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Die Giftgas-Gefahr

Vor 20 Jahren wurde die Konvention über das Verbot chemischer Waffen signiert

Von Hubert Thielicke *

Um die Anwendung chemischer Waffen ein für alle Mal auszuschließen, wurde vor 20 Jahren die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet. Erstmals entstand ein umfassendes internationales Kontrollregime.

Seit Monaten überschlagen sich die Meldungen: Das Assad-Regime könnte seine chemischen Waffen einsetzen, die USA hätten mit Planungen begonnen, um diese Kampfmittel unschädlich zu machen. Die NATO scheint sie nicht nur als Begründung für die Stationierung der Patriot-Raketen in der Türkei, sondern auch für eine mögliche Intervention heranziehen zu wollen. »Ich glaube nicht, dass Syrien chemische Waffen anwenden wird; das wäre politischer Selbstmord für die Regierung«, meint dagegen der russische Außenminister Lawrow. Ein Problem, das eigentlich schon seit einiger Zeit gelöst sein sollte, ist so nach wie vor akut: Am 13. Januar 1993 wurde in Paris die Konvention über das Verbot der chemischen Waffen unterzeichnet; am 29. April 1997 trat sie in Kraft. Derzeit gehören ihr 188 Staaten an. Acht stehen aber noch außerhalb des Verbotsregimes.

Erstmals wurden Kampfgase in größerem Umfang durch deutsche Truppen während des Ersten Weltkrieges in den Kämpfen um das belgische Ypern eingesetzt. Der Gaskrieg eskalierte auf beiden Seiten rasch; insgesamt waren schließlich ca. 100 000 Tote und etwa eine Million Verwundete zu beklagen. Diese schrecklichen Erfahrungen führten 1925 zum Genfer Protokoll, das neben dem Einsatz von bakteriologischen Mitteln auch den von Giftgasen im Krieg verbietet. Ende der 1960er Jahre wurde das Verbot der biologischen und chemischen Waffen in die Tagesordnung des Genfer Abrüstungsausschusses aufgenommen. Dort konnte man sich aber 1971 nur auf eine relativ allgemein gehaltene Biowaffen-Konvention einigen. Erst in den 1980er Jahren kam es in Genf zu ernsthaften multilateralen Verhandlungen. Der Einsatz chemischer Waffen durch Irak im 1. Golfkrieg machte ein globales Verbot besonders dringend. Der Konventionsentwurf wurde schließlich 1992 fertig gestellt und von der UN-Generalversammlung gebilligt.

Die Konvention verbietet, chemische Waffen zu entwickeln, herzustellen, anderweitig zu erwerben, zu lagern oder zurückzubehalten und weiterzugeben. Ausdrücklich untersagt werden ihre Anwendung und entsprechende militärische Vorbereitungen. Vorräte und Produktionsanlagen sind zu melden und innerhalb bestimmter Fristen zu vernichten. Chemische Waffen werden definiert als toxische Chemikalien und ihre Vorprodukte, außer wenn sie für Zwecke vorgesehen sind, die nicht durch die Konvention verboten sind, sowie Munition, Geräte und Ausrüstungen. Verboten ist zwar, sogenannte Mittel zur Bekämpfung von Unruhen als Methode der Kriegführung einzusetzen, jedoch dürfen sie zur »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« genutzt werden. Weitergehende Formulierungen ließen vor allem die USA nicht zu. Offen ist auch die Frage der Herbizide.

Die Vernichtung der Vorräte und Produktionseinrichtungen erfolgt unter systematischer internationaler Kontrolle. Für die internationale Umsetzung des Abkommens wurde die Organisation für das Verbot der chemischen Waffen (OPCW) in Den Haag eingerichtet. Ihre Organe sind die jährliche Konferenz der Vertragsstaaten, der aus 41 Mitgliedern bestehende Exekutivrat und das Technische Sekretariat, das auch die Inspektionen durchführt. Deutschland ist seit 1997 Mitglied des Rates und besitzt keine chemischen Waffen.

Um die Wirkungsweise der Konvention zu überprüfen, finden alle fünf Jahre Überprüfungskonferenzen statt, die dritte tagt im April. Sie wird sich einer Reihe drängender Fragen zu stellen haben. So ist es bisher nicht gelungen, das Abkommen wirklich universell zu machen. Angola, Ägypten, Nordkorea, Somalia, Süd-Sudan und Syrien sind noch nicht beigetreten, während Israel und Myanmar zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben. Einige dieser Länder stehen im Verdacht, C-Waffen zu besitzen.

Noch nicht abgeschlossen ist die Liquidierung aller gemeldeten Vorräte, obwohl die Besitzerstaaten ihre Waffen innerhalb von zehn Jahren zu vernichten haben. Hauptproblem sind die Reste des ursprünglich gewaltigen Potenzials der USA und der UdSSR/Russlands. Sie konnten durch Probleme beim Bau und Betrieb der Vernichtungsanlagen weder die ursprüngliche noch die von der OPCW bis zum 29. April 2012 verlängerte Frist einhalten, legten aber inzwischen detaillierte Pläne für den Abschluss vor.

Der rapide wissenschaftlich-technische Fortschritt führt zu ständig neuen Herausforderungen; Biologie und Chemie gehen immer mehr ineinander über. Einerseits werden damit neue Möglichkeiten für die Medizin und die wirtschaftliche Entwicklung eröffnet, andererseits können solche Erkenntnisse für militärische Zwecke missbraucht werden. Experten verweisen etwa auf die Nanotechnologie und die biologische Produktion neuer hochgiftiger Chemikalien. Auch das Problem der »handlungsunfähig machenden Mittel«, die zur Bekämpfung von Unruhen eingesetzt werden können, bedarf einer Klärung. Aktuell ist nach wie vor die Gefahr des Terrorismus mit chemischen Mitteln. Auch die syrischen Chemiewaffen könnten in die Hände von terroristischen Gruppen fallen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 14. Januar 2013

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Doch bis alle C-Waffen vernichtet sind, wird noch viel Zeit vergehen. Von Wolfgang Kötter (2. Mai 2012)




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