Vertreter am 23. März 2000, daß es dabei irgendwelche nachteiligen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt gebe, obgleich offizielle Dokumente und medizinische Befunde ihre Behauptung widerlegen. Jeder sollte sich einmal überlegen, ob er gerne Abertausende von radioaktiven und schwermetallvergifteten Geschosse in seinem eigenen Hinterhof hätte. Wenn nicht, dann sollten diese Geschosse auch nicht irgendwo in der Welt liegen gelassen werden, wo Kinder oder irgend ein anderes menschliches Wesen damit in Berührung kommen könnten! Die Antwort auf dieses Verbrechen gegen Gott und die Menschheit ist klar:
  1. Alle Personen, die durch Einatmung, Nahrungsaufnahme oder Wundvergiftung betroffen sind, müssen medizinische Versorgung erhalten.
  2. Alle Geschossplitter mit abgereichertem Uran, alles verseuchte Gerät, sowie die Oxidverseuchung müssen beseitigt und ordnungsgemäß entsorgt werden.
  3. Der Einsatz von Urangeschossen muß verboten werden.

Information über den Autor:
Dr. Doug Rokke war früher als Gesundheitsphysiker im DU-Team des ODS und als Direktor des DU-Projekts des US-Heeres tätig. Gegenwärtig ist er als Professor für Umweltwissenschaften an der Jacksonville State University in Jacksonville, Alabama.
Email-Adresse: drokke@jsucc.jsu.edu
Übersetzung aus dem Englischen: Klaus v. Raussendorff

Anmerkung der AIK zum Stand der Kampagne gegen Urangeschosse:
Die NATO hat schon während der Bombardierungen Jugoslawiens zugegeben, Uranmunition einzusetzen. In der serbischen Provinz Kosovo und Metohija aber auch im übrigen Serbien liegen seither uranhaltige Geschosse, Geschossplitter und getroffene Gegenstände in unbekannter Zahl. "Eine exakte Gebietsangabe " sei nicht möglich, behauptet das Bundesverteidigungsministerium in einem Schreiben v. 16.7.99, das der AIK in Kopie vorliegt. Begründung: Die Ziele seien erst während des Einsatzes durch die Piloten erfaßt worden. "Die NATO", so heißt es in dem Schreiben weiter, "hat am 01.07.99 auf eine mögliche toxische Gefährdung beim Umgang mit von DU-Munition getroffenen Fahrzeugen hingewiesen und vorbeugende Maßnahmen empfohlen." Diese seien auch an die im Kosovo befindlichen Hilfsorganisationen weitergegeben worden. Von den Menschen in Jugoslawien ist nicht die Rede, und "Eine Dekontaminierungsplanung seitens der NATO gibt es derzeit nicht." Die NATO warnt also vor den Wirkungen ihrer Urangeschosse, sagt aber nicht, wo diese Gefahren lauern und verweigert die Schadensbeseitigung. "Daß die NATO sehr genau aus Munitions- und Pilotenberichten die Zielgebiete kennt, gegen die DU-Waffen eingesetzt wurden", hat der britische "Independent" vom 16.10.99 durch eigene Recherchen herausgefunden. Betroffen seien "Distrikte in der Nähe von Djakovica, Mitrovica, Pristina, Urahovac und im eigentlichen Serbien." Bereits in Bosnien hatte die NATO im August und September 1995 serbische Stellungen in Sarajevo, Goraszde und am Berg Majevica mit radioaktiven Waffen bombardierte, berichtete der "Telegraf" v. 3.4.96 unter Berufung auf die in Pale/Republika Srpska erscheinende Zeitung "Oslobodjenenje" v. 14.3.96.

Die UNO hat ein Balkan-Umwelt-Team mit Untersuchungen beauftragt. Deren Vorsitzender, der Finne Pekka Haavisto erklärt in der zitierten Ausgabe des Independent letzten Herbst, daß die NATO sich weigert zu kooperieren.

Der Irak hatte bereits 1997 die Weltgesundheitsorganisation um einen Bericht über die Auswirkungen von Urangeschossen gebeten. Auf das Land sind im Golfkrieg etwa 940.000 DU-Projektile abgefeuerten worden. Ein solcher Bericht wurde nie erarbeitet. Jetzt heißt es in dem UNO-Bericht zu den Auswirkungen auf dem Balkan lediglich, daß "während und unmittelbar nach einem Angriff, bei dem abgereichertes Uran verwandt wurde, einige Menschen in der unmittelbaren Umgebung durch Einatmung abgereichertem Uran ausgesetzt sein können." Von der Bundesregierung wurde im Juli letzten Jahres eine Anfrage der PDS im Bundestag "zum Einsatz von uranhaltigen Geschossen im Golfkrieg und in Jugoslawien" (Drs. 14/1117) kurzerhand mit dem Hinweis abgefertigt, "eigene Studien oder Untersuchungen zu dieser Thematik liegen nicht vor."

Der ehemalige Gesundheitsphysiker des DU-Teams des US-Verteidigungsministeriums, Dr. Doug Rokke, der gegenwärtig an der Jacksonville State University in Jacksonville, Alabama, als Professor für Umweltwissenschaften tätig ist, beschuldigt das Pentagon und die US-Regierung, die durch US-Recht vorgeschriebenen Maßnahmen weitgehend zu verweigern und die Erforschung der DU-Risiken zu erschweren. Dr. Rokke fordert: "Alle Personen, die durch Einatmung, Nahrungsaufnahme oder Wundvergiftung von DU betroffen sind, müssen medizinische Versorgung erhalten. Alle Geschossplitter mit abgereichertem Uran, alles verseuchte Gerät, sowie die Oxidverseuchung müssen beseitigt und ordnungsgemäß entsorgt werden. Der Einsatz von Urangeschossen muß verboten werden." Diese Forderungen werden auch vom International Action Center, von den Ärzten gegen Atomrüstung (IPPNW), von einer Kampagne der Bundestagsabgeordneten Heidi Lippmann, Vertreterin der PDS im Verteidigungsausschuß, und vielen anderen erhoben. Es scheint, daß noch erheblich mehr Druck entfaltet werden muß, bis diese Forderungen durchgesetzt werden.
Mit internationalistischen Grüßen
Anti-Imperialistische Korrespondenz (AIK)
Redaktion: Klaus von Raussendorff
Postfach 210172, 53156 Bonn
Tel.&Fax: 0228 - 34.68.50
Email: raussendorff@home.ivm.de


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